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KULTUR/0884: Intellektuelle Resterampe ... PR-Einsatz für den Libyen-Krieg (SB)



Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, beklagt im Deutschlandradio Kultur [1] den Rückzug der Intellektuellen aus der Politik. Seiner Ansicht nach hätten sich die meisten "das Politische abtrainiert oder abtrainieren lassen", es sei "auch nicht unbedingt feuilletonkompatibel, wenn man ständig seine politische Meinung vor sich herträgt". "Der Kunstfreund" nehme es "generell übel, wenn die Politik in irgendeiner Form in die Kultur, in die Kunst hineinragt", so Staecks keineswegs unzutreffende Kritik an einem bürgerlichen Kulturbetrieb, der seinen politisch streitbaren Biß weitgehend verloren hat. Hier bliebe zu ergänzen, daß dies in einer von prekären Erwerbsbedingungen geprägten Gesellschaft nicht weiter erstaunen kann, ist es in Anbetracht der ohnehin großen Schwierigkeit, öffentliche oder privatwirtschaftliche Mittel für künstlerische Zwecke zu akquirieren, doch fast unmöglich, dies für herrschaftskritische, antikapitalistische und antimilitaristische Inhalte zu erreichen. Die Künste unterliegen dem kulturindustriellen Imperativ so unterhaltsamer wie harmloser Verwertbarkeit, daß es schon einer expliziten Gegenkultur bedarf, um nicht für das vereinnahmt zu werden, gegen das man angetreten ist.

Staeck geht es jedoch in der aktuellen Debatte um den Krieg gegen Libyen keineswegs darum, sich mit den Menschenrechtskriegern anzulegen. Er ist allemal dafür, in deren Horn zu stoßen, und hält es für "fast schäbig", wenn man sich in dieser Situation heraushält und nicht Partei für die von der libyschen Regierung bekämpften Rebellen bezieht. In einer Erklärung der Akademie der Künste hat Staeck das vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Flugverbot über Libyen begrüßt und die "Untätigkeit" der Bundesregierung kritisiert, weil sie damit "ein Scheitern der libyschen Revolution in Kauf" nehme. Die Akademie fühle sich "den Menschen in Libyen in ihrem Kampf gegen eine der brutalsten Diktaturen verbunden" [2], was Staeck im Interview mit der Forderung ergänzt, endlich einmal ein "Zeichen" zu setzen, "dass wir wirklich auf deren Seite stehen und nicht schon wieder damit rechnen, dass eventuell doch Herr Gaddafi gewinnen könnte, weil er uns eine warme Stube garantiert, einen vollen Tank, und uns vor allen Dingen - das ist glaube ich das Wichtigste - die Flüchtlinge vom Leib hält" [1].

Der Karikaturist bekommt da einiges durcheinander, sind die europäischen Kampfbomber doch keineswegs dazu angetreten, die Flüchtlinge in den von ihren Regierungen finanzierten Internierungslagern zu befreien und die libysche Regierung für die an ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Ganz im Gegenteil, sie wollen mit der militärischen Parteinahme in diesem Bürgerkrieg gewährleisten, daß auch die nächste Regierung in Tripolis Gewaltdienstleistungen für die "Flüchtlingsabwehr" der EU übernimmt. Auch führen die EU-Staaten keineswegs gegen Libyen Krieg, um zu verhindern, künftig dessen hochwertiges Rohöl zu erhalten. Eben dies soll auch für die Zukunft gesichert werden, und zwar möglichst nicht mit der bisherigen Einschränkung, es mit einer verstaatlichten Ölindustrie zu tun zu haben. Für diesen Geschäftszweig kann es mit einer Administration, die sich zuvor von der EU in ihr Amt hat schießen lassen, nur besser laufen, werden die nächsten Machthaber doch dann um so bereitwilliger Tür und Tor für die von Gaddafi bereits zwecks guter Beziehungen zum Westen angestoßenen neoliberalen Reformen öffnen.

