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KULTUR/0968: "Über Gräber weht der Wind" - Pete Seegers Vermächtnis gegen den Krieg (SB)




Als Pete Seeger am 18. Januar 2009 zusammen mit seinem Enkel Tao Rodríguez-Seeger und Bruce Springsteen zum Abschluß der Inaugurationsfeier Barack Obamas die inoffizielle Nationalhymne der Vereinigten Staaten - "This Land Is Your Land" - vor 400.000 jubelnden und mitsingenden Menschen vortrug, bestand er darauf, auch die drei meist ausgelassenen und daher unbekannten Verse dieses Klassikers seines Weggefährten Woody Guthrie zu singen. Sie repräsentieren die soziale Signifikanz des Liedes und enthalten eine klare Stellungnahme gegen die herrschende Eigentumsordnung: "Da war eine hohe Mauer, die mich aufhalten sollte. 'Privatbesitz' stand auf einem großen Schild. Doch auf der Rückseite stand nichts, dieses Schild war für dich und mich gemacht."

Ob der am 27. Januar 2014 im Alter von 94 Jahren verstorbene Folksänger dem US-Präsidenten heute noch die gleiche Unterstützung wie vor fünf Jahren gewährte, darf nicht zuletzt aufgrund dessen, daß die Anwendung des Possesivpronomens "dein" auf alle Menschen in diesem Land geradezu als zynischer Scherz erscheint, zumindest bezweifelt werden. Seegers Eintreten für Obama kann als kurzsichtig kritisiert werden, doch erklärt es sich wie bei vielen anderen US-Linken der Nachkriegsgeneration aus der Tradition der Bürgerrechtsbewegung, die mit einem schwarzen Präsidenten einen allerdings vergifteten, weil den Widerstand gegen kapitalistische Herrschaft und imperialistischen Krieg wirksam schwächenden historischen Sieg errungen hatte.

Der Künstler und Aktivist wurde in den 1950er Jahren als Mitglied der Communist Party USA (CPUSA) im Rahmen der allgemeinen Kommunistenhatz verfolgt. Er verweigerte vor dem Komitee für Unamerikanische Umtriebe (HUAC) unter Inanspruchnahme des 1. Verfassungszusatzes, der US-Bürgern grundsätzliche politische Freiheitsrechte zusichert, die Aussage, während die meisten vor diesen Ausschuß des US-Repräsentantenhauses zitierten Linken sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht des 5. Verfassungszusatzes beriefen, was weniger harsche Strafen nach sich zog. So mußte Seeger den Behörden jahrelang melden, wenn er sich von seinem Wohnort im Southern District New Yorks entfernte. 1961 wurde er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, mußte davon jedoch nur ein Jahr absitzen, nachdem das Urteil wieder aufgehoben wurde. Einer Linken zugehörig, die sich von der Politik der Sowjetregierung distanziert hatte, bezeichnete sich Seeger noch 1995 in einem Interview als Kommunist: "Weil Kommunismus nicht das ist, was Rußland daraus gemacht hat, ebensowenig wie das Christentum das ist, was die Kirche daraus gemacht hat" [1].

So stand er bis an sein Lebensende für US-amerikanische Verhältnisse so weit links, daß alle Ehrungen und Würdigungen seiner Person immer auch der Immunisierung dessen dienten, was zwar im Rahmen der Meinungsfreiheit geäußert werden darf, aber keine konkrete gesellschaftliche Wirkung erlangen soll. In seinem letzten Lebensjahrzehnt protestierte er mit seinen künstlerischen Mitteln gegen den Irakkrieg, er unterstützte die Occupy-Bewegung, sang für die Befreiung des politischen Gefangenen Leonard Peltier und US-amerikanische Kleinbauern. 2011 trat er der BDS-Kampagne gegen die israelische Besatzungspolitik bei, was harsche Reaktionen bei den die Drangsalierung der Palästinenser verteidigenden US-Politikern und -Journalisten provozierte. Schon seit den 1960er Jahren engagierte sich Pete Seeger als Mitbegründer der Organisation Hudson River Sloop Clearwater für den Schutz der Natur, der ihm stets ein wichtiges Anliegen war.

