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REPRESSION/1428: Triumph der Rabulistik - Wo Folter nicht mehr Folter genannt wird (SB)



"Endlich werden wir nun dieses Kapitel unserer Geschichte schließen." Mit diesem Satz, der unvermeidlich fällt, wo Vergangenheit bewältigt, also unter den Teppich gekehrt oder besser noch zukunftsträchtig verwertet wird, lobt der scheidende CIA-Chef Leon Panetta Justizminister Eric Holder. An seinem letzten Tag als Direktor des US-Geheimdienstes begrüße er die Nachricht, "dass wir die umfassenden Ermittlungen hinter uns haben". Tags zuvor hatte Holder angekündigt, die Ermittlungen über Folter durch CIA-Agenten fallenzulassen, da eine umfassende Untersuchung der noch offenen Fragen nicht gerechtfertigt sei. [1] Lediglich in zwei derartigen Fällen will die US-Justiz weiter ermitteln: Die Entscheidung sei nach einer zweijährigen Prüfung von 101 Fällen getroffen worden, in denen Verdächtige von der CIA verhört worden sind, erklärte der Justizminister. [2] Dies läßt auf Scheingefechte schließen, die auf das Phantom angeblicher schwarzer Schafe abstellen, wenn nicht gar auf eine vollständige Absolution hinauslaufen: Niemand hat gefoltert, weil die praktizierten Foltermethoden legalisiert worden sind und daher nicht mehr als solche bezeichnet werden.

Bei einem der beiden Fälle handelt sich offenbar um den des ermordeten irakischen Gefangenen Manadel El Dschamadi, den man im November 2003 im Gefängnis von Abu Ghraib zu Tode gefoltert hatte. Medienberichten zufolge wurde Dschamadi mit einem Plastiksack über dem Kopf wie ein Gekreuzigter gefesselt und erstickt. Um die Bekanntgabe seines Todes hinauszuzögern, war seine Leiche zunächst eingefroren worden, was ihm den Namen "Iceman" eintrug. Auf 2005 veröffentlichten Fotos waren grinsende US-Soldaten zu sehen, die über Dschamadis Leiche hockten. Der einzige jemals in diesem Fall Angeklagte wurde für unschuldig befunden. Im zweiten Fall geht es um den Tod Gul Rahmans, der am 20. November 2002 starb, nachdem er in einem Geheimgefängnis der CIA in der afghanischen Hauptstadt Kabul an eine kalte Betonwand gekettet worden war.

Holder hatte den Staatsanwalt John Durham 2009 damit betraut, als Sonderermittler die international kritisierten Verhörmethoden der CIA während der Amtszeit des früheren Präsidenten George W. Bush zu überprüfen. Mitte Juni 2011 begann Durham damit, Zeugen vor einen Ermittlungsausschuß zu laden, darunter US-Soldaten, die damals in Abu Ghraib Dienst taten. Im Rahmen der nun eingeleiteten Ermittlungen soll Holder zufolge festgestellt werden, ob CIA-Agenten Richtlinien verletzt haben. Mit diesem Manöver gibt man dem neuen CIA-Chef General Petraeus eine Steilvorlage, die der Irak- und Afghanistan-erfahrene Feldherr und Propagandaexperte zweifellos aufnehmen und dazu nutzen wird, einen geläuterten und von allen Vorwürfen der Vergangenheit reingewaschenen Auslandsgeheimdienst anzuführen. [3]

Die Bürgerrechtsorganisation ACLU charakterisiert in Reaktion auf die jüngste Entscheidung des Justizministers die Verhörmethoden der CIA als "unvorstellbare Grausamkeiten". Die von Holder angekündigte eingeschränkte Untersuchung sei hinsichtlich des Umfanges der Missetaten nicht angemessen, so der stellvertretende ACLU-Direktor Jameel Jaffer. Mit ihrer Kritik an der Vorgehensweise, lediglich in zwei Fällen gegen CIA-Mitarbeiter zu ermitteln und nicht gegen hochrangige Verantwortliche vorzugehen, die die Verhörmethoden genehmigt hatten, steht die ACLU nicht allein.

In einem Memorandum vom 1. August 2002 legte der hochrangige Jurist John Yoo als damaliger Vertreter des US-Justizministeriums gemeinsam mit Jay S. Bybee die Grundlage für einen veränderten Folterbegriff. Dieser erklärte das Handeln von Regierung und Geheimdiensten für rechtmäßig, wenn diese "harte Verhörmethoden" in Auftrag gaben oder anwendeten, sofern es dabei nicht zu Organversagen, Tod oder dauerhaftem psychischen Schaden kommt. Auch handle es sich nicht um Folter, wenn der bestimmte Vorsatz fehlt, extremen Schmerz zuzufügen. Aus dieser verdrehten Rabulistik folgt, daß ein Vernehmender, dem es um die Erlangung von Informationen geht, per Definition gar nicht foltern kann. Damit wurde ein präventives Arsenal zur Abwehr künftiger Foltervorwürfe geschaffen, das die Strafverfolgung derartiger Taten so gut wie unmöglich machen sollte. Wenngleich Yoo vermutlich nie eigenhändig gefoltert hat, leistete er doch als Wegbereiter legaler Folter einen maßgeblichen Beitrag zu den Qualen Tausender Gefangener in aller Welt. Auch hat er unter anderem in offizieller Funktion Guantánamo besucht, womit der mögliche Einwand vollends aus dem Feld geschlagen ist, er habe als Schreibtischtäter nicht in vollem Umfang gewußt, welchem Regime er Vorschub leistete.

