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KULTUR/0787: Scheinkontroverse um "Germany's Next Topmodel" (SB)



"Jetzt schlägt Topmodel-Mama Heidi Klum zurück", verspricht Bild-Online, bleibt jedoch die erwartete Eskalation schuldig. Was die Moderatorin der Casting-Show "Germany's Next Topmodel" ihrem Kontrahenten Roger Willemsen zu sagen hat, beschränkt sich auf artige Belanglosigkeiten wie die Aussage, nichts gegen Kritik zu haben, "insbesondere nicht, wenn sie mir hilft, meinen Job das nächste Mal besser zu machen". Schon vor der eigentlich überflüssigen, in der taz (12.05.2009) aufgeworfenen Frage, ob die beliebte Show "frauenfeindlich" sei, war jedoch klar, daß an dem Job nichts zu verbessern ist.

Der Publizist Roger Willemsen hatte die Sendung nicht nur als "Exzess der Nichtigkeit" verworfen und Heidi Klum vorgeworfen, kleine Mädchen zum Weinen zu bringen, indem sie ihre "hochgerüstete Belanglosigkeit zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochschwindelt" (Spiegel-Online, 28.05.2009). Vor allem hatte er Klum mit groben Worten Prügel angedroht, nicht ohne deutlich zu machen, daß dies natürlich metaphorisch gemeint sei. Daß er diesem Drang nicht folgen könnte, weil eine solche Tat ihrerseits frauenfeindlich wäre, setzt seiner keineswegs feinsinnigen Ironie die Krone einer Verächtlichkeit auf, die Gegner der Sendung vom Schlage dieses Kritikers von ihren Fans ununterscheidbar macht.

Anstatt die Krallen zu zeigen, verfiel Klum auf die Defensivstrategie, den Affront im wortwörtlichen Sinn ernstzunehmen. Noch nie habe sie jemand körperlich angehen wollen, gab sie ihrem schockierten Erstaunen darüber Ausdruck, das "ein angeblich intelligenter Mann (...) eine schwangere Frau verprügeln" wolle. Daß Willemsen sich gerade nicht, wie angekündigt, "elegant und stilsicher" ausdrückte, als er behauptete, "sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln" zu wollen, war als Aufforderung an Heidi Klum gedacht, im Morast seichter Unterhaltung die Klingen zu kreuzen. Mit ihrer lauen Entgegnung, die in der pädagogischen Warnung davor gipfelt, daß sich Jugendliche auf dieses Niveau begeben, verebbt das Spektakel, bevor es sich auf medial verwertbare Weise hochgeschaukelt hat.

Damit hat Willemsen eine produktive Debatte um das Thema Casting-Shows wirksam verhindert. Wenn Klum so belanglos und nichtig wie behauptet ist, dann gibt es keinen Grund, auf die damit zum bloßen Kleiderständer reduzierte Dompteuse jugendlicher Erfolgsgier loszugehen. Sie ist kaum dafür verantwortlich zu machen, daß die Inszenierung hochgestylter Schönheit auf den Punkt einer Konkurrenz um Erfolg und Anerkennung gebracht wird, an dem das ganze Elend der sozialdarwinistischen Organisation dieser Gesellschaft offenbar wird.

Der Tanz um lukrative Jobs in einer Industrie, deren Geschäft die Degradierung auf dem Laufsteg vermeintlich nicht präsentabler Menschen zu Konsumenten eines Lifestyles ist, der ihnen als Eintrittskarte in den Klub der besonders erfolgreichen Räuber erscheint, produziert zu paßförmigen Funktionen erstarrte Larven fremder Interessen und Wünsche. Ein geglücktes Lebens in der Erfüllung von Schönheit und Reichtum anzusiedeln mag das Credo des kapitalistisch vergesellschafteten Menschen reflektieren und ist gerade deshalb kritikwürdig. Wie im Mikrokosmos von "Germany's Next Topmodel" vorgeführt basiert das vermeintliche Optimum des für den Menschen Erreichbaren auf der Bescheidenheit eines Überlebenskampfes, in dem sich nur derjenige vom lächelnden Zeigen der Zähne einwickeln läßt, der den archaischen Kampf ums Fressen und Gefressenwerden für eine zivilisatorisch überwundene Epoche menschlicher Entwicklung hält.

Willemsen hätte als politisch aktiver Mensch und kritischer Geist allemal das Zeug dazu, wesentliches dazu beizutragen, das Thema nicht im Fleischwolf seiner medialen Verwertbarkeit zu belassen. Daß er darauf verzichtet, indem er am Maskenball der Eitelkeiten teilnimmt, läßt andere Prioritäten erkennen, als sich im zuspitzenden Sozialkampf auf die Seite derjenigen zu stellen, die jede streitbare Verstärkung gebrauchen können.

29. Mai 2009