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REPRESSION/1678: Gesundheitskrieg - im regierten Würgegriff ... (SB)



Wir sind im Krieg. Wir kämpfen weder gegen Armeen noch gegen eine andere Nation. Aber der Feind ist da, unsichtbar - und er rückt vor.
Emmanuel Macron ruft den "Gesundheitskrieg" aus [1]

Emmanuel Macron, so heißt es, sei in seiner Kindheit in Amiens als Großmutters Liebling frühzeitig durch die französische Heldenliteratur des Zweiten Weltkriegs geprägt worden. Im vergangenen Jahr widmete er sich ausgiebig den Schriften des 1929 gestorbenen Kriegshelden Georges Clemenceau, in den letzten Monaten las er zur Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr reichlich Charles de Gaulle. [2] Ob nach eigenem Dafürhalten napoleonisches Blut durch seine Adern strömt, ist nicht bekannt, wohl aber, daß er sich als "Jupiterpräsident" an einsamer Spitze thronen sieht, wenngleich er das in jüngerer Zeit vorsichtshalber eher nicht mehr erwähnt. Martialisches Denken, Reden und Posieren ist im innig vertraut, womit er in der politischen Kaste seines Landes bekanntlich nicht allein steht. Schon sein sozialdemokratischer Amtsvorgänger Francois Hollande appellierte nach den Anschlägen an die Einheit der Nation, indem er "den Krieg gegen den Terrorismus" ausrief und gegen den "Feind von innen" rüstete.

Als sich Macron am Montagabend in einer Fernsehansprache an seine Landsleute wandte, hörte sich das wie eine Generalmobilmachung an. Nachdem die Marseillaise verklungen war verkündete der Präsident: "Meine lieben Landsleute, ich bin mir der Auswirkungen all dieser Entscheidungen auf Ihr Leben bewusst." Es sei sehr schwierig, seine täglichen Gewohnheiten aufzugeben. Doch das Land befinde sich im Krieg, der unsichtbare Feind sei auf dem Vormarsch. Deshalb müßten jetzt alle im "Gesundheitskrieg" zusammenstehen. [3] Als wolle er den Menschen einbleuen, wie ernst die Lage und wie unabweislich seine präsidiale Offensive sei, wiederholte er das Wort "Krieg" gleich sechsmal. Diese Rhetorik, den zentralen Begriff einer Rede gleichsam als Kernbotschaft mehrmals zu verwenden, ist nicht auf Macrons Mist gewachsen, wurde sie doch schon von Hollande und Sarkozy angeblich recht erfolgreich praktiziert. Zumindest Jean-Luc Mélenchon, der ansonsten kein gutes Haar an ihm läßt, nötigte er mit seiner Kriegsrede die beifällige Zusicherung ab, in "nationaler Union" sei allseitige Solidarität geboten.

Was in deutschen Ohren allzu bombastisch und martialisch klingen mag, ist französischen durchaus geläufig und war in der Vergangenheit Konsens einer Bevölkerungsmehrheit, die sich im Zweifelsfall um die Fahne eigenständiger nationaler Größe scharte. In jüngerer Zeit ist die Stimmung insofern umgeschlagen, als ein Großteil der 67 Millionen Menschen im Land der Staatsgewalt skeptisch gegenübersteht, wovon die Sympathien für die Kämpfe der Gelbwesten und den langen Streik der Gewerkschaften zeugen. Selbst das brutale Vorgehen der Polizei gegen soziale Proteste wird immer häufiger auch von den bürgerlichen Medien angeprangert. [4] Um den gärenden und mitunter hervorbrechenden Widerstand unter Kontrolle zu bringen, hat sich Macron eine präsidiale Ermächtigung verschafft, die den offiziell von ihm beendeten Ausnahmezustand in seinen Händen fortschreibt und verschärft. Nun bedient er sich der Corona-Krise, um weitere repressive Instrumente zu verfügen und gesetzlich zu verankern.

Die Verbreitung des Sars-CoV-2-Virus schafft die Voraussetzungen, jegliche Zwangsmaßnahmen zu verhängen und zugleich ihre Akzeptanz zu erwirken. Grundrechte werden in Serie außer Kraft gesetzt, ohne daß sich nennenswerter Widerstand regt. Die Bevölkerung verharrt in Ungewißheit und Furcht, dankbar für jede Demonstration vorgeblicher Führungsstärke und entschiedener Maßnahmen. Es droht die Stunde des Präsidenten zu schlagen, die Pandemie zum forcierten Ausbau der Staatsgewalt zu nutzen und seine angeschlagene Stellung wieder entscheidend zu stärken. Daß er sich bei seinem verbalen Fanal wie so oft konkreter Aussagen enthielt und Begriffe wie "Quarantäne" oder "Ausgangssperre" konsequent vermied, folgt dem probaten Muster, die Verkündung einschneidender Maßnahmen an Kabinettsmitglieder abzuschieben.

