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REPRESSION/1666: Julian Assange - exemplarische Drohung ... (SB)



Aus unserer Sicht soll er zum Schweigen gebracht werden. Mutmaßlich will man mit Assange ein Exempel statuieren und so auch künftig andere Whistleblower davon abhalten, zu handeln. Insgesamt geht es um einen Angriff auf unsere Meinungs- und Pressefreiheit. Genauer gesagt: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen auf dem Spiel.
Ralf Nestmeyer (Schriftstellervereinigung PEN Deutschland) [1]

Das Auslieferungsverfahren des Wikileaks-Gründers Julian Assange in London stellt in mehrfacher Hinsicht einen Frontalangriff auf bislang geltende Rechtsnormen dar, dessen Ausgang unumkehrbare Standards praktizierter Repression durchzusetzen droht. Assange ist ein politischer Gefangener, der zur Zeit unter menschenunwürdigen Bedingungen im Londoner Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis einsitzt. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte der UN-Sonderbeauftragte über Folter, Nils Melzer, in einem offenen Brief die foltergleichen Haftbedingungen des Gefangenen angeprangert. Im Falle einer Überstellung in die USA drohen dem Journalisten bei Verurteilung in allen 18 Anklagepunkten insgesamt 175 Jahre Gefängnis, selbst die Todesstrafe wäre möglich. Bei der Forderung nach seiner Freilassung geht es unmittelbar darum, sein Leben zu retten.

Zugleich steht die Meinungs- und Pressefreiheit in bislang beispiellosem Maße auf dem Spiel. Das Verfahren gegen Assange stellt einen Präzendenzfall dar, der nicht nur ihn, sondern auch unabhängigen und kritischen Journalismus im allgemeinen kriminalisieren soll. Mit Hilfe von rund 470.000 Dateien wurden 2010 über Wikileaks schwerste US-Kriegsverbrechen in Afghanistan sowie im Irak aufgedeckt und belegt. Eine Auslieferung Assanges an die USA würde dazu führen, daß Whistleblower sowie die Plattformen und Medien, welche die Informationen veröffentlichen, dauerhaft eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Die Perversion, daß nicht die Kriegsverbrecher verfolgt werden, sondern derjenige, der sie an die Öffentlichkeit gebracht hat, würde als Umdeutung von Aufklärung in Spionage dauerhaft zementiert.

Julian Assange wird gezielt verfolgt, diskreditiert und als ganze Person nachhaltig zerstört. Die auf einer Verfälschung von Aussagen gründenden Vergewaltigungsvorwürfe munitionierten die angestrebte Auslieferung und schufen systematisch Vorbehalte und Vorurteile in Medien und Öffentlichkeit, die seine Glaubwürdigkeit vernichten, ihm Unterstützung rauben und seine Enthüllungen entwerten sollten. Hatten zahllose Menschen in aller Welt mit ihm eine unverzichtbare und mutige Intervention in das geheime Treiben der Staaten und die Offenlegung von Kriegsgreueln assoziiert, so sollten sie mittels seiner Diffamierung vor aller Augen entmutigt und abgestoßen werden.

Für die US-Administration geht es insbesondere darum, die weltweite Dominanz ihrer Maßgaben und den uneingeschränkten Zugriff auf jegliche Zielpersonen ohne Rücksicht auf nationale Rechte anderer Staaten und internationale Vereinbarungen durchzusetzen. US-Politiker wie der frühere Minister für Heimatschutz, Jeh Johnson, erklären, Assange sei gar kein Journalist, und der frühere CIA-Chef und jetzige Außenminister Mike Pompeo bezeichnet WikiLeaks als Terrororganisation. Im Kampf um ausschließliche Deutungsmacht erzwingen politische Führung und Justiz der USA die Gefügigkeit anderer Regierungen, der Verfolgung angeblicher Verbrecher wie Assange zuzuarbeiten.

Das heißt jedoch nicht, daß sich die schwedische, britische oder deutsche Regierung zähneknirschend den Forderungen Washingtons fügte, aber WikiLeaks und Julian Assange wertschätzt. Jede Staatsräson hütet ihre Geheimnisse, wie etwa die sogenannte NSA-Affäre offenbarte, die zugleich eine des BND war. Welcher Partner im globalen Antiterrorkrieg könnte sich mit einer weißen Weste schmücken, welches Land hätte keine politischen Gefangenen, die in Folterhaft gehalten werden! Die Richtlinien der EU für Whistleblower lassen explizit die Hintertür schutzwürdiger Staatsgeheimnisse offen, deren Verrat damit um so fester als strafbewehrt festgezurrt wird. Der größte Fehler und damit das sicherste Mittel, dafür zu sorgen, daß Assange letztlich ausgeliefert wird, bestünde in der Illusion, daß sich irgendeiner dieser Staaten von sich aus für die Befreiung des WikiLeaks-Gründers einsetzen würde.

In den Vereinigten Staaten ist der Fall Julian Assange eng mit der Informantin Chelsea Manning verknüpft. Politiker der Republikaner waren empört, als US-Präsident Barack Obama kurz vor der Amtsübergabe im Januar 2017 entschied, Manning zu begnadigen. Sie kam zwar im Mai 2017 kurzfristig frei, saß aber seitdem immer wieder in Haft, derzeit in der Bundeshaftanstalt in Alexandria nahe Washington D.C., weil sie sich weigert, vor Geschworenen gegen Assange auszusagen. Ihre Anwälte haben erneut die Freilassung der inhaftierten Whistleblowerin beantragt. Sie bezeichneten die Fortsetzung der Haft als "unerlaubte Bestrafung". Falls Manning nicht freigelassen wird, drohen ihr weitere sieben Monate Beugehaft, die von Richter Anthony J. Trenga vom US-Bezirksgericht Ost-Virginia verhängt wurde.

