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REPRESSION/1478: Krisenbewältigung durch Internetzensur (SB)




Warum lautstark darüber lamentieren, daß die Freiheit des Internets durch die Neufassung der International Telecommunication Regulations (ITR) bedroht sein könnte, wenn man gar nicht in die Ferne schweifen muß? Warum führt Google eine Kampagne gegen diesen völkerrechtlichen Vertrag, verweigert jedoch nicht die vielen Löschforderungen, die sie unter anderem für die Bundesregierung, eine der fleißigsten Zensorinnen im Angebot der Suchmaschine, vollzieht? Der in der Berichterstattung über die World Conference on International Telecommunications (WCIT) verbreitete Eindruck, Gefahren für die freizügige internationale Nutzung des Internets gingen lediglich von autoritären Regierungen und ausgemachten Diktaturen aus, ist schlichtweg irreführend. Zensur internationaler Telekommunikation erfreut sich in NATO-Staaten viel mehr großer Beliebtheit, wie die Beispiel Jugoslawien und Iran beweisen [1].

So haben sich USA und EU unisono mit China dagegen ausgesprochen, in dem neuen völkerrechtlichen Vertragswerk auf das Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit ausdrücklich Bezug zu nehmen. Das könnte auch deshalb nicht im Sinne westlicher Regierungen sein, weil die bei der Unterdrückung von Oppositionsbewegungen verwendete Technologie maßgeblich von ihren Industrien hergestellt wird. Ohnehin zeugen die Innovationen auf dem Gebiet elektronischer Überwachungs- und Waffentechnik davon, daß der technologische Vorsprung, der der westlichen Welt bislang eine ökonomische wie geostrategische Vormachtstellung beschert hat, nicht zuletzt unter praktischem Einsatz dieser Produkte verteidigt wird.

Nein, wenn die Vokabel "Freiheit" überhaupt einen Sinn in diesem Zusammenhang macht, dann den der Sicherung deregulierter Märkte für kapitalkräftige Investoren und die großen IKT-Konzerne. Ansonsten ist alles darauf abonniert, den natürlich niemals rechtsfreien, aber von der internationalen Informationsreichweite her immer noch vergleichsweise freizügigen Raum des Internet auf eine Weise zu regulieren und zu schließen, die es radikalen Oppositionsbewegungen unmöglich macht, über dieses Kommunikationsmittel zu agitieren und sich zu organisieren.

Jüngstes Ergebnis dieser Bemühung ist der Plan der deutschen Innenminister, das Internet verstärkt als "Aufklärungs- und Präventionsmedium" zu nutzen und eine zentrale Datenbank für "extremistische Internetauftritte" einzurichten. Wie ersteres in der Praxis aussieht, demonstrierte unlängst ein angebliches Aufklärungsvideo der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB). Unter dem Titel "Ahnungslos –- was ist Extremismus?" wurde behauptet, rechts und links träfen sich im Gesinnungspfuhl des politischen Extremismus, um auf der einen Seite Migranten zu ermorden und auf der anderen Seite Luxuskarossen abzufackeln. Das Video wurde zwar zurückgezogen, doch dies nur aufgrund anwachsender Kritik an dieser Gleichsetzung. Das dabei propagierte Credo bleibt natürlich unhinterfragt und wird demnächst weitere leider realsatirische Blüten einer Apologie hervorbringen, deren Bedarf nicht größer sein könnte angesichts des Legitimationsverlustes der politischen Systeme. Dieser zeigt sich auch darin, daß die Bekämpfung des sogenannten Extremismus von Regierungsbehörden geleistet wird, deren ideologische Abwehrhaltung so sakrosankt ist wie die Arbeit sogenannter Verfassungsschutzorgane. Diesen unterliefen bei den NSU-Morden bestenfalls "Fehler" oder "Pannen", während Fragen nach einer Kollaboration mit den Rechtsterroristen als Verschwörungstheorien niedergemacht werden.

