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REPRESSION/1519: NSA-Untersuchungsausschuß - Staatsräson parlamentarisch aufbereitet (SB)



Wenn der seit fast einem Jahr im Auftrag aller Fraktionen des Bundestags eingesetzte NSA-Untersuchungsausschuß etwas zutage gefördert hat, dann die Erkenntnis, daß die internationale Geheimexekutive sich nicht in die Karten schauen lassen will. Die vielen Steine, die diesem parlamentarischen Gremium bislang in den Weg gelegt wurden, türmen sich mittlerweile zu einem veritablen Verhau aus Einschüchterungen, Unterwanderungen und Blockaden auf, die den Weg in Richtung Aufklärung fast unbegehbar machen. Das Ausspähen durch zwei Spione, die angeblich im Auftrag der USA im Bundesnachrichtendienst (BND) und Verteidigungsministerium plaziert waren, das Abhören von Mobiltelefonen einzelner dem Ausschuß angehörender Parlamentarier, das extensive Schwärzen ermittlungsrelevanter Akten des BND, die mit Regierungsmehrheit verhinderte Vorladung des Zeugen Edward Snowden, die Verabsolutierung des Geheimschutzes für vorgeladene Zeugen - Vorkommnisse wie diese lassen erkennen, daß das Interesse an öffentlicher Aufklärung nicht nur bei der im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden National Security Agency (NSA) eher auf gegenteilige Weise wirksam wird. Auch der BND hat offensichtlich einiges an Praktiken zu verbergen, die die Behauptung, seine Aktivitäten dienten vor allem dem Schutz von Freiheit und Demokratie, nur durch das Standardargument staatlicher Ermächtigung "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" dechiffrierbar machen.

So herrschte denn auch so viel transatlantische Eintracht auf der sogenannten Sicherheitskonferenz in München, daß die NSA-Affäre, wenn sie überhaupt in den Pressekommentaren zur Sprache kam, als fürderhin belanglos bewertet und damit praktisch überwunden erachtet wurde. Die Reihen fest geschlossen, präsentiert sich die Geheimexekutive der NATO-Staaten als operatives Instrument gegen den äußeren wie inneren Feind. Der Journalist Glenn Greenwald, der die Verhinderung des Auftretens Edward Snowdens vor dem Untersuchungsausschuß als Beleg dafür wertete, der Bundesrepublik sei das gute Verhältnis zu den USA wichtiger als eine ernsthafte Aufklärung der NSA-Spionage, und daraufhin sein eigenes Erscheinen in Berlin absagte, hat die Aktivitäten des US-Geheimdienstes in seinem Buch "Die globale Überwachung" umfassend dokumentiert. Die politischen Beweggründe für die massenhafte Ausspähung auch der eigenen Bevölkerungen durch das "omnipräsente Spionagesystem" westlicher Geheimdienste verortet er in der "immer größeren Kluft zwischen Arm und Reich", die "zu einer schweren innenpolitischen Instabilität geführt" habe. Den Ausbau umfassender Kontrolle über die sozial aufbegehrenden Menschen betrachteten die Eliten "vielleicht als den einzig gangbaren Weg, (...) um ihre Position zu bewahren" [1].

Zu nämlichen Eliten scheinen auch einige der Mitglieder des Untersuchungsausschusses zu gehören. So lastete dessen Vorsitzender Patrick Sensburg Edward Snowden an, sich nur aufspielen zu wollen, wenn er im Bundestag aussagen wollte. Daß der Whistleblower die NSA-Affäre überhaupt erst ins Rollen brachte und dafür nicht nur erhebliche persönliche Nachteile in Kauf nahm, sondern sich großen Gefahren aussetzte, konnte dieser CDU-Politiker offensichtlich nur als Resultat persönlicher Eitelkeit verstehen. Wie sollte ein Politiker, der das Bekanntwerden der Agententätigkeit von rund 200 US-Diplomaten in der Bundesrepublik öffentlich mit der Maßregelung quittierte, 200 Mitarbeiter der NSA wären bei einer Bevölkerung von 80 Millionen doch wohl zu ertragen, auch anders über einen Menschen wie Snowden urteilen, der für die mutige Verteidigung bürgerlicher Freiheiten von vielen US-Bürgern als Staatsfeind und Verräter betrachtet wird?

