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KULTUR/0964: Was tun? Vom Datenschutz zur Gesellschaftskritik (SB)




Welcher Jahresabschlußevent hätte 2013 mehr Aufmerksamkeit verdient als der alljährlich stattfindende, dieses Mal aber besonders aufmerksam wahrgenommene 30. Chaos Communication Congress (30C3). Wenn sich die internationale Szene der Hacker und Netzaktivisten trifft, spielt das Verhältnis von Staat und Individuum stets eine wichtige Rolle. Nach den Enthüllungen Edward Snowdens zu den Überwachungsaktivitäten der NSA und anderer US-amerikanischer Geheimdienste allerdings war die Frage, wie in Zukunft mit der Intervention der Staaten in die datenelektronischen Aktivitäten ihrer Bürger verfahren werden sollte, allgegenwärtig. Das gilt um so mehr, als die Entwicklung seit Beginn der sogenannten NSA-Affäre deutlich gezeigt hat, daß eben nicht nur der US-amerikanische Geheimdienstkomplex starkes Interesse daran hat, alles über die Bürger aller Staaten in Erfahrung zu bringen. Immer mehr ins Bewußtsein der betroffenen Bevölkerungen rückt auch die Tatsache, daß es sich bei Geheimdiensten nicht nur um besonders privilegierte Informationssammelstellen handelt, sondern um Agenturen einer Geheimexekutive, die von der Verfolgung von bürgerrechtlich motivierten Whistleblowern über die Erstellung schwarzer Terrorlisten bis zur extralegalen Hinrichtung per Kampfdrohnen tief ins Leben einmal verdächtig gemachter Menschen eingreift.

Diese Form des staatlichen Gewaltmonopols zeichnet sich nicht erst seit der Einführung des Internets durch eine Form sogenannter Gefahrenabwehr aus, deren präventiver Charakter im direkten Widerspruch zu den Grundsätzen rechtsstaatlicher Strafverfolgung steht. Was durch die Abschöpfung umfassender Informationen aus dem internationalen Datenverkehr monströse Formen angenommen hat, wurde stets als Zugeständnis an einen Sicherheitsbegriff legitimiert, der in seiner staatlichen Bestimmung nicht deckungsgleich mit dem Sicherheitsbedürfnis der Subjekte staatlicher Herrschaft sein muß. Genaugenommen zeigt sich in der Vorverdächtigung der gesamten Bevölkerung als potentielle Bedrohung, wie sie etwa in der Vorratsdatenspeicherung vorgenommen wird, daß das Verhältnis zwischen individueller und staatlicher Sicherheit immer weiter divergiert.

So wird mit der hypertrophen Terrorismusabwehr nicht einer Bedrohung aus dem finsteren Limbus dämonischer Kräfte Einhalt geboten, sondern den selbstprovozierten Folgen einer imperialistischen Kriegführung. Daß diese von vornherein auf die Übermacht totaler Feuerkraft baut, zeigt sich auch in der Unfähigkeit terroristischer Organisationen wie Al Qaida, die realen und nicht nur symbolischen Zentren staatlicher Macht in den Ländern zu attackieren, die sie als Urheber des Unfriedens in ihrem Kulturraum ausmachen. Der militärische Overkill der NATO-Armeen provoziert Anschläge auf Ziele etwa im öffentlichen Raum, die realistischerweise nicht wirklich geschützt werden können, auf geradezu absehbare Weise, werden sie doch von Gruppen begangen, die westlichen HighTech-Kriegern weder in ihren Herkunftsländern noch in den Metropolengesellschaften irgend etwas entgegenzusetzen haben außer der schlichten Terrorisierung besonders ungeschützter Menschen.

Wenn die Hackergemeinde sich heute verwundert die Augen reibt und, so der Aktivist des Chaos Computer Clubs (CCC), Tim Pritlove, zum Auftakt des 30C3, wie aus einem bösen Traum aufwacht, um sich in einer "Hollywood-Realität" wiederzufinden, die noch schlimmer sei als das Privatkino im Schlaf [1], dann hat sich nicht die Welt um sie herum verändert, sondern die eigene Einschätzung vom Internet als Mittel der Demokratisierung als falsch erwiesen. Die vielbeschworene Transparenz verleiht stets denjenigen die meiste gesellschaftliche Macht, die über die ökonomischen Mittel und administrativen Kompetenzen verfügen, sie in ihrem Sinne anzuwenden. Das ist nicht nur den herrschenden Gewaltverhältnissen geschuldet, sondern auch der Teilhaberschaft an ihnen etwa in Form eines zu unkritisch reflektierten Freiheitsbegriffs.

