Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0956: "Umstritten" - Willi Sitte hat Besseres verdient (SB)




"Umstritten" sei er gewesen, der "DDR-Staatsmaler" Willi Sitte, der am Samstag im Alter von 92 Jahren verstarb. Seinesgleichen vorbehalten bleibt auch nach dem Tod das Vokabular der Verächtlichkeit. Gerade weil es sich zugestandenermaßen um einen der wichtigsten deutschen Maler der Gegenwart handelte, muß sein Gedenken mit dem Brandgeruch des Gesinnungsverdachts kontaminiert werden. Ein Maler, der zeitlebens als Mensch wie Künstler gegen Krieg und Faschismus gekämpft hat, wird, wenn sein Tod überhaupt zur Nachricht taugt, zum autoritätshörigen Staatsbüttel einer "ehemaligen" DDR herabgewürdigt. Mehr als drei rhetorische Kreuze gegen den untoten Kommunismus schlagen kann ein Journalismus, der angeblich aus der Neutralität bloßer Beobachtung informiert, nicht, wenn er nicht zur offenen Hinrichtung übergehen will.

Wieso nicht eine Angela Merkel als "umstritten" darstellen, wenn sie mit ihrer Politik die Verarmung von Millionen EU-Bürgern vergrößert? Wieso nicht einen Thomas de Maizière als "umstritten" bezeichnen, weil er mit dem Erwerb von Kampfdrohnen die Voraussetzung dafür schaffen will, daß die Praxis der extralegalen Hinrichtung auch bei der Bundeswehr eingeführt werden kann? Wieso keine Künstlerinnen und Künstler, die vom Sponsoring großer Konzerne profitieren, die ihr Geld mit der Armut, dem Hunger und dem Tod der Verdammten dieser Erde machen, als "umstritten" in den Dunstkreis gewissenloser Nutznießer der angemaßten Macht über Leben und Tod rücken?

Es bedarf schon eines Malers, der dem politischen System, in dem er die größte Zeit seines Lebens verbrachte, mit dem er Konflikte austrug, das ihn aber auch mit höchsten Meriten und Ämtern bedachte, nach dessen Verschwinden nicht abschwor, um die Würdigung seines Ablebens mit dem spitzen Zeigefinger der ideologischen Anprangerung zu vergiften. Willi Sitte ist in der Bundesrepublik nie "angekommen", und dafür hatte er gute Gründe, wie etwa sein 1999 gemaltes Bild "Der Tod fliegt mit" zum Überfall der NATO auf Jugoslawien belegt. Tod und Zerstörung durch faschistische Herrschaft und imperialistische Kriege waren in seinem Werk stets präsent, wie seine Gemälde zum Massaker von Lidice, mit dem die Nazis den Anschlag auf Reinhard Heydrich rächten, zeigen. Werke wie "Memento Stalingrad" oder "Höllensturz in Vietnam" kämpfen gegen den Verlust einer Erinnerung an, die die Schlachten der Vergangenheit produktiv macht, um die der Gegenwart und Zukunft nicht in der kollektiven Amnesie der neoliberalen Marktdoktrin versinken zu lassen.

Die Dämonisierung all dessen, was die DDR an bewahrenswerten sozialen und kulturellen Ergebnissen hervorgebracht hat, soll die Konfrontation mit den herrschenden Verhältnissen und Widersprüchen überflüssig machen. Sie wird mit der ahistorischen und apolitischen Doktrin entsorgt, laut der die Bundesrepublik an der Spitze humanitärer und demokratischer Entwicklung auf Trümmern und Ruinen aufgebaut wurde, die als das ganz Andere der eigenen Vergesellschaftung unumkehrbar überwunden worden seien. Die von CDU-Politikern verlangte Kriminalisierung von DDR-Symbolen soll den Deckel auf den Topf einer Geschichtspolitik setzen, in der Kommunismus und Faschismus ununterscheidbar zum extremistisch Bösen vermengt werden. Nur so kann die gnadenlose Auslese sozialdarwinistischer Konkurrenz- und Leistungsdoktrin ihrer Verwurzelung in eben jener faschistischen und biologistischen Ideologie enthoben werden, in der der Anspruch, andere Menschen zu beherrschen und auszubeuten, durch die Stärke des größten Räubers begründet wird et vice versa. Anders wissen sich Staat und Kapital nicht mehr zu helfen, um ihren auf nichts als dem bloßen Interesse, im verschärften Wettkampf der Nationen um die verbliebenen Lebensressourcen zu obsiegen, beruhenden Machtanspruch zu legitimieren.

All das, was die Bevölkerung der DDR dazu veranlaßte, die Einlösung des Versprechens auf Demokratie und Sozialismus zu verlangen und ihr politisches System zu diesem Zweck zu verändern, belegt seine zukunftsweisende Bedeutung anhand der auch nach 24 Jahren nicht nachlassenden Unversöhnlichkeit, mit der das Vermächtnis nicht nur dieses Staates, sondern auch seiner Gesellschaft bekämpft wird. Der schnelle Anschluß der DDR an die BRD war die Antwort auf die Unwägbarkeit einer historischen Lücke, aus der etwas hätte erwachsen können, was mehr in Frage gestellt hätte als die führende Rolle der SED. Künstler wie Willi Sitte standen mit ihrem Versuch, die gesellschaftliche Entwicklung in den Zusammenhang ihrer materialistischen und historischen Bedingtheit zu stellen, für die Freiheit des Menschen, aus jeder Widerspruchslage zu lernen, anstatt sich in besinnungsloser Reaktion auf sie noch tiefer in ihre zerstörerische Wirkung zu verstricken. Wo die Freiheit, Fehler zu machen, mit Beschuldigung und Bestrafung quittiert wird, führt schon die kleinste, für den Fortschritt des einzelnen wie aller unabdingbare Grenzüberschreitung in die Katastrophe. Der zwanghafte Versuch, den Maler zu einer Person herabzuwürdigen, die sich der falschen Herrschaft angedient habe, fördert das ganze Elend einer Kunst zu Tage, die sich der richtigen Herrschaft unterwirft, weil sie der Mut verlassen hat, die herrschende Moral als die Moral der Herrschenden anzugreifen und zu überwinden.

9. Juni 2013