Allein daß in einem weitgehend entschiedenen Bürgerkrieg zugunsten der Aufständischen eingegriffen wird, besagt, daß das eigentliche Ziel in einem Regimewechsel besteht. Hätten EU und USA die Vermittlungsangebote der Afrikanischen Union (AU) oder des venezoelanischen Präsidenten Hugo Chavez unterstützt, dann wäre womöglich viel von dem Blutvergießen vermieden worden, das durch die Luftangriffe zugunsten der Rebellen nun erst richtig ausbricht. Die Angreifer haben es mit diesem Schritt auf sich genommen, den Krieg bis zum bitteren Ende, der Beseitigung Muammar al-Gaddafis, zu treiben. Indem er von selbstgerechten Konzernmedien als das fleischgewordene Böse inszeniert wird und der Internationale Strafgerichtshof gegen ihn ermittelt, hat das Interventionsbündnis die Brücken zu einer Verhandlungslösung weitgehend hinter sich abgebrochen. Wenn Gaddafi tatsächlich so verrückt ist, wie behauptet, ist um so weniger damit zu rechnen, daß er in Aussicht auf das Strafurteil eines Gerichts, das Aggressionskriege der NATO grundsätzlich nicht untersucht, klein beigibt.

Für die von allen Kriegsbefürwortern in Politik und Kultur vertretene Unterstellung, in Libyen handle es sich wie in Tunesien und Ägypten um eine vornehmlich soziale und basisdemokratische Erhebung, gibt es unter anderem deshalb, weil die Armut in diesem Land weit weniger drückend ist als in den vom neoliberalen Diktat der EU umfassend bestimmten Nachbarstaaten, keine verläßliche Gewähr. Wenn es so wäre, dann bietet das militärische Eingreifen auf der Seite der Rebellen die sicherste Garantie dafür, daß die Demokratisierung gerade nicht zur Durchsetzung der sozialen Forderungen der Arbeiter, Frauen und Versorgungsbedürftigen führt. Schließlich betreibt das Krisenmanagement der EU eine, wenn auch auf höherem Niveau, forcierte Verelendungspolitik nach Maßgabe der Kapitalisierung aller noch nicht verwertbar gemachten Ressourcen. Europäische Kampfjets treten nicht gegen die Ausbeutungsstrukturen an, mit denen den Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens Mehrwert abgepreßt wird, weil die Investoren und Profiteure, die diese Wertschöpfungsketten in Gang gesetzt haben, integraler Bestandteil jener Gesellschaften sind, deren militärische Befehlstäbe nicht mehr tatenlos dabei zusehen wollen, wie ihnen die Hegemonie über die Region aus den Händen gleitet.

Kulturschaffende aller Art können also gar nicht genug damit beschäftigt sein, sich mit der Entwicklung in der arabischen Staatenwelt zu beschäftigen und ihre Stimme gegen die Verdummungsstrategie zu erheben, einmal mehr mit hohlem Pathos zum Kampf für die Unterdrückten zu blasen, um diese anschließend noch wirksamer in den Griff eigener Interessen nehmen zu können. Ein Staeck müßte stutzig werden, wenn Politiker seiner Partei SPD fordern, die Türkei in die Angriffe auf Libyen einzubinden, weil sie als mehrheitlich islamisches Land Vorbildfunktion für die arabische Welt habe. Die Regierung in Ankara führt selbst immer wieder - unter anderem unter Einsatz von Kampfhubschraubern und Kampfjets - Krieg gegen den kurdischen Teil ihrer Bevölkerung, dem sie essentielle Rechte vorenthält. Das hat ebensowenig zur Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone über Anatolien geführt, als Klaus Staeck bei der Bombardierung der palästinensischen Bevölkerung Gazas die dröhnende Sprachlosigkeit deutscher Künstler und Intellektueller beklagt hätte.

Der Politikberater Michael Lüders, der diesen Krieg gutheißt, läßt im Deutschlandfunk (21.03.2011) durchblicken, daß es natürlich um Interessenpolitik geht, wenn arabische Despoten nicht mit gleicher NATO-Elle bemessen werden:

"Die Intervention in Libyen wird sich nicht wiederholen. Im Jemen haben wir beispielsweise gehört, ebenso in Bahrain, dass die Demonstranten dort ebenfalls die Einrichtung einer Flugverbotszone und ein militärisches Eingreifen des Westens verlangen. Das wird es mit Sicherheit nicht geben. Die USA werden niemals in Bahrain eine Position einnehmen, die den saudischen Kollegen, den saudischen Verbündeten nicht gefällt, und Saudi-Arabien hat diesen Aufstand in Bahrain erst einmal niedergeschlagen." [3]