So mutig der Schritt Edward Snowdens war und so berechtigt auf dem 30C3 erfolgte Aufrufe zum Whistleblowing der Systemadministratoren oder der Gegenspionage durch Hacker sind, bleibt die Analyse dessen, wogegen die internationale Netzgemeinde denn nun mobil gemacht werden soll, unvollständig. So ignoriert das radikale Bürgerrechtsverständnis Snowdens die dem bürgerlichen Freiheitsethos implizite Gewalt der auf dem Tauschwertäquivalent des Geldes und der Mehrwertabschöpfung basierenden Eigentumsordnung, deren Durchsetzung das staatliche Gewaltmonopol vor allem dient. Wer der Behauptung, Geheimdienste und Datenüberwachung seien erforderlich, um die Gesellschaft zu schützen, nicht mehr entgegenzusetzen hat als die Forderung, diesen Eingriff durch rechtsstaatliche Regeln zu beschränken, muß damit leben, daß der Sicherheitsprimat stets auf einer nach oben offenen, weil das gesellschaftliche Gesamtprodukt schützenden Skala vermeintlicher wie echter Bedrohungen operiert, während der individuelle Anspruch auf Privatsphäre zur Disposition der Grundlage seiner materiellen Bemittelung steht.

Kurz gesagt, wer die marktwirtschaftliche Kapitalakkumulation nicht überwinden will, akzeptiert mit der Durchsetzung unternehmerischen Interesses gegen die existentiellen Bedürfnisse der Menschen soziale Widersprüche, die sich nur mit Hilfe staatlicher Gewaltanwendung befrieden lassen. Relativierender Möglichkeiten einer besseren sozialen Versorgung oder höheren Besteuerung der Eigentümer eingedenk, steht der nationale Wettbewerbs- und Steuerstaat stets vor dem Problem, die Interessen des Kapitals gegen die Mehrheit der eigenen Bevölkerung wie der anderer Länder durchsetzen zu müssen, wenn er nicht der Basis der eigenen Reproduktion, der ökonomischen Bewirtschaftung seiner Bevölkerung, verlustig gehen will.

Daß sich die elektronische Datenvernetzung zu einem Produktiv- und Kontrollfaktor ersten Ranges entwickelt hat, ist auch den erheblichen Rationalisierungseffekten geschuldet, die sie für die Senkung der Arbeits- und Betriebskosten freisetzt. Das Internet ist alles andere als eine Spielwiese des kognitiven Kapitalismus, auf der Unterhaltung und Wissensbildung quasi losgelöst vom materialistischen Fundament gesellschaftlicher Wertschöpfung stattfinden, das belegt nicht zuletzt die Hackergemeinde selbst. Viele ihrer Mitgliederinnen und Mitglieder sind in die monopolkapitalischen Interessen großer IT-Konzerne eingebunden, nicht wenige wurden von den Staatsschutzabteilungen der Sicherheitsbehörden oder privatwirtschaftlichen Zuarbeitern der Geheimexekutive abgeworben. Sich über den antagonistischen Charakter der Gegenwehr gegen den Zugriff des datenelektronischen Komplexes, die, wie das Schicksal Snowdens oder Chelsea Mannings zeigt, mit Haftstrafen und schlimmerem geahndet werden kann, klarzuwerden, heißt sich mit den Grundlagen staatlicher Gewaltanwendung und kapitalistischer Vergesellschaftung auseinanderzusetzen.

Von daher sind die Debatten und Erkenntnisse des großen Hamburger Hackerkongresses allemal zu begrüßen, bieten sie doch Anhaltspunkte für Fragen und Einstiegsvektoren in Untersuchungen, anhand derer die datenelektronische Modernisierung kapitalistischer Gesellschaften in der ganzen Breite sozialfeindlicher Intervention und arbeitsgesellschaftlicher Rationalisierung diskutiert werden kann. Es gilt aber auch Abschied zu nehmen von einem Bürgerrechtsverständnis, das die repressionsstrategischen und machtpolitischen Zwecke der Akteure in Staat und Kapital im Interesse eigener Teilhaberschaft an den von ihnen erwirtschafteten Produkten, Gewinnen und Innovationen ignoriert oder als bloßes Bereicherungsinteresse verharmlost.


Fußnoten:

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/30C3-Chaos-Communication-Congress-mit-Snowden-Faktor-2072495.html

1. Januar 2014