Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0799: Wirklichkeit produzieren und als "objektiv" verkaufen (SB)



Ob die fünf Mordaufträge tatsächlich von Brasiliens berühmtem TV-Moderator Wallace Souza stammten oder nicht, seine Geschichte ist ein signifikantes Produkt des Anspruchs auf Objektivität, der die Nachrichtenmedien beherrscht, und seines Scheiterns. Der gegen Souza mit offensichtlich starken Indizien erhobene Verdacht, er habe mindestens fünf Personen umbringen lassen und die Morde für seine eigene Crime-Show verwertet, deren Reporter häufig vor der Polizei am Tatort waren, läßt erkennen, daß die Voraussetzungen, unter denen die sogenannte Wirklichkeit medial abgebildet wird, Bestandteil derselben sind. Der ehemalige Polizist Souza repräsentiert die Negation des vermeintlich objektiven Verlaufs der Dinge, über die berichtet wird, zudem dadurch, daß er als Politiker wortstark gegen das Verbrechen zu Felde zieht.

Souzas populäre Sendung "Freier Kanal" wurde bereits vor einem Jahr eingestellt, als erste Ermittlungen gegen ihn eingeleitet wurden. Der Polizeichef von Sao Paulo lastet dem unter Immunität stehenden Abgeordneten an, mit den Morden konkurrierende Drogenhändler ausgeschaltet und diese Taten gleichzeitig erfolgreich für seine Sendung verwertet zu haben. Sein Sohn und 15 weitere Verdächtige wurden verhaftet, in Souzas Haus wurde neben großen Mengen Bargelds Waffen und Munition gefunden.

Der von der zuständige Staatsanwaltschaft gegen Souza gerichtete Vorwurf, Chef einer kriminellen Vereinigung zu sein, die den ganzen Bundesstaat Amazonas terrorisierte, während er gleichzeitig im Fernsehen und im Parlament als Kreuzritter gegen das Verbrechen auftrat, berührt einen Aktivposten der Unterhaltungsindustrie und politischen PR, der selten in dieser Deutlichkeit zutage tritt. Nicht nur das sogenannte Reality TV, sondern auch Nachrichtensendungen werden inszeniert, um einen unverfälschten Eindruck vom wirklichen Leben zu vermitteln. Das ist keine neue Erkenntnis, denn Menschen inszenieren sich ohnehin und das erst Recht, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist.

Zur Disposition steht allerdings die Vorstellung, man könne objektiv berichten, das heißt dem Zuschauer eine Realität bieten, die ungefiltert wäre und ihm ermöglicht, ein eigenständiges Urteil zu fällen. Das damit kolportierte Sender-Empfänger-Modell weist erhebliche Widersprüche auf, wird die Entscheidungsgrundlage des Empfängers doch in wachsendem Maße von Medienprodukten beeinflußt. Die schulische Erziehung ist nur einer von vielen Faktoren, die Jugendliche mit Werten und Normen befrachten, aufgrund derer sie in der Gesellschaft agieren. Das Fernsehen ist für das Gros der Heranwachsenden wie Erwachsenen ein besonders prägender Einfluß und wird in hohem Maße von Interessengruppen bestimmt, die ein systemkonformes, gegen kritische Fragen immunisierendes Weltbild durchsetzen wollen.

Was Souza mit denn Mitteln einer Gang gemacht haben könnte, deren Chef gleichzeitig honoriger Politiker und eine populäre TV-Personality war, findet ständig statt, wenn die Gesellschaft sich selbst spiegelt und dabei nicht über den Stand einer bloßen Abbildung hinauskommt. Die Zuschauer sind längst weiter und gelangen zu Urteilen, in denen sie das Gesehene politisch und gesellschaftlich anwenden. Im Falle Souzas war es die Wahl eines Politikers, der als besonders effizient bei der Jagd nach Verbrechern galt, gerade weil er wahrscheinlich einer war. Parallelen zu Investoren und Industriellen, die Regierungspolitiker werden, drängen sich auf.

Denkt man an den italienischen Premierminister Silvio Berlusconi, der einen Großteil der Medien seines Landes direkt kontrolliert, oder an Abgeordnete, die für die Bertelsmann-Stiftung als Lobbyisten tätig sind, dann bestätigt sich, daß Medien gesellschaftlich als produktiv erachtet werden, wenn sie manipulativ agieren. Die Frage, wann sie dies nicht tun, läßt ahnen, daß es praktischer wäre, von nichts anderem als der Negation medialer Objektivität auszugehen. In der Konsequenz wäre es wünschenswert, die Menschen würden als Produzenten ihrer Wirklichkeit selbst zu Medien, anstatt sich einer Suggestion auszuliefern, in der ausschließlich fremde Interessen zu Geltung gelangen.

14. August 2009