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KULTUR/0959: Gedenken zum 20. Juli im Aufwind nationalkonservativer Restauration (SB)




Müßte in Anbetracht der längst erfolgten Heroisierung der Attentäter des 20. Juli 1944 nicht derjenige zivile Widerstand gegen das NS-Regime in größerem Ausmaß erforscht und bekannt gemacht werden, der nicht von den Offizieren der Wehrmacht geleistet wurde? Gelte dies nicht gerade für den kommunistischen Widerstand, der in der Bundesrepublik viel zu wenig gewürdigt worden sei? Was die Moderatorin des Deutschlandradios Kultur im Gespräch mit der ehemaligen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Antje Vollmer, zu fragen wagte, grenzte an einen Eklat, hatte die Grünen-Politikerin doch gerade ihrer Bewunderung gegenüber den Offizieren des 20. Juli Ausdruck verliehen. Als sei sie angetreten, späte Abbitte für die Mißachtung dieser Gegner Hitlers zu leisten, konstatierte sie, früher keine Vorbilder gehabt zu haben, außer vielleicht Dietrich Bonhoeffer oder Sophie Scholl: "Aber dieses ganze Kernunternehmen, was sich wirklich daran gewagt hat, das ganze Regime zu stürzen, war mir psychisch, biografisch, historisch äußerst fremd." [1]

Nun hat sich Antje Vollmer zusammen mit dem Journalisten Lars-Broder Keil daran gemacht, in dem zur diesjährigen Gedenkfeier an den 20. Juli 1944 veröffentlichten Buch "Stauffenbergs Gefährten: Das Schicksal der unbekannten Verschwörer" auf die weniger bekannten Akteure dieses Tages vor 69 Jahren zu verweisen. Das für sich gesehen sicherlich erhellende und interessante Unterfangen, dieses historische Beispiel für einen Regimewechsel aus den eigenen Reihen heraus zu erforschen, belegt im geschichtspolitischen Kontext des Datums allerdings den restaurativen Charakter des Projekts. Wie jedes Jahr an diesem Tag findet im Hof des Berliner Bendler-Blocks ein feierliches Rekrutengelöbnis statt, hat sich die Bundeswehr als vermeintlich größte Friedensbewegung des Landes doch darauf verlegt, sich über den Umweg des nationalkonservativen Widerstands in die unselige Tradition deutscher Angriffsarmeen zu stellen.

Begründet wurde dieser Brauch am 20. Juli 1999. An diesem Sommertag kurz nach Ende des Jugoslawienkrieges gab der Kanzler der rot-grünen Bundesregierung, Gerhard Schröder, den Rekruten, die erstmalig an diesem Ort die Gelöbnisformel aufsagten, das Vermächtnis mit auf den Weg, die Bundeswehr solle "auch und gerade dort, wo deutsche Armeen in der Vergangenheit Terror und Verbrechen über die Völker gebracht haben", Verantwortung für die Menschenrechte übernehmen. Gerade dort, wo Wehrmacht und SS unsägliche Verbrechen begingen, sollen deutsche Soldaten die Hegemonie der NATO und die Ordnung der kapitalistischen Marktwirtschaft durchsetzen. Um die Doktrin "Frieden schaffen durch noch mehr Waffen" zeitgeschichtlich und gesellschaftskonform verdaulich zu machen, soll der Blick auf die Attentäter des 20. Juli Wunder wirken. Doch diese zweifellos mutigen Männer wollten erst dann die Bremse ziehen, als gerade ihnen als Experten der strategischen Kriegführung klar vor Augen stand, daß die Niederlage nicht mehr aufzuhalten war und ein Ende des Krieges mit Hitler zu den denkbar schlechtesten Konditionen erfolgen würde.

