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KULTUR/0806: Deutsch sprechen ... trotz Westerwelle (SB)



Es gibt mehr als genug Gründe, sich mit der neuen Regierungspartei FDP streitbar auseinanderzusetzen. Dem neofeudalen Klassendenken verpflichtet frönen Liberale einem aggressiven Antikommunismus, der allemal anschlußfähig ist an die neokonservative Restauration der Gesellschaft nach US-Vorbild. Die Außenpolitik der Partei liegt mit ihren Kampagnen gegen das multiethnische Jugoslawien und gegen die Tibetpolitik Chinas stets auf Linie großdeutscher Hegemonialpolitik. Was sich der Außenminister in spe, Guido Westerwelle, bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte nach der Wahl geleistet hat, ist dennoch nicht vorbehaltlos zu verurteilen. Wie die britische Tageszeitung The Independent (29.09.2009) unter dem erhellenden Titel "From Big Brother ... to Foreign Minister" berichtet, hat sich der FDP-Politiker auf einer Pressekonferenz geweigert, die Frage eines BBC-Reporters auf Englisch zu beantworten: "Würden Sie so freundlich sein, wir befinden uns in Deutschland. In Großbritannien wird erwartet, daß man englisch spricht, hier ist es genauso. In Deutschland wird erwartet, daß man deutsch spricht".

Was der Autor des Independent als "neues teutonisches Durchsetzungsvermögen in internationalen Angelegenheiten" deutet, könnte man ebensogut als Versuch begreifen, mit der Selbstverständlichkeit der Erwartung, sich im Umgang mit Vertretern der Anglosphere stets des Englischen zu bedienen, zu brechen. Zweifellos ist der künftige Außenminister der Bundesrepublik darauf abonniert, die imperialistische Agenda seiner Vorgänger fortzusetzen und dabei im national verstandenen Interesse zu handeln. Zudem ist die Wahl der Sprache nicht an das Land, in dem man sich gerade aufhält, gebunden, sondern wird anhand der Menschen entschieden, mit denen man sprechen will. Als Verfechter der neoliberalen Globalisierung kann Westerwelle kaum als glaubwürdiger Gegner der hegemonialen Anglifizierung gelten, so daß der Verdacht naheliegt, daß er mit dieser Belehrung eher ein Zeichen nationalkonservativer Selbstbehauptung denn kultureller Emanzipation setzen wollte.

Um diese geht es allerdings auch bei der Wertschätzung der eigenen Muttersprache, wie viele Menschen bezeugen können, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit dazu gezwungen sind, sich einer Fremdsprache zu bedienen. Dies ist insbesondere auf dem Feld der Wissenschaften bedeutsam, wo das Publizieren in einer fremden Sprache eine zusätzliche Hürde darstellt. Selbst in der Kriegführung soll auf Englisch bombardiert werden, wie angebliche Kommunikationsprobleme zwischen der Bundeswehr und den US-Streitkräften in Afghanistan erkennen lassen. Was sich auf internationalen Konferenzen aus Gründen des schnellen Abgleichs anbieten mag, findet darin, daß der Besuch einiger in der Bundesrepublik angesiedelter Hochschulen voraussetzt, fließend Englisch zu sprechen, seinen sozialfeindlichen Gegenentwurf.

Sprachfragen sind in einer Welt der internationalen Arbeitsteilung und der supranationalen Gouvernementalität mehr denn je Machtfragen. Wer heute einen Job bei der EU erhalten will, braucht sich ohne die fließende Beherrschung von mindestens zwei Fremdsprachen gar nicht erst zu bewerben. Mehrsprachigkeit wird in den meisten wirtschaftlichen, akademischen und administrativen Entscheidungszentralen vorausgesetzt, und dabei nimmt das Englische stets die wichtigste, im Grunde genommen selbstverständliche Führungsposition ein. Im deutschen Bildungswesen redet man in diesem Fall kaum noch von einer Fremd-, sondern eher von der obligatorischen Zweitsprache, die Kindern schon in der Grundschule beigebracht werden müsse.

