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KULTUR/0935: Schwarzbraune Pädagogik für den feindseligen Alltag (SB)




Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern? Fehlanzeige. Ein Unterricht, in dem eigenes Denken gefördert und die Fähigkeit zu kritischer Reflexion entwickelt wird? Völlig undenkbar. Nur den eigenen Vorteil im Sinn haben und im Zweifelsfall den andern zu denunzieren, um freie Bahn zu haben? Volltreffer. Die schwarzbraune Pädagogik des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz verfolgt angeblich den Zweck, "Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus" auszumachen und zu bekämpfen. Was mit der Broschüre diesen Titels, die an Lehrer, Ausbilder und Erzieher auch im Bereich der Privatwirtschaft verteilt werden soll, im Kern verfolgt wird, beschränkt sich nicht nur auf passives Beobachten und Evaluieren, wie es übliche Geheimdienstpraxis ist.

Als ob es nicht schlimm genug ist, Mitarbeiter von Bildungsinstitutionen zu Spitzeldiensten anzuhalten, sollen sie etwaige Auffälligkeiten doch den Sicherheitsbehörden melden, so handelt es sich bei dem 26 Punkte umfassenden Kriterienkatalog für "Radikalisierungsmerkmale" um nichts anderes als ein positives Verhaltensdiktat. Wer keine Schwierigkeiten in der schulischen oder beruflichen Ausbildung bekommen will, weiß genau, was er alles nicht tun soll, um sich nicht verdächtig, und zwar terrorverdächtig, zu machen.

Da vom Makel des Terrorverdachts betroffene Menschen, so unbescholten sie im strafrechtlichen Sinne auch sein mögen, aufgrund der sicherheitspolitischen Präventivdoktrin mit einem Bein im Knast stehen, handelt es sich bei der Aufforderung, potentiell islamistische Jugendliche zu melden, um einen massiven Angriff auf ihre demokratischen Rechte. Welche Verfassung der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann auch immer zu schützen vorgibt, das Grundgesetz kann es nicht sein, forderte er doch schon anläßlich bundesweiter Razzias gegen Salafisten Mitte Juni, bei "besonders gefährlichen" Personen, die dieser Strömung des Islam zuzurechnen wären, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Anlaß dafür wären etwa Aufrufe zur Gewalt im Internet, so Schünemann [1] bei diesem Anlaß, ohne näher darauf einzugehen, wie man als Amtsträger Menschen als gefährlich vorverurteilen kann, die keine Straftat begangen haben.

Die Frage, wieso Jugendliche sich überhaupt von religiösen Bewegungen beeindrucken lassen, ist in der schwarzbraunen Pädagogik Niedersachsens ebenso wenig von Bedeutung wie eine Gefahrenanalyse, die von einem christlichen Fundamentalismus ausgeht, in dessen Namen vor einem Jahr in Norwegen 77 Menschen ermordet wurden. Soziale und gesellschaftliche Mängel, die eine Hinwendung zu einer der großen monotheistischen Religionen begünstigen, werden schon deshalb nicht angesprochen, weil sich herausstellen könnte, daß die Amtskirchen ihr Geschäft auf nicht weniger irrationale Weise vollziehen, als es muslimischen Missionaren angelastet wird. Vor allem könnte sich deren populistische Anprangerung als bloßes Instrument derjenigen erweisen, die ihre Privilegien mit antimuslimischer Feindbildproduktion befestigen wollen.

Sollten sich Jugendliche vom Islam angezogen fühlen, weil ihnen auffällt, daß der von Muslimen angeblich ausgehenden Bedrohung verlustreiche Kriege westlicher Staaten in Ländern des islamischen Kulturkreises vorausgingen, dann ist ihnen der humanistische Impuls, sich für Schwächere einzusetzen, unbedingt auszutreiben. Wenn Radikalismusverdacht gehegt wird, weil Muslime sich kritisch mit Angriffen auf den Islam auseinandersetzen oder spezifische Kritik an der Politik westlicher Regierungen üben, dann produziert der Kriterienkatalog das, was er anderen als feindselige und gefährliche Haltung anlastet. Sein Anteil am aggressiven westlichen Kulturalismus besteht darin, eine dem Islam zugeschriebene Gesinnung zu stigmatisieren, die mit dem Feindbild neokonservativer Kulturkämpfer identisch ist, ohne den apologetischen Charakter dieser Maßnahme auch nur im Ansatz zu reflektieren. Angelastet wird den Opfern der Verhaltens- und Gesinnungsprüfung, gegen einen Rechtsstaat zu agitieren, der den rechtstaatlichen Grundsatz, niemanden ohne Verstoß gegen das Strafrecht zu bestrafen, auf den Kopf stellt.

So werden bürgerrechtliche Schutzfunktionen außer Kraft gesetzt, die nicht nur mutmaßliche Islamisten, sondern jeden Menschen vor der Übermacht staatlicher Gewalt schützen sollen. Salafisten werden zu Staatsfeinden erklärt, weil man sich nicht auf eine Weise mit ihren zweifellos kritikwürdigen Grundsätzen auseinandersetzen will, bei der der Dialog den Platz der Repression einnimmt. Es ist nicht das erste Mal, daß sich die Rhetorik von Freiheit und Demokratie unter dem Anspruch, diese Werte zu schützen, selbst widerlegt. Kampfansagen gegen gesellschaftliche Minderheiten, so widrig man ihre Praktiken und Ziele auch empfinden mag, sind von dogmatischer Indoktrination nicht zu unterscheiden, das gilt auch in diesem Fall.

So basiert die Kurzsichtigkeit einer bürgerlichen Journaille, einen Angriff auf Bürgerrechte nicht erkennen zu können, weil die Antipathie gegen eine spezifische Gruppe alle Bedenken aus dem Feld schlägt, ihrerseits auf einer Menschenverachtung, die als Gegenstand im Schulunterricht zweifellos fruchtbare Ergebnisse der Aufklärung und Kritik hervorbrächte. Die schwarzbraune Pädagogik schürt Angst vor Migranten und provoziert nationalchauvinistische Reflexe, die einem ganz anderen Zweck dienen als demjenigen, für den angeblich mobil gemacht wird. Verstärkt wird die Gefahr einer staatlichen Ermächtigung, die sich niemals nur gegen diejenigen richtet, an deren medial verächtlich gemachten Bild ein Exempel statuiert wird. Das belegt eine auf EU-Ebene vorangetriebene Untersuchung sogenannter Radikalisierungstendenzen, die auf die Kriminalisierung vom erwünschten Konsens abweichender politischer Positionen hinausläuft [2], was angesichts des Anwachsens antikapitalistischen Widerstands nicht wertvoller sein könnte.

Fußnoten:

[1] http://www.ndr.de/regional/salafisten191.html

[2] siehe dazu REPRESSION/1385: Den "Feind" sezieren ... neues EU-Projekt politischer Kontrolle (SB) http://schattenblick.net/infopool/politik/kommen/repr1385.html

1. Juli 2012