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REPRESSION/1476: Petraeus stürzt - Niemand steht über der Moral (SB)




Moral war der Körperpanzer des amerikanischen Kriegshelden und CIA-Chefs David Petraeus, Moral hat ihn unversehens zu Fall gebracht. Hochmoralisch wie eh und je formulierte er sein Rücktrittsschreiben:

Seit mehr als 37 Jahren verheiratet, habe ich extrem schlechtes Urteilsvermögen bewiesen, indem ich eine außereheliche Affäre eingegangen bin. Ein solches Verhalten ist inakzeptabel, sowohl für mich als Ehemann wie auch als Leiter einer Organisation wie der unsrigen. Der Präsident hat meinen Rücktritt am Nachmittag dankenswerterweise akzeptiert. [1]

Daß sich ein hochdekorierter Offizier und Karrierist wie Petraeus, der zuletzt als Kandidat für ein Ministeramt in der neuen Regierung Barack Obamas gehandelt worden war, gewissermaßen selbst demontiert hat, gibt weder Anlaß zur Schadenfreude, noch Grund zur Hoffnung, das Herrschaftssystem US-amerikanischer Eliten sei fragiler als befürchtet. Im Gegenteil. Stürzt dieser Mann, den seine Landsleute gemeinhin als einen der größten Heroen der Gegenwart und Idol unanfechtbarer Integrität verehrt haben, über eine Lappalie, ist das mitnichten ein Riß in der ideologischen Architektur der Supermacht. Der Vorgang zeugt vielmehr von der hochmoralischen Aggressivität einer gesellschaftlichen Formierung, die gottgleiche Instanzen und Prinzipien über die Belange jedes einzelnen stellt.

Da ihm das FBI offenbar dicht auf den Fersen war und er sich als Chef des mächtigsten Geheimdienstes der Welt nicht persönlich angreifbar machen durfte, scheint Petraeus tatsächlich nichts anderes übrig geblieben zu sein, als die Konsequenzen zu ziehen. Spekulationen, man laste ihm gravierende Fehleinschätzungen der CIA nach dem Anschlag auf die US-Vertretung im libyschen Bengasi an oder mißtraue ihm grundsätzlich, da er seit Jahren als möglicher republikanischer Präsidentschaftskandidat genannt wurde, sind bislang wenig substantiell. Wenngleich der stockkonservative Petraeus einst als "Bushs General" galt, scheute sich Barack Obama nicht, vom Renommee dieses Vorzeigeoffiziers Gebrauch zu machen. Er schickte ihn 2010 nach Kabul, um dort den Oberbefehl für Afghanistan zu übernehmen, nachdem sein Vorgänger Stanley McChrystal wegen abfälliger Interviewäußerungen über die US-Regierung seinen Posten räumen mußte. Obama ließ sich von der Loyalität des Viersternegenerals überzeugen und machte ihn im September 2011 zum CIA-Chef, was im Kongreß auf nahezu einhellige Zustimmung stieß.

Barack Obamas offizielle Stellungnahme zum aktuellen Vorgang läßt darauf schließen, daß dies ein empfindlicher Rückschlag für die ohnehin strapazierte Personalpolitik des wiedergewählten Präsidenten ist. Dieser dankt Petraeus für den "außerordentlichen Dienst", den er seinem Land erwiesen habe. Er sei einer der "herausragenden Generäle" seiner Generation gewesen und habe als CIA-Direktor seinen jahrzehntelangen Einsatz für die USA mit "intellektueller Präzision, Hingabe und Patriotismus" fortgesetzt. Petraeus habe das Land "sicherer und stärker" gemacht. Am Ende fügt Obama sogar noch eine persönliche Note an: "Meine Gedanken und Gebete sind bei Dave und Holly Petraeus. Ich wünsche Ihnen nur das Beste in dieser schwierigen Zeit." Kein Wort des Tadels, keine Distanzierung angesichts einer Verfehlung, so daß man davon ausgehen kann, daß die regierende Administration kein eigenständiges Interesse daran hatte, den CIA-Chef über die Klinge springen zu lassen.

David Petraeus war - das muß man fortan wohl in der Vergangenheitsform ausdrücken - ein unübertroffener Garant militärisch-ideologischer Lösungen in verfahrenen Konflikten. Er hat dieses spezielle Handwerk von der Pike auf gelernt, erwarb er doch nach einer Eliteausbildung in West Point einen Doktortitel in Politikwissenschaft an der Universität Princeton mit einer Studie, die das Debakel der US-Streitkräfte in Vietnam behandelt. Im Januar 1995 wurde er Chef der UN-Truppen auf Haiti während der Operation Uphold Democracy, im Juni 2001 übernahm er für ein Jahr Aufgaben als assistierender Stabschef für Operationen der SFOR in Sarajewo, Bosnien und Herzegowina und diente zugleich als stellvertretender Kommandeur des Antiterrorkommandos der US-Streitkräfte in Bosnien. Petraeus war 2006 maßgeblich an der Erstellung eines Armeehandbuchs zum Kampf gegen Aufständische beteiligt und setzte die dort dargelegten Leitlinien später selbst in die Tat um.

Als die Präsidentschaft George W. Bushs im irakischen Chaos unterzugehen drohte, beauftrage dieser Petraeus im Jahr 2007, eine Wende herbeizuführen. Der Feldherr erhöhte die US-Truppenstärke auf 170.000 Soldaten und bediente sich der Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten, um die Kriegshandlungen zu seinen Gunsten auszusteuern, die eigenen Verluste zu verringern und im Westen den Eindruck zu erwecken, dieser Waffengang sei erfolgreich zum Abschluß gebracht worden. Ab Oktober 2008 führte Petraeus das Zentralkommando der US-Streitkräfte, dem die Truppen im Nahen Osten und in Zentralasien unterstehen. Im Juni 2010 machte Obama ihn zum Oberfehlshaber in Afghanistan, wo er nach demselben Muster wie zuvor im Irak verfuhr. Am 31. August 2011 wurde Petraeus schließlich nach 37 Dienstjahren aus den Streitkräften verabschiedet und am 6. September 2011 im Weißen Haus als neuer CIA-Direktor vereidigt.

Erst vor wenigen Tagen hat das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" ein Heft mit dem Titel "Die Helden-Ausgabe" herausgebracht. Die letzte Seite ist dem 60jährigen David Petraeus gewidmet, der dort zwölf Lehrsätze für gute Führung zum besten geben darf. Der knochentrockene Vorzeigeoffizier, der nur für seine Karriere lebte, scheint sich weitgehend an die selbstgesetzten Regeln gehalten zu haben, wenn man einmal von der Affäre absieht, die ihn zu Fall gebracht hat. Seine Geliebte, bei der es sich um die Autorin einer jüngst veröffentlichten überaus positiven Petraeus-Biografie handeln soll, ist Reserveoffizierin, hat den General auch in Afghanistan begleitet, und selbst der "Newsweek"-Beitrag stammt aus ihrer Feder.

Wenn man so will, ist der asketische David Petraeus selbst beim Sündenfall in seinem Metier geblieben, für dessen erfolgreiche Gestaltung ihn seine Landsleute bislang hoch verehrt haben. Das Abschlachten von Irakern und Afghanen, die Okkupation fremder Länder, die Leitung eines Auslandsgeheimdienstes, der mordet, foltert, entführt und erpreßt, ist für die US-Amerikaner in ihrer Mehrheit offensichtlich kein Problem. Vor keiner Grausamkeit zurückzuschrecken und zugleich den Sittenwächter abzugeben, ist jedoch weder ein Widerspruch, noch ein Ausdruck von Doppelmoral. Tritt dieses Syndrom bei einem einzelnen Menschen auf, wird man früher oder später wohl von einem pathologischen Phänomen ausgehen. Scheint jedoch eine ganze Nation davon befallen zu sein, die unerbittliche Durchsetzung ihrer Interessen als selbstverständlichen Ausdruck eigener Größe auszuweisen, droht jede Medizin zu versagen.


Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/cia-chef-petraeus-tritt-wegen-affaere-zurueck-a-866431.html

10. November 2012