An staatlichen Initiativen, dem Internet den Zahn zu ziehen, als Katalysator sogenannter Radikalisierungstendenzen zu dienen, Gegenöffentlichkeit zu organisieren und zu antikapitalistischen Protesten zu mobilisieren, hat es auch bisher nicht gemangelt. Ob Vorratsdatenspeicherung, Jugendschutz, Urheberschutz, Netzregulation, Staatstrojaner, die Abschottung gegen grenzüberschreitende Kommunikation, die Streichung spezifischer Suchanfragen oder die demagogische Unterstellung, das Internet sei eine Universität des Terrorismus - die Liste der Versuche, die freie Nutzung des Netzes einzuschränken oder für die Anwender riskanter zu machen, ist fast endlos. Mit der repressionsstrategischen Volte, die diskreditierten Verfassungsschutzämter mit neuen Kompetenzen für die Unterdrückung politisch mißliebiger Bewegungen auszustatten und damit zu rehabilitieren, und dem akuten Handlungsbedarf, den durch die Rettung des herrschenden Akkumulationsregimes ausgeplünderten Bevölkerungen die Möglichkeit zu entziehen, das neoliberale Truggebilde unabdinglicher Sachzwänge jenseits staats- und kapitalkonformer Medien zu durchdringen und sozialen Widerstand zu entfachen, steht die Informationsfreiheit vor einer weiteren Herausforderung sicherheitsstaatlicher Art.

Daß die Reform des Verfassungsschutzes Hand in Hand mit dem geplanten NPD-Verbot geht, ist alles andere als eine bloße Reaktion auf Versäumnisse in der Vergangenheit. Da diese vor allem im Vernichten möglicherweise belastender Akten und dem Präsentieren fataler Erinnerungslücken vor Untersuchungsausschüssen besteht, wird eher am Ausbau des antidemokratischen Charakters der Dienste denn an der Ausübung demokratischer Kontrolle über sie gearbeitet. Dies paßt ins Gesamtbild einer nicht nur im Innern, sondern transnational erfolgenden Aufrüstung der staatlichen Gewaltmonopole, die längst nicht mehr der Anschläge des 11. September 2001 bedarf, um den Anschein integrer Politik vorzutäuschen.

Seitdem haben Staatsschutzorgane und Polizeibehörden wie auch das Militär erhebliche Kompetenzerweiterungen für die Abwehr von Gefahren erhalten, die von der eigenen Bevölkerung ausgehen sollen. Das dabei legitimative Verwendung findende Schlagwort des Terrorismus ist insofern irreführend, als dabei in der öffentlichen Wahrnehmung nur an ganz bestimmte Gewalthandlungen vorrangig aus islamistischen Kreisen gedacht wird. Die gängigen Terrorismusdefinitionen reichen viel weiter und sind auch für die Unterdrückung ziviler Proteste geeignet. Blockadeaktionen, Verkehrsunterbrechungen oder Streiks in infrastrukturell wichtigen Betrieben, ja propagandistische Aktionen können in Anbetracht der Auslegungsbreite dieser Definitionen zum Anlaß genommen werden, durch polizeiliche und seit jüngstem auch militärische Gewaltanwendung unterdrückt zu werden.

Die aus Kreisen bürgerlicher Juristen und Politiker erhobenen Bedenken, das geplante Parteiverbotsverfahren könne einmal mehr vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern oder führe im Erfolgsfall zu einer Radikalisierung nazistischer Strukturen, sind zumindest insofern von Bedeutung, als sie ahnen lassen, daß die für ein NPD-Verbot geltend gemachten Gründe nicht den Kern dieser Maßnahme treffen. Geht man davon aus, daß die Reproduktion des Kapitalismus durch die Weigerung der Bevölkerungen, für die Rettung der Kapitaleigner immer mehr materielle Entbehrungen in Kauf zu nehmen, in Frage gestellt werden könnte, dann ist die anwachsende Neigung der Regierungen, staatsautoritäre Maßnahmen anzuwenden, ein Beleg dafür, daß der Entfaltung demokratischen Widerstands mit allen Mitteln Einhalt geboten werden soll. Das Verbotsverfahren nicht in den größeren Zusammenhang der Gefahr zu stellen, daß zur Politik des Ausnahmezustands gegriffen wird, wenn die Brutalität der Klassenherrschaft nicht mehr zu leugnen ist, zeugt von einem Glauben an die demokratische Beherrschbarkeit des staatlichen Gewaltmonopols, der schon zu oft blutig widerlegt wurde, als daß man diesem Prozeß nicht frühzeitig Einhalt gebieten sollte.

Fußnote:

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1459.html

7. Dezember 2012