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REPRESSION/1673: AfD - hat längst schon Flügel ... (SB)



Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind aktuell die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Unser gesetzlicher Auftrag verpflichtet uns zu handeln, wenn Bürger und die Demokratie in Deutschland durch Rechtsextremismus gefährdet sind.
Thomas Haldenwang (Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz) [1]

Die AfD hat die politische Konkurrenz erfolgreich vor sich hergetrieben, Bernd Lucke und Frauke Petry entsorgt, sich zunehmend radikalisiert und für die extreme Rechte geöffnet. Daß sie bei Bedarf auch Kreide fressen kann, sofern das taktische Kalkül es gebietet, ändert nicht das Geringste an ihrer Strategie, sich mit völkischen und rassistischen Positionen als die einzige Rettung der von Abstiegsängsten heimgesuchten Schichten zu präsentieren. Hans-Georg Maaßen hielt als Präsident des Verfassungsschutzes seine schützende Hand über sie, um sie von einer Beobachtung durch seine Behörde freizuhalten. Als es nach seinem Abgang eng für die AfD wurde, verwahrte sich deren Vorsitzender Jörg Meuthen im Oktober 2018 gegen Überlegungen, seine Partei durch den Verfassungsschutz unter die Lupe zu nehmen. Die AfD sei durch und durch eine Rechtsstaatspartei und die Forderung nach einer Beobachtung speise sich nicht aus rechtlichen Erwägungen, sondern sei eine rein politisch motivierte Vorgehensweise der Konkurrenz. Zugleich bemühte sich eine vom Bundesvorstand eingesetzte "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" fieberhaft, den Mitgliedern dringend Verhaltensregeln anzuempfehlen, wonach bestimmte verfängliche Formulierungen bis auf weiteres allenfalls zu denken, nicht aber öffentlich zu äußern seien. Das hat nicht funktioniert.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die AfD im Januar 2019 als Prüffall und den rechtsnationalen "Flügel" der Partei sowie deren Jugendorganisation "Junge Alternative" in die nächsthöhere Kategorie des Verdachtsfalls ein. Nun hat der Inlandsgeheimdienst den "Flügel" um Björn Höcke (Thüringen), Andreas Kalbitz (Brandenburg) und Hans-Thomas Tillschneider (Sachsen-Anhalt) offiziell unter Beobachtung gestellt, die dritte und höchste Stufe geheimdienstlicher Befassung. Der Verfassungsschutz sieht damit seinen Verdacht bestätigt, daß es sich bei dem Zusammenschluß um eine rechtsextreme Bestrebung handelt. Bei einem Verdachtsfall ist der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln wie etwa Observation erlaubt, bei einer Beobachtung darüber hinaus das Anwerben von Informanten. Auch dürfen Daten zu einzelnen Personen gesammelt und gespeichert werden. Was ein Abgeordneter im Plenum oder in Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen. [2]

Nachdem der neue Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, auf einer Pressekonferenz am 15. Januar 2019 die Öffentlichkeit über die damaligen Einstufungen informiert hatte, stellte die AfD erfolgreich einen Eilantrag, da sie die Bekanntgabe ihrer Bewertung als Prüffall für rechtswidrig erachtete. Während es nämlich für Verdachtsfälle eine gesetzliche Grundlage zur Information der Öffentlichkeit gibt, fehlt für Prüffälle eine vergleichbare Regelung im Gesetz. Laut dem Kölner Verwaltungsgericht kommt dem Begriff "Prüffall" eine negative Wirkung zu, weshalb die Äußerung einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte einer Partei darstelle und nicht gerechtfertigt sei. In diesem Verfahren ging es allein um die Frage, ob es eine Rechtsgrundlage für die offizielle Betitelung als Prüffall gibt. Die inhaltliche Bewertung der Positionen der AfD "war nicht verfahrensrelevant", so daß der Verfassungsschutz seine Arbeit intern ungehindert weiterführen konnte. [3]

Im Oktober 2019 erklärte Haldenwang, er könne nichts erkennen, was ihn von der früheren Einschätzung abbringen würde. Im Gegenteil werde der "Flügel" immer extremistischer. Die Öffentlichkeit nimmt vor allem Björn Höcke, der laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen als "Faschist" bezeichnet werden darf, als führenden Repräsentanten des völkischen Lagers in der AfD wahr. Als nicht minder einflußreich gilt jedoch Andreas Kalbitz, der in der Vergangenheit an diversen Gruppierungen von Neonazis beteiligt war. Im Unterschied zu dem lautstark provozierenden Höcke hält sich Kalbitz aus taktischen Gründen eher bedeckt und setzt auf einen geduldigen Durchmarsch. Über ihn sagte Haldenwang, der Brandenburger AfD-Vorsitzende habe sich nie von seiner Vergangenheit distanziert. [4]

Wie Haldenwang nun auf einer Pressekonferenz erklärte, werde der "Flügel", eine "Teilorganisation" der AfD, als "erwiesen extremistische Bestrebung" eingestuft. "Wenn sich die Spielarten des Extremismus erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtungsradius." Verfassungsfeindliche Verdachtspunkte innerhalb des "Flügels" hätten sich zu Gewißheiten verdichtet. Die Behörde sieht es als erwiesene Tatsache an, daß innerhalb der Strömung gegen prägende Grundwerte wie die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip verstoßen wird. Der "Flügel" mit den beiden prominenten Vertretern Björn Höcke und Andreas Kalbitz habe einen "signifikanten Bedeutungszuwachs" innerhalb der Partei erlangt: "Beide sind Rechtsextremisten." So spreche Höcke wegen der Zuwanderung von Muslimen von einem "Zivilisationsbruch".

Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes hat der "Flügel" rund 7000 Anhänger und wäre damit doppelt so groß wie die NPD. In Deutschland gebe es aktuell rund 32.000 Rechtsextremisten, etwa 13.000 von ihnen würden als gewaltbereit eingestuft. Haldenwang hatte in den vergangenen Monaten eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus und eine Vermischung unterschiedlicher Milieus festgestellt. Der Rechtsextremismus werde durch "viele Quellen gespeist", angefangen bei einer sprachlichen "Verrohung" und "Enthemmung", die den Boden dafür düngten. "Grenzen des Sagbaren werden ausgetestet, indem man das Unsagbare ausspricht und die Grauzone zwischen richtig und falsch erweitert", so Haldenwang.

Die AfD hatte am Vortag Stellungnahmen von Funktionären der Partei veröffentlicht, mit denen diese frühere Äußerungen zum Islam, zur Einwanderung und zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber "klarstellen" wollten. Damit sollten Vorhaltungen des Verfassungsschutzes in letzter Minute entkräftet werden, was jedoch nicht gelang. Unter anderem äußerten sich Höcke, Kalbitz und Tillschneider. Der Landtagsabgeordnete der AfD in Sachsen-Anhalt erklärte: "Es handelt sich bei dem Vergleich des Islams mit einem Baumpilz um eine drastische und polemisch überzogene Bildlichkeit, die ich 2017 verwendet habe, auf die ich aber nicht mehr zurückgreifen würde, da sie falsche Assoziationen weckt. Wichtig ist mir deshalb die Betonung, dass ich nicht Menschen mit Parasiten vergleiche, sondern eine Parallelgesellschaft." Wie diese Einlassung zeigt, nimmt Tillschneider seine Diffamierung keineswegs zurück, sondern bekräftigt sie im Grunde sogar.

Offiziell ist die Gruppierung nicht Teil der Partei, weshalb es auch keine Mitgliederlisten gibt und die Größe der Anhängerschaft lediglich auf Schätzungen beruht. Der "Flügel" versammelt sich einmal im Jahr zum sogenannten "Kyffhäusertreffen", woran in der Vergangenheit auch AfD-Politiker teilgenommen haben, die sich selbst nicht der Gruppierung zurechnen, etwa Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Die Parteispitze bemüht sich nach außen hin um Distanz, hat aber Parteiausschlußverfahren etwa gegen Höcke stets verhindert. Gauland und Meuthen sind gute Beziehungen zum "Flügel" ein wichtiges Anliegen, gleiches gilt für den neuen Vorsitzenden Tino Chrupalla. Fraktionschefin Alice Weidel, die als vermeintlich Wirtschaftsliberale lange als Gegnerin der Nationalisten galt, hat unter Vermittlung des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek einer "Waffenruhe" mit den Flüglern zugestimmt. Andere Parteiströmungen wie die "Alternative Mitte", ein Zusammenschluß von sogenannten Gemäßigten, sind ohne nennenswerten Einfluß. Vereinigungen wie die "Juden in der AfD" mit wenigen Dutzend Mitgliedern dienen als Feigenblatt gegen Antisemitismusvorwürfe. [5]