Auch der um die Rolle der NATO in diesem Krieg entbrannte Streit reflektiert nichts anderes als die Widersprüche der Reorganisation imperialistischer Politik angesichts der revolutionären Transformation der arabischen Welt. Es gilt, die aufbegehrenden Bevölkerungen in das westliche Hegemonialstreben zu integrieren, ohne größeren Flurschaden wie eine Schwächung des Bündnissystems um Israel oder die Abwehr europäischer Wirtschaftsinteressen anzurichten. Dazu bedarf es eines wohlorchestrierten perception managements, das die Kampfbombergeschwader der USA und EU als Phalanx einer Freiheit darstellt, bei der es vorerst niemanden etwas angeht, daß damit die Befreiung brachliegender Ressourcen für die westliche Staatenwelt gemeint ist. Eine liberale Gesellschaftsentwicklung hat durchaus Platz in diesem Szenario, so lange sie dazu taugt, soziale Anliegen auf dem Leisten formalrechtlicher Egalität zu neutralisieren. Das macht es um so verführerischer für die Kamarilla professioneller Meinungsführer, dem falschen Glanz der Freiheit mit dem Rot vergossenen Blutes einen authentisch wirkenden Anstrich zu verpassen.

Das Aufschäumen eines x-mal um die Achse opportunistischer Umwertung gedrehten Rudiments kreatürlichen Aufbegehrens gegen Ausbeutung und Unterdrückung fördert ein Interesse an Bestands- und Herrschaftsicherung zutage, das sich gerne mit der Farbe der Saison kostümiert, um schlußendlich auf die eigene Mimikry hereinzufallen und zu glauben, was dazu gedacht war, vermeintlich dümmere Menschen zu täuschen. Was sich bei den Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens aufgrund leidvoller Lektionierung durch kriegerische Realpolitik schwierig gestaltet, soll zumindest bei den westeuropäischen und nordamerikanischen Eliten verfangen. Um ihre Unterstützung im Krieg an der PR-Front wirbt auch Klaus Staeck, natürlich unter vollständiger Ausblendung der Tatsache, daß es unter radikalen Linken genügend wortmächtige Kriegsgegner gibt, an denen die Behauptung vom Rückzug des Intellektuellen aus der Politik zu widerlegen wäre.

Das ganze Elend der "kreativen Klasse" offenbart sich darin, daß sie den revolutionären Impetus der arabischen Bevölkerungen auf Freiheit und Demokratie reduziert, um eine streitbare Positionierung im sozialen Krieg zum Preis politischer wie künstlerischer Bescheidenheit zu vermeiden. Das Format des Intellektuellen hat denn auch mit Kritikfähigkeit so wenig gemein, wie es als Instrument einer Legitimationsproduktion in Erscheinung tritt, deren affirmativen Charakter zu übertünchen etwa zu der abenteuerlichen Konstellation führt, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle in die Ecke von Kriegsverweigerern zu manövrieren, um an ihnen mit kleiner Münze politische Einfalt abarbeiten zu können.

Wenn französische Vorzeigeintellektuelle wie Andre Glucksmann, Claude Lanzmann, Bernard-Henri Levy und Bernard Kouchner in Le Monde den Angriff auf Libyen gutheißen, dann ergreift - wie hierzulande Joseph Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Wolf Biermann - eine bourgeoise Prominenz das Wort, um mit dem Votum für den imperialistischen Krieg ihr Klasseninteresse zu vertreten. Sie dafür ernsthaft zu kritisieren lohnt die Mühe nicht, erwartet man von ihresgleichen doch nichts anderes als dies. Der antikommunistische Reflex des kulturindustriell durchformatierten Medienintellektuellen funktionierte vor zwölf Jahren beim Überfall der NATO auf Jugoslawien so gut wie heute, da man sich an dem abgehalfterten und sattsam widerlegten Antimperialismus eines Gaddafi gütlich tut. Dessen Verwesungsprodukte scheinen noch genügend Nährwert aufzuweisen, um das verblichene Passepartout des kritischen Intellektuellen mit lodengrüner Farbe aufzufrischen und in eine Schlacht zu werfen, die die Bourgeoisie noch keineswegs gewonnen hat. Wenn etwas authentisch an diesen Trümmerprodukten linksintellektueller Intelligenz ist, dann der Instinkt, daß die eigene Stellung keineswegs so gefestigt ist, wie es die Meriten des gesellschaftlichen Aufstiegs verheißen.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1417228/

[2] http://www.monopol-magazin.de/artikel/20102564/Akademie-der-Kuenste-fordert-Aktionen-gegen-Gaddafi.html

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1416437/

22. März 2011