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KULTUR/0889: Meeres- und Klimaschutz sollte nicht dem Establishment überlassen werden (SB)



In der dichten Abfolge tagesaktueller Ereignisse von zumeist globaler Tragweite fristen manche unspektakulär wirkenden, aber keineswegs weniger bedeutsamen Meldungen ein Schattendasein. Wo die Euro-Finanzkrise, der von der Nato angeführte Krieg gegen Gaddafi-Libyen, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Syrien, das blutige Geschehen in den Kriegsgebieten Afghanistan, Pakistan und Irak die internationale Berichterstattung dominieren, wird bereits der mehrfache Super-GAU im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi in die zweite Reihe gerückt. Das Scheitern der Verhandlungen der UN-Klimakonferenz in Bonn findet sich noch weiter hinten, und wer hat schon von der Warnung einer Gruppe Wissenschaftler vor dem Artensterben in den Weltmeeren vernommen?

Am Montag vorgestellt, haben 27 Forscher aus sechs Ländern die Ergebnisse einer Tagung an der Universität Oxford in einer Studie zusammengefaßt [*]. Das Ergebnis, in knappen Worten: Nicht zuletzt als Folge menschlicher Aktivitäten sind die Ozeane von Erwärmung, Überfischung und Versauerung bedroht - es hat ein Massensterben unter den marinen Arten eingesetzt, wie es die letzten 55 Millionen Jahre nicht mehr auftrat. Die Forscher zeigten sich schockiert und sprachen vom sechsten großen marinen Massensterben der Erdgeschichte.

Diese Nachricht sollte jedoch kein Anlaß für Größenwahn sein, nach dem Motto: immerhin heben wir Menschen uns von der Mitwelt in dem gewaltigen Maß der von uns angerichteten weltumspannenden Zerstörungen ab. Die Konsequenzen der von den Meeresforschern beschriebenen Entwicklung sind verheerend und sie sind bereits heute relevant. Für Hunderte Millionen Menschen bilden Fische und andere Meerestiere die wichtigste Ernährungsgrundlage. Sollten sie aussterben, würde die wirtschaftliche Not der arbeitslos gewordenen Fischer noch bei weitem von der unmittelbaren existentiellen Not vieler Menschen aufgrund des Nahrungsmangels übertroffen.

Dabei haben die Meeresforscher noch nicht einmal alle katastrophalen Optionen dieser desaströsen Entwicklung thematisiert. Die beschriebene Verschmutzung und Versauerung der Meere, der Rückgang des Planktons sowie der Düngereintrag aus der Landwirtschaft lassen den Sauerstoffgehalt der Meere eben nicht nur in den abgrenzbaren und von den Forschern als "tote Zonen" beschriebenen küstennahen Meeresgebieten schwinden, sondern werden vermutlich mittelfristig für eine Abnahme des Sauerstoffgehalts der Atmosphäre sorgen. Die Weltmeere bilden die bedeutendste Quelle dies lebenswichtigen Elements Sauerstoff, wichtiger noch als sämtliche Wälder der Erde. In früheren erdgeschichtlichen Perioden, in denen die Sauerstoffkonzentration der Atmosphäre abnahm, sind viele Arten ausgestorben, und die überlebenden Arten zeichneten sich durch kleineren Wuchs aus. Umgekehrt lebten die riesigen Dinosaurier in einer Zeit, als der Sauerstoffgehalt deutlich über dem von heute lag.

Der unerbittlich tobende Sozialkampf der menschlichen Gesellschaft bleibt nicht unberührt von solchen übergreifenden Entwicklungen, laufen diese doch schnurstracks auf eine Verschärfung der vorhandenen Versorgungslage hinaus. Der weltweite Hunger wird zunehmen, über die eine Milliarde Hungernden hinaus. In der Regel gibt der Mensch auf diese Not nur gewaltregulatorische Antworten, indem Militärapparate aufgebaut werden, um beispielsweise Handelswege und Rohstoffquellen zu sichern oder die Klimaflüchtlinge am Einwandern in klimatisch vorteilhaftere Regionen zu hindern. Das ist einer von vielen Gründen, warum das Thema Klima- und Umweltschutz keinen Parteien überlassen werden sollte, die traditionell eng mit dem Militärapparat verbunden sind, und auch keinen, die sich den herrschenden Kräften andienern, indem sie den Spitzensteuersatz absenken, individualistische Antworten auf Umweltprobleme propagieren und vormalige politische Standpunkte ihrem Opportunismus und Streben nach Regierungsbeteiligung opfern.

Umweltschutz sollte im ersten Schritt als grundlegende Hinterfragung der Vergesellschaftung des Menschen aufgefaßt werden, im zweiten Schritt ergäbe sich aus dieser Positionierung eine individuelle Verhaltensänderung. Ohne diese Reihenfolge läuft die Menschheit Gefahr, sich unter dem Einfluß des wachsenden Mangels an Nahrung, Wasser, Energieträgern und anderen Rohstoffen in eine ökodiktatorische Weltgesellschaft zu wandeln. Wobei die vorherrschenden kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, die mit dem Green New Deal fit für die Katastrophenregulation des 21. Jahrhunderts gemacht werden soll, nur so lange die dominierende Wirtschaftsform bleiben dürfte, solange nicht noch direktere Formen der Verwertung menschlicher Produktivität etabliert sind. Der Kapitalismus könnte beispielsweise von einer profit- und währungslosen Gesellschaft abgelöst werden, in der Grundbedürfnisse menschlichen Daseins wie Nahrungsaufnahme, Wohnen, Kleidung, etc. administrativ beaufsichtigt und nach dem jeweiligen gesellschaftlichen Nutzen der Empfänger verfügt werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Alternative zu dieser Dystopie besteht nicht im Liberalismus. Der trägt sein Gegenstück - die Staatlichkeit - immer schon in sich. Liberal kann sich ein Staat nur dann geben, wenn er stark und seine Verfügungsgewalt hoch entwickelt ist.

Wenn der Meeres- und Klimaschutz dem Establishment überlassen wird, ist an einer Hand abzuzählen, daß seine Vertreter den Mangel wie bisher, allerdings mit noch mehr Nachdruck gegen die Mehrheit der Menschen kehren und versuchen werden, sich vor den katastrophalen Folgen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Klimaflüchtlinge sind deshalb immer auch Armutsflüchtlinge. Da kann der einzelne in den Wohlstandsregionen des Nordens noch so sehr seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren, er bestätigt damit eher die vorherrschende raubgestützte Gesellschaftsform, die Flüchtlinge zu Illegalen erklärt, um sie "nachhaltig" auszugrenzen, auch für den Preis ihres Siechtums oder Todes.

Fußnote:

[*] http://www.stateoftheocean.org/

21. Juni 2011