Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1557: Erdogans Schattenwurf in deutsch-türkischen Kreisen (SB)



Am 16. April soll in der Türkei das Referendum über die Verfassungsänderung durchgeführt werden, mit der Recep Tayyip Erdogan ein Präsidialsystem einführen will, das eine nahezu diktatorische Konzentration der Staatsmacht in seinen Händen vorsieht. Um die erforderliche einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu ihren Gunsten herbeizuführen, wirbt die AKP-Regierung auch unter in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern für ihr Vorhaben, da diese stimmberechtigt sind. So will Ministerpräsident Binali Yildirim am Samstag in Oberhausen auf einer politischen Veranstaltung eine Rede halten, zu der 10.000 Teilnehmer erwartet werden. Man kann davon ausgehen, daß er dabei nach Kräften Stimmung für die umstrittene Volksabstimmung in der Türkei machen will.

Das wirft die Frage auf, ob ein ausländischer Regierungschef - sofern man Yildirim von Erdogans Gnaden als solchen bezeichnen will - in Deutschland willkommen sein kann, obgleich er sich offensichtlich auf einer Mission für die Beseitigung der Demokratie seines Landes befindet. Nein, erklärt Sevim Dagdelen, die Beauftragte für Migration und Integration der Linksfraktion im Bundestag, entschieden. Wie sie argumentiert, sei diese Propagandatour nicht hinnehmbar, weil sie für eine repressive Umwälzung des politischen Systems in der Türkei werbe, aber auch zur weiteren Polarisierung und Stimmungsmache innerhalb der türkischsprachigen Community in Deutschland beitrage und daher integrationsfeindlich für die hier lebenden Menschen sei.

Dagdelen hält ein von der Bundesregierung ausgesprochenes Einreiseverbot für erforderlich, um Yildirims Vorhaben zu unterbinden. Sie erachte den Vorwand des nordrhein-westfälischen Innenministeriums für mehr als fragwürdig, das erkläre, man könne diese Propagandaveranstaltung für eine islamistische Diktatur nicht verhindern, weil Yildirim als Privatmann auftrete. Diese Haltung komme einer Irreführung seitens der Behörden in Nordrhein-Westfalen, aber auch der Bundesregierung gleich. Diese entscheide über öffentliche Auftritte ausländischer Regierungschefs und müsse in diesem Fall die Erlaubnis verweigern, da andernfalls nachteilige Folgen in der Türkei wie auch in Deutschland zu erwarten seien. Ähnlich argumentiert der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki. Auftritte von türkischen Regierungsmitgliedern, die "auf deutschem Boden für die Errichtung eines autokratischen Systems in der Türkei" werben wollten, seien eine "unglaubliche Frechheit". Die Bundesregierung müsse dem entgegentreten. [1]

Zugleich schlägt die Kontroverse um den türkisch-islamischen Moscheenverband DITIB nach wie vor hohe Wogen, der im Verdacht steht, als langer Arm des Regimes in Ankara zu fungieren. Der größte islamische Verband in Deutschland tritt nach eigener Darstellung für einen weltoffenen und liberalen Islam ein und verfolgt gemeinnützige religiöse, wohltätige, kulturelle und sportliche Zwecke. In seinen Grundsätzen ist verankert, daß er als überparteiliche Organisation "jede Art von parteipolitischer Aktivität in den Vereinsräumen" verbietet. Die DITIB ist jedoch organisatorisch eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, und die meisten der rund 900 Imame, die in DITIB-Moscheen in Deutschland arbeiten, sind türkische Beamte, die von der genannten Behörde ausgewählt und bezahlt werden. [2]

Zudem ist der Vorsitzende der DITIB in Deutschland in Personalunion auch Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten bei der türkischen Botschaft in Berlin. Er wird von der Religionsbehörde in Ankara für eine befristete Zeit eingesetzt. Ihm unterstellt sind die Religionsattachés in den Konsulaten, so daß man die DITIB von ihrer Struktur her als politisches Instrument der türkischen Regierung in Deutschland bezeichnen kann. Das war in der Vergangenheit hierzulande weithin unbekannt und auch schon deshalb kein Thema, weil die DITIB als Dachverband von 900 türkisch-islamischen Vereinen in mehreren Bundesländern als naheliegendster Ansprech- und Kooperationspartner in Fragen der Integration und des Religionsunterrichts angesehen wurde.