Der "Flügel" ist zwar im Osten besonders stark vertreten, breitet sich aber auch in den westdeutschen Landesverbänden aus und plaziert dort seine Leute. In Schleswig-Holstein war die Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein umstritten, da sie einen von einer verurteilten Holocaust-Leugnerin gegründeten Verein gefördert hatte. In Bayern verdrängte die rechte "Flügel"-Frau Katrin Ebner-Steiner den gemäßigten Fraktionssprecher Markus Plenk. Im zerstrittenen Landesverband Nordrhein-Westfalen übernahm "Flügel"-Mann Thomas Röckemann nach einem chaotischen Parteitag vorübergehend das Ruder. Sein als gemäßigt geltender Gegenspieler Helmut Seifen sprach von einer gezielten Methode, mit der Einfluß auf Landeslisten im Westen genommen werde. Führende Leute aus Brandenburg seien zu Vorträgen eingeladen worden, und hinterher habe ein kleiner Kreis vorbesprochen, wie die Liste bei der nächsten Delegiertenwahl aussehen soll. Der "Flügel" sei längst eine Parallelmacht, die mache, was sie wolle.

Doch die Parteispitze wehrte alle Unvereinbarkeitsbeschlüsse ab und verhinderte eine Spaltung der Partei. Sie hält die AfD nach rechts offen, um sich des dort kulminierenden Drucks zu bedienen, ohne die Gemäßigten in den eigenen Reihen und eine breitere Wählerschaft zu verprellen. Die Drift der Partei weist in Richtung "Flügel", mit dem es sich inzwischen niemand mehr verderben darf, der etwas werden oder bleiben will. Der Bundesvorstand weiß aber auch, daß die Intervention des Verfassungsschutzes unter dessen neuem Präsidenten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Hatte dessen Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen seinerzeit Frauke Petry noch beraten, wie sie die Beobachtung der AfD durch seine Behörde abwenden könne, legt Haldenwang aus verschiedenen Gründen eine deutlich härtere Gangart an.

Die Landesämter des Verfassungsschutzes werden mit ihrer Bewertung des "Flügels" nachziehen, was dazu führt, daß die Situation vor allem für Beamte prekär wird. Beispielsweise haben im vergangenen Jahr fünf Polizisten für die Thüringer AfD, die als Hochburg des "Flügels" gilt, bei den Landtagswahlen kandidiert. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter erhofft sich nun Möglichkeiten, solche Leute per Disziplinarverfahren aus dem Dienst zu entfernen. Die AfD zieht unablässig mit juristischen Mitteln gegen den Verfassungsschutz zu Felde und hat im Januar 2020 beim Verwaltungsgericht Köln Klagen gegen die Einstufung von "Flügel" und "Junge Alternative" als Verdachtsfall eingereicht. Ab sofort steht der "Flügel" jedoch sogar unter Beobachtung, und der Geheimdienst scheint diese Einstufung rechtlich wasserdicht gemacht zu haben. Er stützt sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen das NPD-Verbot vom Januar 2017, das diese Partei als radikal, aber faktisch unbedeutend eingestuft hatte. Karlsruhe definierte damals so klar wie nie zuvor, was in diesem Staat zu schützen sei. Die Mißachtung der Menschenwürde, Rassismus, die Ausgrenzung von Ausländern, Migranten, Muslimen wurde ebenso als verfassungsfeindlich erklärt wie das gezielte Verächtlichmachen der parlamentarischen Demokratie. Daher sind die Aussichten der AfD gering, vor Gericht die Oberhand zu behalten. Parallel dazu investiert die Partei gerade 250.000 Euro in eine Werbekampagne, die vermitteln soll, daß sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehe.

Das Argument, der "Flügel" lasse sich nicht exakt definieren, weshalb seine Einstufung als Beobachtungsfall eine fragwürdige Konstruktion sei, könnte sich als Eigentor für die Gesamtpartei erweisen. Angesichts der innerparteilichen Dominanz dieser Strömung liegt die Frage nahe, warum nicht die gesamte AfD so einzustufen sei. Das hält das Bundesamt für Verfassungsschutz zwar derzeit nicht für gegeben, doch deutet sich an, daß die Verfassungsschutzbehörden von Thüringen, Brandenburg und Sachsen erwägen, die Landesverbände der AfD komplett härter einzustufen. In den drei Ländern dominiere der "Flügel" die AfD, eine Unterscheidung in Radikale und Gemäßigte sei angesichts der Schwäche moderater Kräfte weitgehend hinfällig. [6]


Fußnoten:

[1] www.stern.de/politik/deutschland/verfassungsschutz--afd--fluegel--ist--erwiesen-extremistische-bestrebung--9179116.html

[2] www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-101.html

[3] www.tagesschau.de/inland/afd-prueffall-103.html

[4] www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-109.html

[5] www.n-tv.de/politik/Nicht-der-Fluegel-die-ganze-AfD-ist-verdaechtig-article21635587.html

[6] www.sueddeutsche.de/politik/afd-verfassungsschutz-fluegel-1.4829281

12. März 2020


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