In seinem Leben spiegelt sich die sozial höchst widersprüchliche Geschichte einer Volksmusik wider, die im Zuge ihrer folk- und popmusikalischen Verwertung in aller Welt populär wurde. Während Woody Guthrie als einer der namenlosen Armutsflüchtlinge aus der Dust Bowl Oklahomas den Staub der Straße mit all seinen Entbehrungen und Gefahren geschmeckt hatte, wuchs Pete Seeger in einer stark christlich geprägten Familie in der Metropole New York auf. Er wurde als Sohn der Konzertviolinistin Constance de Clyver Edson und des Dirigenten, Musikprofessors und Ethnologen Charles Louis Seeger am 3. Mai 1919 in New York City geboren, so daß ihm sein Interesse am Liedgut der Wanderarbeiter und Tramps, der ehemaligen Sklaven und mexikanischen Obstpflücker in gewisser Weise in die Wiege gelegt wurde. So verlor sein Vater aufgrund seines pazifistischen Engagements gegen die Beteiligung der USA am Ersten Weltkrieg seine Stellung als Hochschullehrer und verband sein musikalisches Interesse stets mit dem Eintreten für soziale Zwecke. Er war einer der ersten systematischen Sammler des Liedguts der einfachen Leute, und Pete setzte diese Arbeit als Assistent der Folkloreforscher John und Alan Lomax fort.

Als allerdings erfolgloser Soziologie-Student an der Harvard University gehörte Seeger jener liberalen Intellektuellenszene an, die sich unter dem Banner einer sozial gerechteren US-Gesellschaft formierte. 1939 lernte er den damals schon bekannten Woody Guthrie kennen, der zwar weniger für parteipolitische Arbeit zu haben war, in der Verwendung der Volksmusik als Medium für soziale Veränderung jedoch mit Pete Seeger übereinstimmte. So beteiligten sich beide an den 1941 gegründeten Almanac Singers, die im Umfeld des Congress of Industrial Organizations (CIO) entstanden. Dieser hatte sich von der Einheitsgewerkschaft American Federation of Labor (AFL) aufgrund des dort praktizierten Ausschlusses schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter abgespalten, was 1955 rückgängig gemacht wurde und zur Gründung der heute noch bestehenden AFL-CIO führte.

Als erste überregional bekannte Gruppe der neuen, sozial und politisch engagierten Folklore setzten sich die Almanac Singers mit ihrem Repertoire gezielt von der Unterhaltungsmusik der großen Plattenkonzerne ab. Das trug ihnen den Ruf ein, nicht wegen des schnellen Geldes, sondern vor allem um ihres politischen Anliegens willen Musik zu machen. Die Abneigung gegen die Musikindustrie wurzelte darin, daß es kaum Radiostationen gab, die parteiliche und aufrührerische Lieder gespielt hätten. Auch wenn beim Liedgut der Almanac Singers häufig die gleichen Traditionals Pate standen wie bei der Volksmusik der Radiostationen, unterschieden sie sich von dieser jedoch durch Texte, in denen die Probleme des armen Amerikas deutlich zur Sprache kamen, sowie durch Arrangements, für die man auf eine aufwendige Orchestrierung verzichtete, um mit einer einfachen Instrumentierung an jedem Ort spielen zu können.

Die Shanties, Balladen und Tänze der Alten Welt floßen ebenso in die neue Folklore ein wie Soldatenlieder aus dem Bürgerkrieg, die Weisen der Holzfäller, Flußschiffer und Cowboys. Spirituals und Country Blues, Kinder- und Gefangenenlieder, kreolische Gesänge und mexikanische Weisen bildeten ein musikalisches Amalgam, das Aufsehen erregte. Pete Seeger bezeichnete diese Transformation bekannter Volksmusik in neue Folksongs auch als "Folklore-Prozeß" und kannte keine Scheu, auf neues Material so populärer Gruppen wie der Carter Family, der First Family of Country Musik, zurückzugreifen. Er musizierte mit traditionellen Volksmusikern wie zum Beispiel Jean Ritchie, die es als jüngstes von 14 Kindern einer armen Familie aus den Appalachen zur bekanntesten Hackbrettspielerin Kentuckys gebracht hatte. Gerade bei den als hinterwäldlerisch verschrienen Hillbillys hatten Traditionen der Volksmusik aus den Frühzeiten der Besiedlung der Vereinigten Staaten überlebt, die in europäischen Melodien wurzeln, die mit den großen Auswanderungswellen den Atlantik überquerten.

