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KULTUR/0893: Sarrazin in Kreuzberg - Menschen vorführen, Widerstand diffamieren (SB)



Wie attraktiv es für Journalisten öffentlich-rechtlicher Sender ist, gesellschaftlich konträre Positionen vor laufender Kamera aufeinanderprallen zu lassen, belegt die Planung gleich zweier Sender, von Thilo Sarrazin als unproduktiv und rückständig diffamierte Menschen öffentlich-rechtlich vorzuführen. Nachdem die ZDF-Sendung aspekte am 22. Juli just an dem Tag, als in Norwegen ein gegen Muslime und Linke gerichtetes Massaker stattfand, ein solches Schaustück präsentiert hat, zeigt man sich beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) verstimmt darüber, dies nun nicht mehr als erster tun zu können. Da die Journalistin Güner Balci bereits für das ZDF mit Sarrazin unterwegs war und der RBB durch die aspekte-Ausstrahlung der Exklusivität des Spektakels beraubt wurde, scheint es obsolet geworden zu sein, diesen Eklat noch in eigener Regie zu inszenieren.

Wie auch immer die Fronten in diesem von diversen Akteuren in Rundfunk und Presse geführten Streit verlaufen [1], so geht die Debatte vollständig an dem eigentlichen Anlaß zur Empörung vorbei. Dieser besteht zuerst einmal darin, an der Ausstrahlung der bereits zuvor als Bestätigung der rassistischen Behauptungen Sarrazins kritisierten Reportage festgehalten zu haben, obwohl es bereits einen halben Tag zuvor zu einem Bombenanschlag im Regierungsviertel von Oslo gekommen ist. Die Mutmaßungen sogenannter Terrorismusexperten über eine islamistische Urheberschaft wurden im heute-Journal um 22.00 von dem ZDF-Terrorismusexperten Elmar Theveßen in Anbetracht der jüngsten Erkenntnisse der norwegischen Polizei zwar relativiert, doch wollte er die Al Qaida-These nicht ohne weiteres fallen lassen. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung Aspekte um 23.15 war das ganze Ausmaß des Massakers auf der Insel Utøya bekannt, zudem machten bereits Nachrichten über den rechten Hintergrund des Attentäters Anders Behring Breivik die Runde.

In beiden Fällen hätte man beim ZDF zu dem Schluß gelangen können, den Beitrag über den Besuch Thilo Sarrazins in Berlin-Kreuzberg in Anbetracht der großen Nähe des darin verhandelten Konflikts zum Geschehen in Norwegen zumindest zu verschieben. Hätte es sich um Anschläge von Islamisten gehandelt, dann wäre der Beitrag Wasser auf die Mühlen des islamfeindlichen Ressentiments gewesen. Daß es nicht so war und nämliche Experten bewiesen haben, daß ihr Horizont nicht über den des islamfeindlichen Boulevards hinausgeht, hätte ebenso Anlaß zu einem sensiblen Umgang mit dem Thema sein können. So belegt die menschenfeindliche Ideologie Breiviks, daß sich rassistische Gewalt stets in einem gesellschaftlichen Umfeld entlädt, in dem zuvor populistische Feindseligkeit geschürt wurde. Da dem Rassismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk prinzipiell keine Bühne gegeben wird, bräuchte man sich gegenüber dem Vorwurf der Zensur nicht zu rechtfertigen. Daß derartige Auftritte, wenn es sich nicht um Neonazis handelt, sondern eine Stimme aus der Mitte der Gesellschaft, dennoch produziert werden, illustriert den notwendigen Charakter einer Feindbildproduktion, die virulente soziale Widersprüche vergessen machen soll, um die dabei entstehende Aggression in sozialrassistisches Fahrwasser zu lenken.

Bei dem ehemaligen Finanzsenator Berlins und Bundesbanker handelt es sich in den Augen seiner Anhänger um einen honorigen Bürger, der nichts anderes tut, als zu sagen, was er denkt. Dessen sozialchauvinistischen Angriffen auf "unproduktive" Menschen wie seinen zum Teil erbbiologisch begründeten Behauptungen über die intellektuelle wie mentale Verfassung ganzer Kulturkreise Akzeptanz zu verschaffen, indem man ihn unter dem Anspruch einer demokratischen Debatte auf die Objekte seiner Verunglimpfung treffen läßt, kann nicht bloßer Naivität geschuldet sein. Wenn eine renommierte Journalistin wie Güner Balci geltend macht, daß es doch darum ginge, miteinander zu reden, dann zieht sie das herrschende Gewaltverhältnis ins Kalkül eines beruflichen Projekts, ohne im Vorwege auf angemessene Weise darüber aufzuklären. Sarrazin hat sich bereits in seinem Lettre-Interview vor bald zwei Jahren abwertend über Menschen türkischer und arabischer Herkunft ausgelassen und nimmt bis heute nichts davon zurück. Mit ihm im Auftrag des ZDF unterwegs zu sein und ihn dabei gewähren zu lassen, wie er pauschale Aussagen über "Orientalen", "Polen", "Türken" trifft, um dann die erregten Reaktionen vorzuführen, hat denn auch eine Wirkung gezeitigt, die im Sinne quotenorientierten Fernsehens nur als erwünscht bezeichnet werden kann.

