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REPRESSION/1462: Nur keine schlafenden Hunde wecken - Leidige NSU-Affäre zügig abwickeln (SB)




Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wird bundesweit für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle verantwortlich gemacht. Daß Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe über ein Jahrzehnt lang unbehelligt im Untergrund leben und ihr Unwesen treiben konnten, wirft die Frage auf, in welchem Ausmaß sie und ihr Umfeld vom Verfassungsschutz mehrerer Bundesländer gedeckt und möglicherweise sogar gesteuert wurden. Da mutet es unter Maßgabe der Staatsräson nur konsequent an, die leidige Affäre zügig abzuwickeln. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, plant die Bundesanwaltschaft schon im Sommer Klage gegen die rechtsextremistische Zwickauer Terrorzelle zu erheben. Die Anklageerhebung solle nicht weiter verzögert werden. Der Bundesgerichtshof habe am 18. Mai die Fortdauer der Untersuchungshaft von Beate Zschäpe angeordnet, aber zugleich erklärt, eine flächendeckende Aufdeckung des Falls würde ein "Zuwarten mit der Anklageerhebung nicht rechtfertigen". Für die Aufklärung des "historischen Geschehens in Gänze" sei bei Ermittlungen in Haftsachen keine Zeit. [1]

Was das "historische Geschehen in Gänze" betrifft zeichnet sich im Schulterschluß von Politik, Inlandsgeheimdienst, Polizeien und Medien längst die Stoßrichtung ab, von einem in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Versagen zu sprechen, eklatantes Fehlverhalten einzuräumen und die Köpfe von Sündenböcken rollen zu lassen, jedoch den naheliegenden Verdacht einer systematischen Indienstnahme der bekanntermaßen vom Verfassungsschutz weithin unterwanderten neonazistischen Szene auszublenden und als haltlose Verschwörungstheorie zu diskreditieren. Wie die kaum nachvollziehbare Version vom Doppelselbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach weithin in den Status einer angeblich unbezweifelbaren Faktenlage überführt wird, hält man auch die Ermittlungen nach der tatsächlichen Rolle Beate Zschäpes unter dem Deckel.

Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob Zschäpe für den Verfassungsschutz gearbeitet hat. So hat die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth von den sächsischen Behörden rasche Aufklärung verlangt. Die neuen Erkenntnisse über eine mögliche Verstrickung der sächsischen Behörden mit dem rechten Terrortrio würden "an den Grundfesten der dortigen Sicherheitsstruktur" rütteln, erklärte Roth. Dem Verdacht, daß Zschäpe möglicherweise als V-Person für den sächsischen Verfassungsschutz gearbeitet haben könnte, müsse entschieden nachgegangen werden. [2]

Roth bezog sich bei dieser Stellungnahme auf Medienberichte, wonach eine Funkzellenabfrage des Bundeskriminalamtes für den 4. November 2011 den Telefonverkehr von Zschäpes Handy erfaßt hat. An diesem Tag soll Beate Zschäpe gegen 15 Uhr den Unterschlupf des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße angezündet haben, um Spuren zu verwischen. Aus dem geheimen Dokument, das Karl Nolle (SPD) anonym zugespielt wurde, geht hervor, daß Zschäpes Handy, das später im Schutt des Hauses auftauchte, ab 16.32 Uhr insgesamt 20mal von zwei Handynummern, die beim sächsischen Innenministerium registriert sind, und zudem mehrfach von zwei Festnetzanschlüssen der Polizeidirektion Südwestsachsen angerufen wurde. [3]

War den Behörden womöglich doch schon bekannt, um wen es sich bei der Wohnungsinhaberin handelte? Das sächsische Innenministerium wies diesen Verdacht umgehend zurück und begründete die vermeintliche Kontaktaufnahme mit den Ermittlungen. Laut Ministeriumssprecher Frank Wend gab eine Nachbarin den Beamten die Handynummer der Bewohnerin, deren richtigen Namen damals noch niemand kannte. Daraufhin hätten die Beamten mehrfach versucht, die unbekannte Frau anzurufen. Ein Kontakt mit der Wohnungsinhaberin sei jedoch nicht zustande gekommen. Es sei üblich, daß Diensthandys der Polizei auf das Ministerium zugelassen sind. Mutmaßungen, wonach es bereits um 12.11 Uhr eine Kontaktaufnahme der Polizei zu Zschäpe gegeben haben soll, dementierte das Ministerium. Nach Lage der Dinge habe Zschäpe zu diesem Zeitpunkt vielmehr ihre eigene Mobilbox abhören wollen.

Kerstin Köditz (Die Linke), Mitglied des sächsischen Landtags, will im Innenausschuß hinsichtlich dieser mysteriösen Spur nachfassen. "Dass der Chemnitzer Neonazi Jan W. laut abgehörten Telefonaten mehrfach ein auf einem im Innenministerium angemeldeten Handy angerufen hat, von dem aus ihm Waffen zugesagt wurden, musste ich aus dem thüringischen Schäfer-Bericht erfahren. Informationen aus Sachsen dazu hatte es nicht gegeben. Aufklärung der Öffentlichkeit sieht anders aus." [4] Der von Köditz angesprochene Fall scheint zwar auf den ersten Blick nichts mit den Anrufen auf Zschäpes Handys zu tun zu haben. Geht man aber davon aus, daß der harte Kern des NSU und dessen Umfeld von Unterstützern wesentlich größer als die bislang bekannten Personen ist, worauf diverse Hinweise schließen lassen, könnte sich der angesprochene Fall des Jan W. durchaus als ein weiterer Baustein im Komplex mutmaßlicher geheimdienstlicher Steuerung der Täter erweisen.

Bedenklich muß zudem stimmen, daß offenbar lediglich Beate Zschäpe und fünf weitere Beschuldigte angeklagt werden sollen. In den Fällen der übrigen sieben Beschuldigten zeichnet sich ab, daß die Verfahren gegen alle Verdächtigen eingestellt werden, gegen die keine Haftbefehle erlassen worden sind. Die vorgeworfenen Taten seien möglicherweise verjährt und es habe bei den Ermittlungen keine juristisch belastbaren Anhaltspunkte für die Unterstützung der Terrorgruppe in nicht verjährter Zeit gegeben. Kontrastiert man diese Zurückhaltung bei der Strafverfolgung schwerster neonazistischer Gewalttaten mit der Repression gegen mutmaßliche Täter und deren Umfeld in der linken Szene, könnte der Unterschied eklatanter kaum sein. Letztere muß schon bei wesentlich geringfügigeren Straftaten mit drakonischen Sanktionen rechnen, während jede Parteinahme für die Beschuldigten oder nicht selten sogar eine lediglich unterstellte Gesinnungsnähe ausreicht, die Strafverfolgung auf den Plan zu rufen. Daß die Staatsgewalt demgegenüber auf dem rechten Auge blind sei, mutet angesichts ihres Umgangs mit dem Phänomen des Nationalsozialistischen Untergrunds und anderer neonazistisch motivierter Mordtaten und Übergriffe wie eine zweckdienliche Verharmlosung an.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article106402782/Bundesanwalt-will-im-Sommer-Klage-gegen-NSU-erheben.html

[2] http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=3072031

[3] http://www.sz-online.de/Nachrichten/Chemnitz/Raetselraten_um_mysterioese_Handy-Anrufe/articleid-3072968

[4] http://www.berliner-kurier.de/politikwirtschaft/nsu-terror-terror-braut-zschaepe--mysterioese-spur-ins-ministerium,7169228,16131724.html

1. Juni 2012