Die Bush-Administration ließ sich auf diese Weise die juristische Unbedenklichkeit von Waterboarding und anderen Foltertechniken bescheinigen, die in Bagram, Abu Ghraib, Guantánamo und zahlreichen weiteren bekannten und unbekannten Schreckensstätten des "Antiterrorkriegs" praktiziert werden. Dabei trat das Bewußtsein der Regierung, daß es Recht zu brechen galt, schon im Vorfeld offen zutage. Davon zeugen nicht nur die brachialen Hammerschläge eines Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz, sondern ebenso die perfiden Feinarbeiten der Rechtsverdreher John Yoo, Jay Bybee, Alberto Gonzales oder David Addington. In enger Kumpanei fabrizierten Regierungsberater und Justizministerium jene berüchtigten Foltermemoranden, die Regierungskriminalität unter dem Deckmantel selbst hergestellter Rechtsförmigkeit den Weg ebnete.

Weit davon entfernt, in der Versenkung zu verschwinden, bis sich der Rauch um die mit Guantánamo, Abu Ghraib oder Bagram assoziierten Monstrositäten verzogen hat, ging Dick Cheney bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Offensive, um mit Nachdruck darauf zu bestehen, daß kein Jota von den Errungenschaften einer für rechtens erklärten ungezügelten Willkür und Grausamkeit preisgegeben werden dürfe. So verteidigte er in einem Interview mit Chris Wallace von Fox News die "enhanced interrogation techniques" (EIT) als unverzichtbar für die nationale Sicherheitspolitik der US-Regierung (World Socialist Web Site 31.08.09). In ihrem 25minütigen Gespräch brachten es beide Gesprächspartner fertig, kein einziges Mal das Wort "Folter" in den Mund zu nehmen, obgleich sie über nichts anderes sprachen. Dies veranschaulicht das Ausmaß der dabei beanspruchten Definitionsgewalt, die mit der physischen Tortur und Vernichtung beginnt und nicht vor der Sprachregulation und Denkkontrolle endet.

Daß in der Präsidentschaft Bushs ein Standard geschaffen wurde, hinter den die Administration Barack Obamas nicht mehr zurückfallen will, unterstrich im Frühjahr 2010 der Befund des Justizministeriums, den Rechtsberatern der Vorgängerregierung sei allenfalls eine Fehleinschätzung, doch keinesfalls ein ehrenrühriges Verhalten anzulasten. Diese Bewertung nach fünfjähriger Untersuchung, die führenden Türöffner der Folter in Juristenkreisen hätten sich keines professionellen Fehlverhaltens schuldig gemacht, kann man als wegweisend bezeichnen. Erteilte man der Rechtfertigung von Foltermethoden durch Yoo, Bybee und Konsorten de facto einen Freispruch, so galt das automatisch auch für die Bush-Regierung und die Folterknechte vor Ort.

Sollte sich tatsächlich die Frage stellen, ob es sich bei den praktizierten Methoden um Folter handelt, bräuchte man nur die Opfer zu fragen. Statt dessen spielen Ärzte, Psychologen, Wächter, Juristen, Politiker und andere beteiligte Berufsstände einander die Bälle zu, um sich gegenseitig zu bestätigen, daß "verschärfte Befragung" keine schweren Schmerzen oder Qualen hervorruft und somit keine Folter sei. Das beste, weil dümmste Argument steuert wie eh und je Dick Cheney bei: Die Anwendung harter Befragungsmethoden bei fast allen festgenommenen Al-Kaida-Mitgliedern habe unmittelbar dazu geführt, daß seit Jahren kein weiterer Anschlag mit zahlreichen Opfern auf die Vereinigten Staaten mehr verübt worden sei. Auf diese Weise habe man alle weiteren Angriffe vereitelt und Tausende Menschenleben gerettet. Damit schließt sich der Kreis des fiktiven "Antiterrorkriegs", der sich selbst generiert und inszeniert, bis hart an den Rand einer ausnahmslosen Legalisierung jedweder Greueltat im Dienst weltweiter Herrschaftssicherung. Wo Folter nicht mehr Folter genannt, sondern legalisiert wird, nimmt die Beteiligung an diesem Regime geradezu offiziöse Züge an. Das ist aus deutscher Sicht besonders bemerkenswert, hat hierzulande doch eine ganze Generation vehement zu ihrer Rechtfertigung angeführt, sie habe damals von nichts gewußt.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/usa/tod-von-terrorhaeftlingen-us-justiz-untersucht-rolle-der-cia_aid_641989.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,771694,00.html

[3] hhtp://derstandard.at/1308680148766/Stress-fuer-neuen-CIA-Chef-Ermittlungen-wegen-Todesfaellen-in-US-Gewahrsam

2. Juli 2011