Die medialen Reaktionen auf die ZDF-Sendung erwecken mehrheitlich den Eindruck, Sarrazin sei aggressiv angegangen und damit in seinem Recht auf Meinungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden. Tatsächlich traf dies bestenfalls auf vereinzelte Reaktionen empörter BürgerInnen des von Sarrazin in Gänze als Hort nichtswürdiger, da unproduktiver Existenz diffamierten Berliner Stadtteils zu. Wo Sarrazin auf Menschen traf, die ihn direkt damit konfrontierten, daß er pauschal abwertend über sie urteilte, ohne irgend etwas über sie zu wissen, da erwies sich, daß er alles andere als gesprächsbereit war. Dazu gehört, nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst kritisch zu prüfen. Das ist nicht der Fall, wenn Menschen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht anders können, als von Sozialtransfers zu leben, prinzipiell herabgewürdigt und darüberhinaus in ihrer ethnischen Herkunft einer von der Arbeit anderer lebenden Existenz bezichtigt werden.

Die Frage der Autorin zum Ende des Beitrags, wie man ein vernünftiges Gespräch in Gang setzen könnte, klammert von vornherein aus, daß die eingeforderte Vernunft seitens Sarrazins aus populistischen Gründen längst über Bord geworfen wurde. Wenn der Autor des Buches "Deutschland schafft sich ab" in Kreuzberg alle Fragen der Betroffenen mit der Behauptung abwehrt, es so nicht gesagt zu haben, um gleichzeitig zu verstehen zu geben, daß er von seinen diffamierenden Äußerungen kein Jota abrückt, dann sind die Reaktionen der im Aspekte-Beitrag zu Wort kommenden Personen mehr als zurückhaltend. Güner Balci macht dennoch geltend, sie habe zuvor nicht einschätzen können, daß ein solcher Auftritt Proteste organisierter Kräfte provozieren würde. Dies unter einer "Antifa" zu verbuchen, die ja sowieso immer präsent wäre, "wenn irgendwas ist, wo sie randalieren können" [2], dokumentiert bourgeoise Ignoranz gegenüber dem tiefgreifenden Charakter des als "Sarrazin-Debatte" nur unzureichend beschriebenen Konflikts.

Indem Balci den zeitweilig lauten Protest dafür verantwortlich macht, daß es keine Gesprächsbasis mit denjenigen Kreuzbergern gegeben hätte, die mit Sarrazin reden wollten, und diese Reaktion als "zu extrem" bezeichnet, präsentiert sie sich als Sachwalterin einer Diskurskultur, die den Bedingungen der Herrschenden unterworfen sein muß, um als solche zu gelten. Ein Gespräch auf Augenhöhe kann nicht erfolgen, wenn die dabei verhandelten Positionen einseitig von einem kulturindustriellen, Kapitalinteressen verpflichteten Apparat gegen die von vornherein schwächere Partei aufmunitioniert werden. Daß der offensive Rassismus Sarrazins medial nicht wirklich diskutiert, sondern bestenfalls moderiert wird, belegt die verzerrende Darstellung Balcis, laut der das vermeintlich unschuldige Anliegen Sarrazins und der aspekte-Redaktion auf abweisende bis aggressive Weise zum Scheitern gebracht worden wäre.

Unter dem erreichten Stand an Feindseligkeit hätte Sarrazin mit gutvorbereiteten KritikerInnen seiner Position konfrontiert werden müssen, die in der Lage gewesen wären, seinen Sozialrassismus auf der Höhe der von Balci beanspruchten Diskurskultur nach Strich und Faden in seiner Menschenfeindlichkeit auszueinanderzunehmen. Zu diesem Zweck hätte es eines weit umfangreicheren Zeitrahmens bedurft, der überhaupt die Möglichkeit geboten hätte, explizit und differenziert auf die von ihm produzierten Thesen einzugehen. Diese werden seit mindestens einem Jahr mit erheblicher publizistischer Macht verbreitet und lediglich in Kreisen links von den etablierten bürgerlichen Parteien konsequent als rassistisch ausgewiesen und als irreführend widerlegt. Letzteres kann allerdings nur vor dem Hintergrund demokratischer Werte erfolgen, die von den Apologeten eines weißen christlichen Abendlands längst nicht mehr respektiert werden. Wäre es so, dann wäre eine aufgrund religiöser und ethnischer Zugehörigkeit erfolgende Diffamierung ganzer Gruppen gar nicht möglich.

Widerstand gegen dieses Gedankengut ist nach dem Massaker in Norwegen legitimer denn je. Daß sich nur kleine Gruppen der Bevölkerung dazu aufraffen, um dafür noch notorischer Krawallmacherei bezichtigt zu werden, zeigt, wie wenig die angeblich aus dem deutschen Faschismus gezogenen Lehren fruchten. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Verkennung, daß diese kulturalistisch larvierte, von neokonservativen über christlich-fundamentalistischen bis antikommunistischen Ideologen befeuerte Offensive zutiefst sozialfeindlichen Charakters ist. Im Endeffekt geht es um die Durchsetzung eines Verwertungsregimes, das, wie die andauernde Finanzkrise belegt, die Grundlagen seiner Reproduktion kannibalisiert, weil seine Wertbasis im Verhältnis zu den finanztechnisch vervielfältigten Kapitalmengen immer schmaler wird. Wenn es, wie zur Zeit in Ostafrika, schließlich darum gehen soll, wer leben darf und wer sterben muß, dann wurde diese Wahl schon heute getroffen.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,777295,00.html

[2] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1392904/Zwei-Attentateein-Taeter%253F#/beitrag/video/1389674/Einen-Dialog-zustande-kommen-zu-lassen

siehe auch:
BERICHT/052: Dreikönigstreffen mit Sarrazin ... vom Diskurs zum Tribunal (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber052.html

1. August 2011