Der CDU-Obmann Roderich Kiesewetter zeigte mit der Forderung, den Etat des BND erheblich aufzustocken, um bei den Verbündeten Gegenaufklärung betreiben zu können, und seinem Eintreten für das Geheimhaltungsinteresse des Auslandsgeheimdienstes im Ausschuß nicht minder großes Verständnis für die Interessen der Geheimexekutive. Dies bekundete er auch damit, daß er den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier auf Twitter bezichtigte, "phantasiert" [2] zu haben, als dieser die Spionagepraktiken des BND als verfassungswidrig beurteilte. Kiesewetters nunmehr zum 1. März angekündigter Rücktritt als Obmann erfolgt, weil er sich als Präsident des Reservistenverbandes dadurch kompromittiert fühlt, daß einige Spitzenvertreter seines Verbandes mit dem BND zusammenarbeiten. Der mit dem General-Heusinger-Preis - benannt nach dem mit der sogenannten Partisanenbekämpfung im Vernichtungskrieg des NS-Regimes gegen die Sowjetunion beauftragten Wehrmachtsgenerals und Generalinspekteurs der Bundeswehr Adolf Heusinger - ausgezeichnete Karriereoffizier will mit seinem Schritt etwaigen Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit zuvorkommen [3].

Warum der mit rund 17 Millionen Euro Bundesmitteln im Jahr finanzierte Reservistenverband überhaupt für den BND von Interesse ist, läßt sich vielleicht aus seiner sicherheitspolitischen Bedeutung erschließen. Laut Satzung wird sein Zweck "insbesondere verwirklicht durch (...) - Wecken und Erhalten des Sicherheitsinteresses und Schärfen des Sicherheitsbewusstseins in der Gesellschaft; - Darstellung und Förderung der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und deren sicherheitspolitischen Bündnisse und Organisationen; - staats- und sicherheitspolitische Aus- und Weiterbildung; (...) [4]".

Hier schließt sich der Kreis zu der von Greenwald analysierten sozial repressiven Funktion geheimdienstlicher Überwachung. Die Bedeutung der sogenannten allgemeinen Reserve von 1,2 Millionen Reservisten der Bundeswehr für die Aufstandsbekämpfung im Innern ist nicht zu unterschätzen, wie die in der Konzeption der Reserve (KdR) [5] verankerten "Beiträge zum Heimatschutz, d.h. Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand" belegen. Diese Aufgaben sind strukturell im Rahmen der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) verankert, die aus rund 30 über das Land verteilten bewaffneten Einheiten in Kompaniestärke bestehen. Allein 2010 wurde die Bundeswehr in 71 Fällen im Rahmen der Amtshilfe im Innern eingesetzt.

Die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses betrifft mithin nicht nur den Spähangriff durch die NATO-Partner USA und Britannien. Im besten Falle machte er greifbar, wie bedroht die demokratische Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen durch eine Geheimexekutive ist, deren grenzüberschreitender Charakter ahnen läßt, wie wenig die Sphären außen- und innenpolitischer Herrschaftssicherung heute noch voneinander zu unterscheiden sind. Daß es zu diesem Ergebnis nicht kommt, sondern sich die Bevölkerung der Auslegung des Verfassungsauftrages zur Etablierung eines autoritären Maßnahmestaates ebenso beugt wie der Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols in einem informellen Ausnahmezustand, ist den vielen Schwierigkeiten, mit denen der NSA-Untersuchungsausschuß zu kämpfen hat, allemal geschuldet.


Fußnoten:

[1] Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. München 2014, S. 252f.

[2] https://web.archive.org/web/20141218165446/http://www.sueddeutsche.de/politik/nsa-ausschuss-cdu-obmann-nennt-verfassungsrechtler-papier-phantasten-1.2272832

[3] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/ulm/kiesewetters-rueckzug-aus-nsa-untersuchungsausschuss-kopf-aus-der-schlinge/-/id=1612/nid=1612/did=15049040/1u013dn/

[4] http://www.reservistenverband.de/Downloads?menu=021020

[5] http://www.bundeswehr.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NzkzNDM4NmI2NTc3N2EyMDIwMjAyMDIw/2012_02_01_KdR_mit_Anlagen.pdf

10. Februar 2014


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