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KULTUR/0914: Ware Schönheit - Liebe bis aufs Messer (SB)



30.000 Frauen in Frankreich wird die operative Entfernung der Silikonimplantate empfohlen, die sie sich im Rahmen einer schönheitschirurgischen Maßnahme haben einpflanzen lassen. 300.000 Frauen weltweit könnten von der kostendämpfendenMaßnahme eines französischen Herstellers betroffen sein, der Material für diese Prothesen verwendete, das wahrscheinlich für Matratzen vorgesehen war. Betroffene Frauen demonstrierten täglich vor dem Pariser Gesundheitsministerium, bis eine offizielle Empfehlung zur Beseitigung der Implantate ausgesprochen wurde. Ihr Erfolg, die Kostenübernahme des Eingriffs durch den Staat, bewegt sich im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Regulation, der jede Ware ein abstraktes, zwischen angeblich rationalen Marktakteuren über ihren Preis verhandeltes Gut ist, dessen qualitative Merkmale zu kritisieren eine Verletzung der Wettbewerbsfreiheit wäre.

Was jedoch wird gehandelt bei einer medizinischen Maßnahme, der in den meisten Fällen keine medizinische Indikation vorausgeht, weil sie lediglich die äußere Form eines sekundären Geschlechtsmerkmals betrifft und hinsichtlich ihres physiologischen Nutzens eher kontraproduktiv ist, da sie den Patientinnen mehr Körpergewicht auflastet? Geht man vom geläufigen Begriff für die plastische Chirurgie aus, dann soll eine größere Brust den Frauen zu mehr Schönheit, sprich sexuell stimulierender Attraktivität verhelfen. Der konkrete Anlaß des Skandals, ein plastisch verformbares, mit einer gelartigen, farblosen Substanz gefülltes Behältnis, gewinnt erst als Füllstoff der weiblichen Brust jene wohlfeile Qualität, die die Kundinnen der Schönheitschirurgen dazu bringt, sich einer teuren, von schmerzhaften Empfindungen begleiteten und negative Folgewirkungen riskierenden Verletzung ihres Körpers auszusetzen.

Diese Nachteile in Kauf zu nehmen, um auf dem sozialen Primärmarkt heterosexueller Beziehungen vor den Konkurrentinnen bestehen zu können, bringt den Warencharakter weniger des Silikonimplantats als der Frau selbst hervor. Der Mann als Sachwalter patriarchalischer, also ökonomischer und gesellschaftlicher Macht, tritt der Frau als Kunde einer Unternehmerin ihrer selbst gegenüber. Ihre Freiheit als Marktakteurin besteht darin, das eigene soziale Kapital mit prothetischen Mitteln zu maximieren oder eben die Nachteile einer angeblich weniger begehrenswerten Physis zu erleiden. Was in den ökonomisch eindeutig definierten Verhältnissen sogenannter Sexarbeit vollends als Investition in die Rentabilität des eigenen Körper zu erkennen ist, ist im Vertragsverhältnis der Ehe kaum minder von einem Tauschwert bestimmt, der das hohe Ziel der Liebe als Appendix der überlebensstrategischen Vermeidung jedes verbindlichen Kontakts mit dem anderen Menschen erscheinen läßt.

Nun im besten Fall das Recht auf eine kostenlose Entfernung der fehlerhaften Implantate zu erlangen, anstatt eine Debatte um die Lage der Frauen zu entfachen, die sich erklärtermaßen freiwillig - wenn man die Akzeptanz materieller Zwangslagen im neoliberalen Kontext als Ausdruck des freien Willens bezeichnen will - unter das Messer des kosmetischen Gewerbes begeben, könnte man als soziales Elend auf hohem Niveau bezeichnen. Wo Frauen wie Männer westlicher Metropolengesellschaften schnell mit dem Urteil bei der Hand sind, daß ein aus Glaubensgründen angelegtes Kopftuch bei muslimischen Frauen stets das Ergebnis patriarchalischer Gewalt sei, da wird der in weibliche Körper unter Schmerzen eingeschriebene Warencharakter der Schönheit im gleichen Atemzug als Erfolg bürgerlicher Selbstbestimmung verkauft. Den Objektcharakter des mit diesem Konsumgut aufgehübschten Körpers als sexistische Erniedrigung der betroffenen Frauen herauszustellen liegt diesen Kritikerinnen und Kritikern so fern, wie ihnen die Suprematie der kapitalistischen Freiheitsdoktrin in Fleisch und Blut übergegangen ist, so daß deren Verteidigung zu einer Notwendigkeit idenditärer Vergewisserung und damit jeglicher kritischen Reflexion entzogen wird.

Wo Menschen ihre sozialen Beziehungen über den Tauschwert gesellschaftlicher und ökonomischer Vorteilnahme taxieren, trägt die Gleichsetzung der materiellen Zwänge, denen sie in Produktion und Reproduktion ausgesetzt sind, mit der Freiheit konsumistischer Entscheidungsgewalt die Frucht verkannter und vergessener Fremdbestimmung. Diese nicht überwinden zu wollen, sondern als Garanten eigener Überlebenssicherheit zu begreifen, schmiedet die Glieder der goldenen Kette affirmativer Versklavung durch das Kapital unlösbar zusammen. Die rosa Brille eigener Beteiligung am daraus erhofften Gewinn durchdringt den angeblich höchsten Wert menschlicher Gemeinschaft, die Liebe, mit der technischen Ratio des Nutzens und Gebrauchs. Silikonimplantate und Botoxinjektionen staffieren die Charaktermasken einer geldwerten Empathie mit den Attributen einer Schönheit aus, die das ganze Arsenal kulturindustrieller Produktivität von der computergenerierten Nachbesserung bis zum heimischen Plasmabildschirm voraussetzt. Wird dort der Ethos einer angeblich bedingungslosen Liebe bis in den Tod hinein und darüberhinaus getrieben, dann hängt das Publikum vollends am Band einer maschinellen Produktivität, die ihm jeden Begriff davon nimmt, was es mit Autonomie und Freiheit auf sich haben könnte.

25. Dezember 2011