1944 nahm Pete Seeger das Album "Songs of the Lincoln Battalion" auf, das den auf der Seite der spanischen Republik gegen Franco kämpfenden Internationalisten aus den USA gewidmet war. Das 1950 aus den Almanac Singers hervorgegangene und von Pete Seeger nach dem sozialkritischen Drama Gerhart Hauptmanns "Die Weber" benannte Gesangsquartett The Weavers war trotz seiner politisch zurückhaltenderen Texte regelrechter Verfolgung ausgesetzt. Sogenannte Antikommunistische Freiwilligenkorps nahmen die Konzerte der Protestsänger zum Anlaß, ihre stramme Gesinnung bei der gewaltsamen Auflösung der Veranstaltungen zu demonstrieren. 1953 führte ein politischer Boykott, der weitere Radiosendungen und Konzertauftritte verhinderte, zum jähen Ende der Weavers, obwohl sie mit heute als Evergreens gehandelten Liedern wie "Kisses Sweeter Than Wine", "If I Had a Hammer" und "Goodnight Irene" überaus erfolgreich waren.

Die Ächtung durch die Unterhaltungsindustrie verlieh der Musik Pete Seegers, der 17 Jahre lang weder im Fernsehen noch im Radio gespielt wurde, allerdings auch politische Glaubwürdigkeit und künstlerische Authentizität. Ansonsten verschaffte die Kommerzialisierung des Folksongs in den frühen 1960er Jahren den neuen Protestsängerinnen und -sängern zwar ein gutes Auskommen, schlug sich aber auch in der abnehmenden Radikalität der Texte nieder. Heute klingt der Begriff "Protestsong" wie ein Rudiment verwehter Zeiten, und das politische Lied fristet eine kümmerliche Nischenexistenz. Die kulturindustrielle Massenbespaßung hat auf ganzer Linie gesiegt, und was an politisch linkem Liedgut nicht gänzlich unter den Teppich des Vergessens gekehrt werden kann, wird als musealisiertes Exponat eher belächelt denn als nach wie vor unabgegoltener Kommentar zum Zeitgeschehen ernstgenommen.

Als Autor verschiedener Bücher hat Pete Seeger, ganz in der wissenschaftlichen Tradition seiner Familie, die musikalische Seite des Folksongs verewigt und insbesondere sein Lieblingsinstrument, den fünfsaitigen Banjo, für diese Musik populär gemacht. Das von ihm geprägte Folksong-Revival der fünfziger Jahre bildet eine der wesentlichen Wurzeln moderner Popmusik, gerade weil die Idee eines über reine Unterhaltung hinausgehenden, gesellschaftliche Veränderungen bewirkenden Liedgutes anrührende und bewegende Songs entstehen ließ. Die Absorption derartiger kultureller Strömungen durch den alles verwertenden Kapitalismus ist denn auch ein Thema, an dem sich kritische Musikerinnen und Musiker bis heute abarbeiten.

Aufsehen erregte die 2012 vor Gericht getroffene Aussage des norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, der von ihm "selbsterklärter Marxist" geschimpfte Folksänger Lillebjorn Nilsen habe mit seiner Adaption des Pete-Seeger-Titels "My Rainbow Race" norwegische Schulkinder "gehirngewaschen", um sie für eine multikulturelle Gesellschaft zu programmieren. Daraufhin versammelten sich mehr als 40.000 Menschen in der Nähe des Gerichtsgebäudes, um das in Norwegen überaus populäre Lied zusammen zu singen. Neben der Bürgerrechtshymne "We Shall Overcome" und dem Antikriegslied "Where Have All The Flowers Gone" dürfte "My Rainbow Race" damit zu den Stücken des reichhaltigen Repertoires Pete Seegers gehören, die eine Art Ewigkeitsgarantie beanspruchen können.


Fußnoten:

[1] http://www.nytimes.com/1995/01/22/magazine/sunday-january-22-1995-the-old-left.html

28. Januar 2014