Als die Moderatorin Antje Vollmer daran erinnerte, daß der zivile und kommunistische Widerstand gegen Hitler in der Bundesrepublik nicht annähernd so breitenwirksam gewürdigt wurde wie der der Attentäter des 20. Juli, da erwähnte sie den Kommunisten Georg Elser. Dessen in Eigenregie vorbereiteter Anschlag auf Hitler fand kurz nach der Eroberung Polens durch die Wehrmacht statt, als die Offiziere des 20. Juli noch von dem Bedeutungszuwachs profitierten, den dieser Erfolg und die weiteren Eroberungspläne Hitlers der Wehrmacht bescherten. Zum zivilen Widerstand zählte auch der Schweizer Theologiestudent Maurice Bavaud, der seinen Plan, den Diktator 1938 vor der Münchner Feldherrnhalle zu erschießen, mit dem Leben bezahlte. Auch die zu einer Zeit, da sich das NS-Regime großer Beliebtheit erfreute, bereits in der Illegalität operierenden Mitgliederinnen und Mitglieder der KPD wußten sehr viel früher, was Hitler nicht nur für Deutschland, sondern die Welt bedeutete. Ihr von Anfang an verlustreicher Widerstand wurde in der Bundesrepublik mit dem Verbot der KPD 1956 quittiert, und die Wehrmachtsdeserteure, die sich in der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland organisierten, sahen sich sehr viel länger als die Offiziere des 20. Juli vom Stigma des Landesverrates verfolgt.

Dabei vertraten die Attentäter des 20. Juli 1944 vor allem nationalistische Werte, die von eher undemokratischen Vorstellungen über die Nachkriegsordnung getragen waren. So idealistisch einzelne von ihnen waren, so sehr waren es Soldaten, die angesichts der nicht mehr schönzuredenden Niederlage Schadensbegrenzung betrieben und sich in den Stand versetzen wollten, politischen Einfluß auf die Gestaltung des Nachfolgestaats zu nehmen. Sie gehörten einer Wehrmacht an, die ihre Rolle als staatstragende Kraft sowie Eroberungsarmee schon lange vor diesem Tag in einer Weise übererfüllt hatte, die mit den heute anhand ihres Vorbildes propagierten Idealen des militärischen Widerstands kaum konform geht. Alle hatten ihren Eid auf Hitler abgelegt, keiner hatte gegen die Ermordung fast der gesamten SA-Führung protestiert, mit denen Hitler einen mächtigen Konkurrenten der Wehrmacht aus dem Feld schlug, keiner hatte seine Stimme gegen die Ermordung der Generäle v. Schleicher und v. Bredow erhoben. Die Offiziere des 20. Juli hatten den völkerrechtswidrigen Kommissarbefehl zur Ermordung sowjetischer Funktionäre akzeptiert und erfüllt, sie hatten den Tod von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen ebenso mitzuverantworten wie die Hinrichtung Hunderttausender Partisanen, Geiseln, Juden, Sinti und Roma vor allem in der Sowjetunion und auf dem Balkan.

Wenn heute Soldaten der Bundeswehr den Befehl verweigern, weil sie sich darauf berufen, an keinen völkerrechtswidrigen Kriegen teilnehmen zu dürfen, dann werden sie zwar nicht hingerichtet, aber durchaus nach Kräften schikaniert. Da ihre gutbegründete Verweigerungshaltung die Bundesregierung bloßstellt, haben sich die großen Medien und Parteien über die wenigen Fälle ausgeschwiegen, in denen Offiziere aufgrund der Teilnahme der Bundeswehr an völkerrechtswidrigen Kriegen den Befehl verweigerten.

Antje Vollmer erklärt ihr Interesse an den Attentätern des 20. Juli damit, daß sie sich als 68erin fast ausschließlich mit dem kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstand gegen Hitler befaßt habe. Das widerlegt natürlich nicht den Einwand der Moderatorin, vielleicht auch einmal diejenigen Widerständlerinnen und Widerständler zu würdigen, die heute erst recht vergessen sind. Wenn die Grünen-Politikerin meint, dem Interesse der Bundeswehr an ethischer Legitimation auf ihre Weise zuarbeiten zu wollen, dann ist das in Anbetracht ihres politischen Werdegangs nur folgerichtig. Mit dem zusehends negativ konnotierten Etikett "1968" begangene Jugendsünden müssen aufgearbeitet werden, indem die Kriegführung der rot-grünen Bundesregierung legitimiert und der nationalkonservativen Rechten, die sich heute durchaus auf die Offiziere des 20. Juli als Protagonisten eines besseren Deutschland beruft, in ihrem antikommunistischen Furor schlußendlich Recht gegeben wird.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/2184025/

20. Juli 2013