Während eine umfassende Ausbildung im fremdsprachlichen Bereich allemal wünschenswert ist, verweist die Spezialisierung etwa auf das sogenannte Wirtschaftsenglisch darauf, daß es hier kaum um die Pflege kultureller Vielfalt oder eines sich an der Mehrsprachigkeit entzündenden Interesses an den Tiefenstrukturen der Grammatik geht. Die hegemoniale Stoßrichtung herrschender Sprachenpolitik zeigt sich äquivalent in der Maßnahme, in die Bundesrepublik einwandernden Ausländern das Erlernen des Deutschen mit Zwangsmitteln zu verordnen. Dabei geht es ebensowenig um die Sprache Goethes oder Brechts, als daß im Englischen Shakespeare oder Byron hochgehalten würde. Erwünscht sind funktional effiziente Kommunikationsformen, die im Sinne der globalen Verfügbarkeit, weitgehend frei von jeder semantischen oder gar literarischen Differenzierung, auf einen linguistischen Gebrauchswert heruntergebrochen sind, die den Menschen zum bloßen Mittler fremdverfügter Inhalte objektivieren. Nicht das von fremdnützigen Zwecken und normativen Kontrollfunktionen freie Sprechen miteinander soll praktiziert, nicht die Respektierung der lebensgeschichtlichen und damit sprachlichen Eigenart des anderen geübt werden. Es geht ausschließlich um die Überantwortung des Menschen an den höheren ökonomischen und administrativen Nutzen.

Das Englische selbst wird seiner entwicklungsgeschichtlichen Herkunft und kulturellen Tradition beraubt, es mutiert zu einer in zahlreiche funktionale und technische Varietäten zergliederten Gebrauchssprache, in der die Reste etymologischen Wissens und mit ihnen ein wesentliches Bindeglied zur eigenen Geschichte rückstandslos aufgehen. Dem Potential des Menschen, sich über die Befähigung zum Sprechen einer im Idealfall herrschaftsfreien Erkenntnis- und Kontaktform zu bemächtigen, steht die Globalisierung der transnationalen Kommunikation in rudimentärem Gebrauchsenglisch nicht ganz zufällig in ausschließender Weise gegenüber.

Von daher ist der unter vielen Linken vorherrschende Reflex, die Wertschätzung der eigenen Muttersprache in einem nationalistischen Kontext zu verorten, kurzsichtig. Kein Geringerer als Theodor W. Adorno hat ein Loblied auf das Deutsche als die Sprache der Philosophie gesungen und sich dagegen verwahrt, sie denjenigen Kräften zu überlassen, die ihre Schreckensherrschaft unter nationalem und rassistischen Vorzeichen mit der Überlegenheit des Deutschen begründet haben. Die Sprache als solche kann nichts für die Zwecke und Ziele, zu denen sie mißbraucht wird. Gerade deshalb ist es wichtig, sie denjenigen zu entreißen, die sie zum Banner imperialistischer Suprematie erklären und meinen, andere hätten sich den eigenen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gepflogenheiten zu unterwerfen.

Allerdings könnte man die Ansicht vertreten, daß die Anglifizierung der Lebens- und Arbeitswelten bei der Nutzung von Informationstechniken, dem Absatz weltweit beworbener Markenartikel, der kulturindustriellen Produktivität und der globalen Kriegführung gerade dazu Anlaß gibt, sie in ihrem generativen Kontext zu belassen. Das hätte zumindest den Vorteil, daß die mit der verwertungsfähigen Zurichtung des Englischen einhergehende Zerstörung regelhafter, in sich logisch verschränkter, zu erkenntnisträchtigem Denken befähigender semantischer und syntaktischer Formen und Strukturen auf diese Sprache beschränkt bliebe. Anstatt das Deutsche bei der Übersetzung cineastischer Unterhaltungsprodukte US-amerikanischer Herkunft auf die meist knapperen Sätze des Englischen zu verbiegen und sich der Möglichkeit zu berauben, die lautmalerischen, landschaftlichen und gruppenspezifischen Charakteristika der originären Sprache kennenzulernen - vom Problem der niemals vollkommenen Lippensynchronisation ganz abgesehen -, wäre die Bevorzugung von Untertiteln durchaus bedenkenswert. Die sich in der Produktwerbung besonders frappant niederschlagende Verstümmelung des Englischen zu sozialen Signalfunktionen und popkulturellen Kodierungen mag man beklagen, doch das gleiche mit dem dilettierenden Gestammel der "Ich bin doch nicht blöd"-Schlauheit auf das Deutsche anzuwenden kann demgegenüber kein Gewinn sein.

Es ist kein Zufall, daß das Flaggschiff der Springer-Presse, Die Welt (29.09.2009), den Auftritt des FDP-Politikers unter dem Titel "Teutonisches Selbstbewusstsein: Briten machen sich über Westerwelle lustig" mit dem einleitenden Satz "Schlechter Start für Guido Westerwelle" kommentiert. Man weiß bei dieser Zeitung stets, was man an Big Brother und der ihm eigenen globaladministrativen Durchsetzungskraft hat. Wie blutig der Spaß, den Westerwelle im TV-Sozialknast gleichen Namens zu haben behauptete, werden kann, wird er spätestens dann erfahren, wenn der Preis für den Versuch, auf den stählernen Schwingen des blauweißroten Adlers zu großmächtigem Einfluß zu gelangen, in Form konkreter Kriegsleistungen entrichtet werden muß.

29. September 2009