Nach dem gescheiterten Putsch am 15. und 16. Juli 2016 in der Türkei trat das Erdogan-Regime eine offensichtlich von langer Hand geplante Repressionswelle gegen tatsächliche oder angebliche Anhänger des in den USA im Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen los, der zum Drahtzieher des geplanten Umsturzes erklärt wurde. In deutschen Moscheen wurden nachweislich Menschen von Imamen ihrer Gemeinde ausgehorcht und bespitzelt, die Inhalte vertraulicher Gespräche an den türkischen Staat weitergeleitet. Die mildeste Form der daraus resultierenden Bestrafung ist offenbar der Einzug des Passes bei der Einreise in die Türkei, so daß die Betroffenen das Land nicht mehr verlassen können. In vielen Fällen werden die Personen aber auch verhaftet und nicht selten später enteignet. Bei denjenigen, die nicht mehr in die Türkei reisen, geht der türkische Staat gegen Verwandte vor und entläßt sie beispielsweise ohne Begründung und Rechtsmittel aus dem Staatsdienst.

Nachdem der religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, bereits Mitte Dezember 2016 eine Strafanzeige wegen mutmaßlicher Spionage zum Nachteil der Bundesrepublik beim Generalbundesanwalt gestellt hatte, geschah lange Zeit nichts. Erst jetzt haben Ermittler mehrere Moscheen und die Wohnungen von vier muslimischen Geistlichen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz durchsucht und mögliches Beweismaterial sichergestellt. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe besteht gegen die Beschuldigten der Verdacht, sie hätten Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt und dem türkischen Generalkonsulat in Köln berichtet. Anlaß dafür soll eine Aufforderung des türkischen "Präsidiums für Religionsangelegenheiten" vom 20. September 2016 gewesen sein, wonach die Gülen-Bewegung für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich war. Zentraler Bestandteil des Verfahrens ist offenbar ein nachrichtendienstliches Behördenzeugnis, das belegen soll, daß die spionierenden Geistlichen juristisch als Agenten einzustufen seien, auch wenn sie nicht unmittelbar für einen Nachrichtendienst tätig waren. Der Paragraph 99 des Strafgesetzbuches, nach dem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen führt, verbietet das Sammeln von Informationen in Deutschland "für den Geheimdienst einer fremden Macht". [3]

Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes haben allein in dem Bundesland mindestens dreizehn Imame Informationen über Gülen-Anhänger nach Ankara gemeldet. Die Namen von 33 bespitzelten Personen und elf Institutionen aus dem Bildungsbereich seien an die staatliche Diyanet geliefert worden, wie NRW-Verfassungsschutzpräsident Burkhard Freier im Innenausschuß des Düsseldorfer Landtags erklärte. Für die Berichte an den türkischen Staat hätten auch Imame aus drei rheinland-pfälzischen Moscheegemeinden Informationen gesammelt.

Das angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe vergleichsweise lange Zögern der Ermittlungsbehörden führt zwangsläufig zur Frage, ob man der DITIB und ihrem Dienstherrn in Ankara bewußt Zeit gegeben hat, um die betreffenden Imame und Religionsattachés in die Heimat zurückzuziehen. Sevim Dagdelen und Volker Beck hegen unabhängig voneinander den Verdacht, daß eine Form der Geheimdiplomatie am Werk gewesen sein könnte. Beck spricht von Strafvereitelung, da die DITIB selbst erklärt hatte, einige Beschuldigte seien nach Bekanntwerden der Spitzelvorfälle vorzeitig in die Türkei ausgereist. Offenbar existiere außerhalb des türkischen Geheimdienstes eine weitere Organisation, die zwar einem anderen Hauptzweck diene, aber als eigenständige Spionagequelle genutzt werde. [4]

Die Ermittlungen seien so langsam vorangegangen, daß sich Beschuldigte durch ihre Ausreise in die Türkei einem Verfahren entziehen konnten, meint Volker Beck. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier von Seiten der Bundesregierung kein großes Interesse an einer Aufklärung besteht, weil man das Klima nicht vergiften möchte." Mit Blick auf Ankara sind die Berliner Prioritäten offenbar anders gelagert, als der Einflußnahme der Erdogan-Regierung auch hierzulande einen Riegel vorzuschieben - und sei es um den Preis einer langjährigen Präsidialdiktatur am Bosporus. In einem Staat wie der Bundesrepublik, der linke türkische und kurdische Regimegegner seit Jahrzehnten nach Paragraph 129 b verfolgt, kann eine solche Kooperation mit der Türkei allerdings kaum überraschen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/geplanter-auftritt-in-oberhausen-ein-einreiseverbot-fuer.694.de.html

[2] https://www.tagesschau.de/inland/ditib-109.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/heiko-maas-fordert-von-ditib-aufklaerung-der-spionage-vorwuerfe-14878928.html

[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/volker-beck-aeussert-kritik-an-regierung-im-umgang-mit-ditib-14880657.html

16. Februar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang