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KULTUR/0807: Die schöne, neue Medienwelt des Reinhard Mohn (SB)



Der hohe ethische Anspruch, mit dem derzeit das Lebenswerk Reinhard Mohns gewürdigt wird, läßt leicht vergessen, worin das Geschäft des Bertelsmann-Konzerns besteht. Als Medienimperium von Weltrang ist er ein wichtiger Aktivposten der Stabilisierung einer Gesellschaft, deren immanente Widersprüche keinesfalls zum offen ausgetragenen Konflikt führen sollen. Gefragt ist die kulturindustrielle Inszenierung einer zwar nicht perfekten, aber doch schönen und lebenswerten Welt. An ihr sollen weder die Millionen Hungertoten noch die Opfer imperialistischer Kriege, weder die durch Lohnarbeit versklavten noch die durch familiäre, sexuelle und rassistische Gewalt unterdrückten Menschen so unangenehm aufstoßen, daß die ästhetische Aufbereitung nicht mehr verhindern kann, den distanzierten Betrachter in einen streitbaren Akteur zu verwandeln.

So laden die Hochglanzmagazine des mit knapp 75 Prozent zur Bertelsmann AG gehörenden Gruner + Jahr-Verlags in bunte publizistische Landschaften von politischer Positionslosigkeit, sozialer Distinktion und konsumistischer Penetranz ein. Ob stern oder GEO, ob Brigitte oder Gala, die ein größeres Publikum bedienenden Magazine dieses Verlags sind von der Beliebigkeit einer bourgeoisen Weltsicht bestimmt, die sich beim schnellen Durchblättern an der eigenen Sattheit verbraucht, um gelegentlich mit dem Aufkommen selbstgerechter Empörung zu erkennen zu geben, daß man auch ein mitfühlendes, leidendes, ja gutes Menschlein ist. Titel wie schöner wohnen und essen & trinken sind Programm eines arrivierten Lifestyles, den zu pflegen zwingend voraussetzt, nicht zur Hartz IV-Klientel zu gehören. Dem seien die die Gruner + Jahr-Ratgeber für den schlaueren Börsianer Financial Times Deutschland und Capital ebenso vor wie die Sozialstrategen der Bertelsmann Stiftung, die die "Leistungsträger" durch die von ihnen propagierte Ausgrenzung unproduktiver Menschen in das Regime aus Enteignung und Zwangsarbeit schützen.

Damit die Subalternen in ihrer kargen Welt nicht auf dumme Gedanken kommen, sorgt die zu über 90 Prozent der Bertelsmann AG gehörende RTL Group mit einem bunten Bouquet an Sendern, die nach einem Wort des führenden TV-Sozialchauvinisten Harald Schmidt als "Unterschichtenfernsehen" firmieren, für Unterhaltung. Der liegt eine Art von sozialer Aggression zugrunde, die die Vereinzelung des Menschen und die gegeneinander gerichtete Überlebenskonkurrenz auf die Spitze treibt. Neben einem Labor der sozialen Selektion wie die Show Big Brother oder einem Propagandaschaufenster antidemokratischer Ermächtigungspolitik wie die TV-Serie 24 zeichnet die RTL Group für die Ausstrahlung der immens erfolgreichen Casting-Show Deutschland sucht den Superstar verantwortlich. Dort können junge Menschen lernen, daß man am besten auf dem Rücken des andern vorankommt und daß Überlebenskonkurrenz sogar Spaß machen kann, wenn man gerade nicht derjenige ist, der verliert.

Auch andere TV-Formate der RTL Group wie etwa das Dschungelcamp sind darauf ausgerichtet, den Delinquenten in hochnotpeinlichen Situationen zur Karikatur seiner selbst zu machen und den dabei aufkommenden Aggressionen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang zu nehmen, so daß sie als Ausdruck ungenügender persönlicher Souveränität erscheinen. Die erfolgreiche Adaption der Bedingungen dieser Shows wird mit dem Schein einer Authentizität belohnt, die es im Dutzend billiger gibt. Tatsächlich hervorgebracht wird der Warencharakter des kapitalistisch vergesellschafteten Menschen, der sich für sein Überleben wie selbstverständlich prostituieren muß und dabei das ganze Elend seiner Bedingtheit offenbart. Zwischen lockerem Fun und knochenhartem Sozialstreß wird Unterhaltung spektakulär, wenn der Zuschauer Menschenblut leckt und sich dennoch nicht des Kannibalismus verdächtigen lassen muß.

