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KULTUR/0907: Glasauge Nahost - Wenn sich Kultur mit Medienmacht vermählt (SB)



Wenn sich Kultur mit Medienmacht vermählt, da keine bessere Partie in Aussicht steht, darf ein Politikwissenschaftler wie Wolfgang Kraushaar gern die Blumen bei der Hochzeit streuen. Die Kulturstiftung des Bundes fördert die Ausstellung "BILD DIR DEIN VOLK - AXEL SPRINGER UND DIE JUDEN, die das deutsch-israelische Verhältnis aus der Perspektive der größten deutschen Boulevardzeitung thematisiert. Da Springer selbst wie auch sein Philosemitismus der bundesdeutschen Linken stets ein Dorn im Auge waren, dient sich Kraushaar an, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Linke des Antisemitismus zu bezichtigen und ihre Feindschaft gegenüber dem Medienmogul als wahnhafte Ausgeburt desselben Judenhasses zu diskreditieren. Um diesen Bogen zu schlagen, bedarf es zwar abenteuerlicher argumentativer Winkelzüge und Verrenkungen, doch winkt ein vielversprechendes Resultat: Es enthebt den Autor im "Dauerstreit um Israel" jeder ernstzunehmenden Analyse israelischer Regierungspolitik und gestattet ihm zugleich, "das prekäre Verhältnis zwischen Axel Springer und der Linken" bar jeder Medienkritik psychologistisch und damit wie im Kaffeesatz lesend zu verschleiern. [1] Daß so viel Liebedienerei mit einem warmen Platz im Hochzeitsbett besagten Brautpaars belohnt wird, darf zwar bezweifelt werden, doch sollten von der reichgedeckten Tafel dieses Bundes fürs Leben schon ein paar Brocken für verdiente Subalterne abfallen.

Wer wollte sich schon auf die Seite der Palästinenser stellen, die seit über 60 Jahren regelmäßig Prügel beziehen, für jedes Fünkchen Aufbegehren mit Erniedrigung und Entwürdigung bestraft werden? Liefe man dabei nicht Gefahr, vor den tagtäglichen Grausamkeiten des Besatzungsregimes nicht länger die Augen zu verschließen? Müßte man nicht die Stimme erheben gegen Massaker, allgegenwärtige Bedrohung, administrative Willkür und unablässige Verhinderung palästinensischen Lebens? Gebietet nicht Humanität, sich in einem solchen Konflikt für die weitaus schwächere Seite einzusetzen?

Nein, meint Wolfgang Kraushaar, der es lieber mit dem "zwar mächtigen, von seinem Habitus her aber eher moderat eingestellten" Springer hält. Allemal aussichtsreicher ist es an der Seite Israels, mit den Amerikanern und Deutschen und wer weiß wem noch im Rücken, mit der atomar gerüsteten militärischen Übermacht, mit der Stärke, die sich so vorbildlich mit dem Deckmantel permanenter Selbstverteidigung umgibt. Dort steht man allemal auf der richtigen Seite und läuft nicht Gefahr, von links angehauchten Jugendsünden eingeholt zu werden. Rechnet man ab mit den alten 68ern und der neuen Linkspartei, indem man sie gleichermaßen über den Kamm des Antisemitismus schert, findet man bestätigt, daß sich kritischer Geist nun wirklich nicht lohnt, weil er doch nur pathologische Verwirrung produziert:

Als rätselhaft muß vor allem ein doppelter Vorgang erscheinen: Zunächst die emphatisch vollzogene Hinwendung zu den Ländern der Dritten Welt und die damit einhergehende Glorifizierung nationalrevolutionärer Guerillaorganisationen, dann die Wahl des Nahostkonflikts als zentraler Krisenregion und die damit verbundene Identifikation mit den verschiedenen palästinensischen, als Befreiungsbewegungen idealisierten Terrororganisationen. Mit dieser doppelten Wahl wurden zwei Ausblendungen vollzogen: Zum einen die als tabuisiert angesehene Frage der deutschen Nation und zum anderen die für die deutsche Spaltung verantwortliche Blockkonfrontation zwischen Ost und West. Beide Aussparungen, die für das Selbstverständnis einer westdeutschen Linken hätten zentral sein müssen, haben ihre Wurzeln in der NS-Vergangenheit und der auf den Trümmern des Nationalsozialismus errichteten Nachkriegsordnung. Sie waren offenbar so massiv, dass sie durch den Internationalismus im Allgemeinen und die Identifikation mit den Palästinensern im Besonderen überblendet werden mußten.

Nicht nur, daß sich der Autor hier eklatanter historischer Dilettantismen befleißigt, wenn er allen Ernstes behauptet, das in der bundesdeutschen Linken de facto heftig und kontrovers diskutierte Verhältnis zum eigenen Staat und dem Ost-West-Konflikt sei tabuisiert und ausgespart worden. Er will den Leser darüber hinaus für dumm verkaufen, wenn er Internationalismus und Solidarität mit den nicht zuletzt durch den hiesigen Imperialismus Unterdrückten in aller Welt als rätselhaftes Phänomen vernebelt, das nur auf der Couch der Psychoanalyse aufzuklären sei: Eine "wahnhafte Ideologie", die unter dem "vermeintlichen Schutz marxistisch-leninistischer Kategorien" implizit an die antisemitischen Klischees der NS-Zeit anknüpfe. Die Solidarisierung habe die Möglichkeit geboten, die Verbrechen des eigenen Landes zu überblenden, behauptet Kraushaar.

Natürlich meint er nicht die aktuellen Untaten des deutschen Staats, die ihn ebenso wenig interessieren wie jene Israels, denn die wurden ja von der Linken thematisiert. Er verortet vielmehr hinter allem, was er argumentativ nicht widerlegen will oder kann, eine "heimliche Selbstrechtfertigung", die den Holocaust relativiert. Nun könnte man an dieser Stelle natürlich den Spieß umdrehen und fragen, wie eine Person wohl psychologisch zu diagnostizieren sei, die hinter allem und jedem, das nicht in ihr Denkkonzept paßt, ein und dasselbe Motiv des Antisemitismus zu erkennen meint, das der andere verdränge.

Denn Kraushaar fährt munter fort, die von ihm selbst aufgeworfene Frage, ob es sich womöglich so verhalte, schon im nächsten Absatz als Faktum zu behandeln. Eingedampft auf aus dem Zusammenhang gerissene psychoanalytische Konstrukte fabuliert er davon, daß man per "Verdrängung, Verleugnung, Abspaltung, Projektion und (...) Verschiebung" dem Repräsentanten der Opfer etwas von jener Schuld aufbürden konnte, die auf den Schultern der Eltern lastete und ihre Nachkommen überforderte. Kurzum, "in der Figur der Palästinenser bot sich zugleich ein Objekt der projektiven Identifizierung. Sich an ihre Seite zu stellen war so etwas wie der geheime Garant der eigenen Entlastungsfunktion. (...) So konnten unverarbeitete psychische Probleme zum Motor eines vermeintlichen politischen Projekts werden." Ist Solidarität mit Unterdrückten, Unterstützung der Schwachen nichts anderes als ein psychisches Problem, das es folglich mit therapeutischen, wenn nicht gar rabiateren Mitteln abzustellen gilt? Wolfgang Kraushaar legt das nahe, wenn er seine Einäugigkeit im Nahostkonflikt auf die Spitze fugenloser Anbetung deutsch-israelischer Staatsräson treibt.

Und was hat das alles mit Axel Springer zu tun? Der sei so etwas wie ein Erzfeind der Linken gewesen, die sein Medienimperium als Werkzeug zur Manipulation der Massen identifizierten und angriffen. "In der linken Fantasie", schreibt der Autor, habe dieser Mann zwischen "ihrer klassenkämpferisch ausgerichteten Mobilisierung" und der "politischen Apathie der Massen" gestanden. Ohne mit einem einzigen Wort darauf einzugehen, ob dieser Vorwurf womöglich mehr als ein bloßes Hirngespinst gewesen sein könnte, findet Kraushaar "einige Punkte, die Springer auf eigentümliche Weise mit der einstmals radikalen Linken verbinden". Der SDS sei bis 1967 philosemitisch gewesen, und Axel Springer habe genau zum selben Zeitpunkt begonnen, sich diese Haltung zu eigen zu machen: "Es war fast so, als habe er damit einen Staffelstab übernommen und ihn dabei nur von der linken in die rechte Hand gelegt." Ist Axel Springer womöglich der wahre Erbe der Linken, die auf demselben Kurs mit ihm steuerten, hätten sie nur nicht die Weggabelung in den Antisemitismus genommen? Oder hat es die Linke am Ende gar nicht gegeben, weil es sich bei ihr in Wirklichkeit um philosemitische Staffelläufer handelte? Fragen über Fragen, die wohl nur der Autor beantworten kann.

Fußnote:

[1] Wolfgang Kraushaar: Dauerstreit um Israel. Das prekäre Verhältnis zwischen Axel Springer und der Linken. Beitrag im Magazin der Kulturstiftung des Bundes Nr. 18 (Herbst/Winter 2011), Seite 32-34.

13. November 2011