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KULTUR/0893: Schönheitskult blutig serviert - Leistungsshow für Sklavenexistenzen (SB)



Menschen, die aufgrund ihres Aussehens diffamiert und ausgegrenzt werden, wird bei RTL 2 geholfen. In der Doku-Soap "Extrem schön - Endlich ein neues Leben" können sie eine Rundumerneuerung an sich vollziehen lassen, nach der nichts mehr wie zuvor sein soll. Da es sich bei dem kommerziellen Fernsehsender um keine Sozialstation handelt, findet die mit allen Finessen medizinischer Kunst vollzogene Verwandlung vom häßlichen Entlein in einen schönen Schwan zum Ergötzen eines Publikums statt, das sich am lebendigen Objekt vom segensreichen Wirken der plastischen Chirurgie überzeugen kann.

Die Bildergalerien [1], die in Vorher-nachher-Strecken das ganze Elend überwundener Häßlichkeit präsentieren, illustrieren jedoch nicht nur die frappante Modellierbarkeit des menschlichen Körpers. Sie dokumentieren darüber hinaus einen Ausbund an Verächtlichkeit insbesondere gegenüber Frauen, das an das Vorführen als minderwertig stigmatisierter "Untermenschen" oder zu Studienzwecken in ihrem Scheitern exponierter Psychiatriepatienten gemahnt. Sowohl das Vorzeigen von Zahnlücken, üblicherweise ein Armutsphänomen, als auch das durch das weite Öffnen des Mundes verzerrte Gesicht muß auf das Publikum abstoßend wirken. Gleichzeitig weisen viele der abgebildeten KandidatInnen Gesichter auf, deren Physiognomie zwar nicht den idealisierten Schönheitsidealen von Filmstars entspricht, deren Not aber auch ganz andere Gründe haben kann als die ihres Aussehens.

Um die Ware Schönheit gewinnträchtig produzieren zu können, bedarf es einer verallgemeinerten Norm der Häßlichkeit, über die sich das Gros der Menschen erheben kann. Der soziale Ethos, mit dem der Sender hausieren geht, wenn er die Kosten eines acht Wochen währenden Umbaus der Kandidatin finanziert, produziert gerade die Ausgrenzung, die er zu beheben vorgibt. Menschen mit einer ganzen Reihe zum Teil simultan durchgeführter und niemals ganz risikofreier Operationen zu traktieren, ihnen die schmerzhafte Heilung der dabei zugefügten Verletzungen zuzumuten, tief in die organische Integrität ihrer Physis einzugreifen, um ihnen so ein Selbstwertgefühl zu vermitteln, das ausschließlich vom Auge der Betrachter abhängt, läuft bestenfalls auf eine Werbeaktion für die Schönheitsindustrie und schlimmstenfalls auf ein Menschenlabor hinaus, in dem die Grenzen physischer Belastbarkeit und Wandlungsfähigkeit erforscht werden.

Showformate wie "Extrem schön" sind nicht neu, es gibt sie in zahlreichen Varianten. Ob es um physische Verschönerung, Erhalt eines Arbeitsplatzes, Vermittlung eines Partners oder Überleben unter widrigen Bedingungen geht, allen gemein ist der Charakter einer sozialdarwinistischen Leistungsshow. Die KandidatInnen müssen im Auge eines Publikums bestehen, das seinerseits Normen der Anpassungs- und Leistungsbereitschaft verinnerlicht hat, die im Sozialkampf permanent gegen den anderen gerichtet werden, der es schließlich auch nicht besser als man selbst haben soll. Die Konkurrenz muß nicht einmal im jeweiligen Showformat in Erscheinung treten, um ihre omnipräsente Gültigkeit unter Beweis zu stellen. Sich auf den Leisten fremder Erwartungen zu spannen, allem und jedem gefallen zu wollen und nach dem schönen Schein zu streben zerstört alles, was an Emanzipation von diesen Zwängen überhaupt erst das embryonale Stadium seiner Inanspruchnahme erreichen müßte. Der Gedanke daran, mit Menschen auf eine so verbindliche Weise in Kontakt zu treten, daß die gesellschaftlich normierte Physis wie ein Fremdkörper wirkt, bleibt ungedacht, weil der Versuch, sich zum Objekt fremden Nutzens, zur verkonsumierenden Ware zu stilisieren, Fremdbestimmung total und damit unüberwindlich macht.

"Extrem schön" ist extrem kaputt. Die Funktionalisierung des Menschen in Gestalt einer "Persönlichkeit" tritt als gesellschaftliches Lehen ihm aufoktroyierter, abgerungener und eingeschriebener Verhaltensweisen wie Körperattributen hervor. Ist die Charaktermaske noch so schön geschminkt und appetitlich angerichtet, sie verdankt ihre Existenz dem Interesse an Verwertbarkeit und Beherrschbarkeit. Wer sich diesen Imperativen nicht unterwirft, wer um befreite Leiblichkeit, autonome Lebenspraxis und vom Warenfetisch losgelöste Produktivität kämpft, ist den Kategorien gesellschaftlicher Verfügbarkeit möglicherweise so fremd, das seine Ausgrenzung, Stigmatisierung, Eliminierung schon aus apologetischen Gründen zwingend zu erfolgen haben.

Der Idealisierung körperlicher Attribute liegt eine rassistische Menschenfeindlichkeit zugrunde, die als "behindert" markierte Menschen von vornherein ins Abseits stellt. Das Optimierungsdiktat, das Frauen wie Männer schon bei kleinen Irritationen der körperästhetischen Norm reihenweise in die Schönheitskliniken treibt, um ihrer beruflichen Karriere auf die Beine zu helfen, ist Ausdruck einer aggressiven Zurichtung auf Erfolg. Sie setzt Konkurrenz voraus, kann also im Ergebnis nur selektiv sein. Um diese dem Verwertungsinteresse adäquate Zwangslage unüberwindlich zu machen, ist sie mit Schreckensbildern des abstoßend Häßlichen, des rundheraus Verwerflichen umstellt. Daß dahinter nicht der blanke Horror droht, sondern die Freiheit unbeherrschbarer Subjektivität lockt, soll ein bloßes Gerücht sein.

Fußnote:

[1] http://www.rtl2.de/29541.html

Siehe dazu auch:
Schattenblick - INFOPOOL - BILDUNG UND KULTUR - REPORT
BERICHT/017: "Die Untoten" - Das zweite Gesicht des Schönheitskultes (SB)
http://schattenblick.org/infopool/bildkult/report/bkrb0017.html

29. Juli 2011