So blieb es denn Innenminister Christophe Castaner vorbehalten, wenig später den "Krieg um Gesundheit" im Detail zu erläutern. 100.000 Polizisten wie auch Soldaten werden eingesetzt, um die Einhaltung der verhängten Ausgangssperre zu überwachen. Bei Nichtbeachtung drohen Sanktionen, von Geldbußen bis zu Haftstrafen. 135 Euro Bußgeld kostet es, wenn eine unautorisierte Person ohne ein angekreuztes Formular unterwegs ist, in dem fünf Gründe aufgelistet sind, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Erlaubt sind nur noch Fahrten zur Arbeit (sofern im Betrieb kein Homeoffice möglich ist), notwendige Einkäufe, Arztbesuche und Familienbesuche, die Versorgung älterer Menschen oder anderer Risikogruppen, sowie kurze Ausflüge mit Kindern in der Umgebung der Wohnung, um einer individuellen körperlichen Aktivität nachzugehen oder um Haustiere auszuführen. All diese Aktivitäten sollen allein und ohne Treffen mit anderen Menschen durchgeführt werden. Reisen im Landesinneren sind nur noch mit einer speziellen Genehmigung möglich. Die Streitkräfte werden bei Bedarf Feldkrankenhäuser mit Intensivbetten errichten und Patienten aus überlasteten Kliniken in jene verlegen, in denen noch Personal und Betten zur Verfügung stehen.

Für das unabsehbare, aber zweifellos gigantische Problem gravierender wirtschaftlicher Verheerungen stellte Macron umfangreiche Hilfsmaßnahmen in Aussicht. Ein mit 300 Milliarden Euro dotiertes Programm soll Unternehmen bei Bankkrediten unterstützen, darüber hinaus schlägt der Präsident vor, Steuerzahlungen und Sozialabgaben für Unternehmen auszusetzen, auch sollen Strom- und Gasrechnungen kein Problem sein. Um die von ihm beschworene Solidarität zu unterstreichen, sprach er zugleich Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen wie auch die Ärmsten und Bedürftigen an. Wie das gehen soll, wo doch gerade die jahrelange Verwüstung der Lebensverhältnisse zum Aufbegehren der Gelbwesten und dem Streik gegen die Rentenreform geführt hat, steht auf einem andern Blatt.

Was massenhafte Straßenproteste und Streiks nicht vermochten, hat Macron nun selbst angeordnet. Im Rahmen der Mobilisierung für den "Gesundheitskrieg" brauche man alle Energie, weshalb alle Reformen, die gerade in Arbeit sind, namentlich die Rentenreform, ausgesetzt würden. Für die Opposition auf der Straße und in den Betrieben könnte sich das freilich als Pyrrhussieg erweisen, da die Rentenreform de facto bereits per Dekret verordnet worden ist und die Abwehrkämpfe um die Details angesichts der Seuchengefahr, deren Ende nicht abzusehen ist, ihren Schwung eingebüßt haben dürften. Epidemien stärken in aller Regel durch weitreichende Maßnahmen der Seuchenbekämpfung die administrative Regulation, wovon auch die französische Regierung ausgiebig Gebrauch macht. Sie kann nun jene Vernunft für sich geltend machen, die mangels evidenter Strategien, der Pandemie Herr zu werden, in erster Linie auf Quarantäne und Triage im nationalen Kontext setzt.

Wie schnell Regierungshandeln im Krisenfall zwischen Verzögern und Beschleunigen gravierender Eingriffe wechseln kann, belegt auch das Beispiel Macron. Trotz der am Samstag verkündeten Schließung von Restaurants und Cafés gingen gerade in der Hauptstadt die Leute bei frühlingshaftem Wetter in Gruppen spazieren, machten gemeinsam Picknick und drängten sich eng an eng auf den Wochenmärkten. Menschen, die eine Schutzmaske trugen, waren am Wochenende nur vereinzelt zu sehen. Der Präsident hatte entgegen dringenden Warnungen auf die Durchführung der Kommunalwahlen bestanden und noch bei seiner Stimmabgabe in Touquet erklärt: "Der wissenschaftliche Rat hat gesagt, wer einkaufen geht, kann auch wählen gehen." Die Wählerschaft war sich da nicht so sicher, und so fiel die Wahlbeteiligung auf ein historisches Tief unter 50 Prozent. Da am selben Tag auch in Bayern Kommunalwahlen stattfanden, war Macrons Vorgehensweise so außergewöhnlich nicht, wobei es allerdings in Frankreich keine Briefwahl gibt.

Sollte Macron geplant haben, das absehbare Wahldebakel seiner Partei möglichst schnell abzuwettern, durchkreuzte die Eskalation der Corona-Pandemie derartige Erwägungen. Noch am Sonntagabend forderten alle anderen Parteien in seltener Einmütigkeit, den zweiten Wahlgang abzublasen. Einen ersten Wahlgang ohne den zweiten durchzuführen, sieht die Verfassung jedoch nicht vor, weshalb zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs eine Wahl für ungültig erklärt werden könnte. [5] Führende Virologen und Mediziner drängten die Politik, härter durchzugreifen. Italien und Spanien hatten eine Ausgangssperre verhängt, auch in Österreich war das öffentliche Leben stark eingeschränkt worden. Eine Kehrtwende war daher für den Präsidenten die einzig vertretbare Option, die er denn auch brachial vollzog.

Als die Maßnahmen bekannt waren, schlug die zuvor gedämpfte Panikreaktion der Bevölkerung in volle Wucht um. Auf den Ausfallstraßen von Paris staute sich der Verkehr. Familien in vollgepackten SUVs, Rentner in Limousinen machten sich auf dem Weg in Landhäuser, bevor die Ausgangssperre sie daran hindern konnte. Auch an den Pariser Bahnhöfen gab es einen Run auf die letzten Hochgeschwindigkeitszüge, die Staatsbahn SNCF hatte bereits angekündigt, die Fahrkartenkontrollen einzustellen. Welche Folgen das für die Ausbreitung der Infektion über das ganze Land hat, läßt sich vorerst nur mutmaßen.

"Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin!" Diese recht altbackene Sentenz der deutschen Friedensbewegung verkehrt Macrons "Gesundheitskrieg" auf düstere Weise ins Gegenteil. Unter der Ausgangssperre sollen die Kombattanten zu Hause bleiben, während die leere Straße den patroullierenden Sicherheitskräften gehört. Es drängt sich der Eindruck auf, daß angesichts fehlender virologischer, aber sehr wohl vorhandener militärischer Waffen der Krieg gegen den "unsichtbaren Feind" zuallererst gegen die Bevölkerung geführt wird. Wachsen die Probleme über den Kopf, wächst der Drang, die soziale Matrix, zu Lasten des anderen zu überleben, eskalieren zu lassen. Hamsterkäufe und Flucht aus dem Kessel, nationale Maßnahmen auf Kosten einer europäischen Strategie, auf allen Ebene tritt offen hervor, was die Existenz des Menschen in dieser Vergesellschaftung ausmacht. Allerdings ist es um die Chancen Macrons, diese Krise nicht nur zu überleben, sondern sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen, weitaus größer als die von Millionen seiner Landsleute. Vor Gott und Corona sind eben doch nicht alle gleich, so sehnlich fatalistische Schicksalsergebenheit das auch beschwören mag. Bleibt noch anzumerken, daß zumindest nicht restlos auszuschließen ist, daß diese in den westlichen Industriestaaten seit mehreren Generationen ausgebliebene Zäsur zu Überlegungen und Taten Anlaß geben könnte, die eine Rückkehr zum Normalbetrieb nach überstandener Pandemie nicht als Erlösung herbeisehnen.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/politik/wir-befinden-uns-im-krieg-100-000-polizisten-kontrollieren-ausgangssperre-in-frankreich/25651234.html

[2] www.faz.net/aktuell/politik/corona-krise-in-frankreich-macron-erklaert-virus-den-krieg-16682743.html

[3] www.n-tv.de/panorama/Ein-Land-im-Krieg-mit-Covid-19-article21649169.html

[4] www.heise.de/tp/features/Frankreich-Ausgangsverbot-und-100-000-Polizisten-4684964.html

[5] www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/kommunalwahlen-frankreich-lokalpolitik-coronavirus-gruene

18. März 2020


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