Manning argumentiert in ihrem Antrag an das Gericht, daß sie in den letzten elf Monaten zweifelsfrei bewiesen habe, sich zu keiner Aussage zwingen zu lassen. Laut Bundesrecht soll eine Beugehaft Zeugen zu einer Aussage zwingen. Eine Freilassung soll erfolgen, wenn keine nennenswerte Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Zeuge seine Meinung ändern wird. Manning erhebt außerdem Einspruch gegen die Geldstrafen von 1.000 Dollar pro Tag, zu der sie das Gericht wegen ihrer Aussageverweigerung verurteilt hat. Diese belaufen sich mittlerweile auf fast eine halbe Million Dollar. Wie es abschließend in dem Antrag an Richter Trenga heißt, haben mehr als 60.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, in der sie ihre Überzeugung ausdrücken, Manning könne nicht zu einer Aussage gezwungen werden. [2]

Zum Auftakt des politischen Schauprozesses in London, in dem über ein Auslieferungsgesuch des US-Bundesstaates Virginia entschieden wird, wurde ein vertrauliches Dokument der ermittelnden Staatsanwaltschaft von Virginia publik. Demnach droht Assange im Falle einer Auslieferung strengste Isolationshaft, da es "spezielle Verwaltungsmaßnahmen" der Justiz ermöglichen würden, den Gefangenen strikt von der Außenwelt abzuschirmen. Auch die Kommunikation mit seinen Anwälten könne überwacht werden, falls das zur "Abwehr von Gefahren für die nationale Sicherheit der USA" notwendig sei. Der UN-Sonderbeauftragte Melzer erneuerte vor dem Anhörungstermin seine Aufforderung an die britische Justiz, sich an geltendes Recht zu halten, nach dem keine Häftlinge wegen "politischer Vergehen" an andere Länder ausgeliefert werden dürfen. Auch der US-Whistleblower Edward Snowden forderte die Richter auf, das Auslieferungsersuchen zurückzuweisen.

In der britischen Hauptstadt haben Tausende gegen eine mögliche Auslieferung des gebürtigen Australiers an die USA demonstriert. Mit Schildern und Transparenten, auf denen unter anderem "Journalismus ist kein Verbrechen" und "Keine Auslieferung von Assange" stand, zogen sie von der diplomatischen Vertretung Australiens bis zum Parlamentsgebäude. Auch mehrere Prominente sowie der Vater von Assange, John Shipton, nahmen an dem Marsch teil. [3] Zwei Abgeordnete des australischen Parlaments, Andrew Wilkie und George Christensen, hatten wenige Tage zuvor Assange im Londoner Gefängnis Belmarsh besucht und die australische Regierung aufgefordert, ihn als einen ihrer Staatsbürger zu verteidigen. Sowohl Wilkie als auch Christensen erklärten, sie hätten nach dem Besuch keinerlei Zweifel, daß Assange an den Folgen psychologischer Folter leide. Seine Anwältin Jennifer Robinson und WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson schlugen Alarm: Werde Assange an die USA ausgeliefert, könne jedem Journalisten, Verleger oder Aktivisten, der mit der amerikanischen Regierung in Konflikt kommt, das gleiche passieren. [4]

In Deutschland kam die Unterstützung des WikiLeaks-Gründers in einem Appell führender Politiker, Kulturschaffender und Journalisten zum Ausdruck, die ein Ende der Verfolgung Assanges fordern. Der Journalist Günter Wallraff hat eine Petition für seine sofortige Freilassung aus der Haft in Großbritannien ins Leben gerufen, die bereits von über hundert Menschen des öffentlichen Lebens unterzeichnet wurde. Der SZ-Journalist Heribert Prantl [5] und der CSU-Politiker Peter Gauweiler [6] haben sich in Interviews mit dem Deutschlandfunk für ihn eingesetzt, die Schriftstellervereinigung PEN protestierte mit Lichtprojektionen "Protect Whistleblowers" und "Free Julian Assange" auf Wände der britischen und der US-amerikanischen Botschaft in Berlin gegen die Inhaftierung des Journalisten. Gemeinsam mit anderen Organisationen wie Amnesty International will sie mit ihrem Protest die Öffentlichkeit aufrütteln.

Die Londoner Richter können nun beweisen, daß die britische Justiz europäische Menschenrechtsstandards verteidigt, und die Auslieferung aus diesem Grund ablehnen. Fest steht indessen, daß nur wachsender Druck von unten Julian Assange retten und der exemplarischen Drohung etwas entgegensetzen kann, daß gnadenlos bis zur physischen Vernichtung verfolgt wird, wer sich an Geheimnissen des Staates vergreift, die dieser jeder Kontrolle durch den angeblichen Souverän zu entziehen trachtet.


Fußnoten:

[1] www.jungewelt.de/artikel/373253.demokratie-und-recht-stehen-auf-dem-spiel.html

[2] www.wsws.org/de/articles/2020/02/21/mann-f21.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/373162.druck-für-assange.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2020/02/21/assa-f21.html

[5] www.deutschlandfunk.de/heribert-prantl-zu-julian-assange-es-gilt-fuer-jemanden.694.de.html

[6] www.deutschlandfunk.de/der-fall-julian-assange-gauweiler-csu-assange-muss.694.de.html

25. Februar 2020


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