Erfolgreich initiiert als Insasse des TV-Zoos wird der Mensch dadurch, daß ihm jeder Gedanke daran ausgetrieben wird, die Charaktermaske des Kapitalverhältnisses abzulegen und den eigennützigen Charakter seiner sozialen Matrix aufzugeben. Wer in den Kategorien des Tauschwerts in Erscheinung tritt, kann und will der Ökonomisierung allen Lebens nicht entgegentreten. Das ideologisch als Eigenverantwortung gespiegelte Versprechen auf Selbstbestimmung wird im Parcours öffentlicher Bewährung vollständig von den gesellschaftlichen Bedingungen, die seine Realisierung verhindern, abgekoppelt und in ein Erfolgstreben umgemünzt, das den Niedergang des Konkurrenten zwingend voraussetzt.

Es ist mithin kein psychologisches Phänomen, wenn der Mensch beim Buhlen um die Gunst des Publikums die Sau rausläßt. Er brüstet sich mit einer Prominenz, die er im Unterschied zu den Gewinnern im Sozialkampf nicht in der Tasche hat und doch ausgeben kann, wenn ihn der Fleischwolf medialer Verwertung für einen kurzen Moment an die Oberfläche treibt. So macht sich das "Unterschichtenfernsehen" als Stütze einer Sozialhierarchie bezahlt und unentbehrlich, deren Konstrukteure mit dem dargebotenen Elend nichts zu tun haben möchten.

In den Nachrufen auf Mohn wird nicht daran erinnert, daß das Geschäft Bertelsmanns auch in einer ganzen Generation von Unterhaltungsformaten besteht, in der die unterstellte Freiheit der herrschenden Gesellschaftsform, auf ihren brutalen Kern kondensiert, zur Lustbarkeit einer systematisch produzierten Unterwerfung wird. Es bleibt unerwähnt, daß Bertelsmann im konzerneigenen US-Verlag Random House Bücher herausgibt, in denen militante Abtreibungsgegner, antidemokratische Gotteskrieger, notorische Islamhasser und aggressive Kreuzzügler Angst schüren und Haß säen.

So propagieren die Autoren Tim La Haye und Jerry Jenkins in ihrer Left Behind-Serie, die in den USA eine Auflage von über 50 Millionen erzielt hat, eine keineswegs fiktiv gemeinte, sondern in der Glaubenslehre der Dispensationalisten begründete Endzeit, in der die USA von bösartigen Feinden wie den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der islamischen Welt umzingelt sind. Als UN-Generalsekretär fungiert kein geringerer als der Antichrist, der den Sitz der Vereinten Nationen von New York nach Babylon verlegt hat, um von dort aus seine finstere Weltherrschaft zu errichten. Aggressive Feindseligkeit und blanker Rassismus durchziehen Left Behind wie ein roter Faden, und die Erwartung einer Endschlacht im biblischen Megiddo findet in der derzeitigen Kriegführung Washingtons im Nahen und Mittleren Osten ihre symbolträchtige Entsprechung.

Das in einem streng protestantischen Milieu entstandene Unternehmen Bertelsmann verdient an den Elaboraten eines messianischen Endzeitkultes, es macht sein Geschäft mit den sozialen und ökonomischen Nöten von Jugendlichen, die sich in TV-Shows vorführen lassen, in denen sozialdarwinistische Auslese Programm ist. Dabei geht es im Sinne der Bertelsmann Stiftung, die nicht müde wird, den Orientierungsverlust des modernen Menschen zu beklagen, keineswegs nur um kommerziellen Erfolg. Die fortwährende Indoktrination all jener, die längst aufgegeben haben, über den Rand ihrer eigenen Interessen hinauszuschauen, ist Merkmal der autoritär formierten Gesellschaft, die in den sozialstrategischen Entwürfen dieser Ideologieschmiede und Herrschaftsagentur angestrebt wird. Der darauf zugerichtete Mensch hat keine Fragen mehr, weil ihm bereits alle Antworten gegeben wurden, für eine Besserung der Welt zu Gunsten der Armen und Schwachen ist er verloren.

6. Oktober 2009