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REPRESSION/1411: Islamfeindlichkeit - Denunziantentum feiert Urstände (SB)



An Gründen, sich zu fürchten, mangelt es den Bundesbürgern nicht. Unaufhaltsames Sinken des Lebensstandards, Erwerbslosigkeit, Armut, Erniedrigung und Ausgrenzung haben den Hort von Wohlstand und Zuversicht für zahllose Menschen in ein Elendsquartier ohne Perspektive verwandelt. Ein Feindbild muß her, sollen sich Enttäuschung, Verzweiflung und Wut nicht zum Aufbegehren verdichten, das die nicht mehr zu beschwichtigende Frage nach den Ursachen und Nutznießern der Malaise auf die Tagesordnung setzt und auf die Straße trägt. Um den Sozialkampf von oben seines Widerparts von unten zu berauben und die Bedrohungslagen alltäglicher Drangsalierung im System kapitalistischer Verwertung auszublenden, hat man die "Terrorgefahr" im allgemeinen und den "Islamismus" im besonderen in Szene gesetzt.

Zwar ist die Gefahr, einem Anschlag dieser Provenienz zum Opfer zu fallen, hierzulande noch geringer als jene, an einem in Gänze verschluckten Frühstücksei zu ersticken, doch belehren uns Politik und Sicherheitsapparat, daß es ausschließlich der Wachsamkeit und Effizienz der Behörden und Dienste zu verdanken sei, daß die Gefahr bereits im Vorfeld entdeckt und gebannt werden konnte. Alle Bürger müßten dabei mithelfen, auf ihre Umgebung achten und Verdächtiges melden, da nur so die Sicherheit der Bevölkerung auf Dauer zu gewährleisten sei. Staatlich verordnetes Denunziantentum feiert Urstände, wobei naheliegende Vergleiche aus dem Fundus deutscher Geschichte verpönt sind und in der Tat erstaunlich selten gezogen werden. Ein Schelm, wer dabei an das Blockwartsystem im dritten Reich oder die informellen Mitarbeiter der Stasi denkt, mit denen schließlich die Sieger abgerechnet haben.

Heute geht es um das freiwillige, selbstverständliche und längst im Alltagsdenken verankerte Mißtrauen gegen Menschen islamischen Glaubens, die unablässig mit rassistischen, biologistischen und sozialdarwinistischen Anwürfen traktiert werden. Wenn - wie dieser Tage bekannt geworden - eine Lehrerin ihren Schüler auf einen an den Haaren herbeigezogenen Verdacht hin bei der Polizei denunziert, er habe Kontakt zu einer "extremistisch-islamistischen Gruppe", ist die Islamfeindlichkeit zweifelsfrei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das gehe entschieden zu weit, befand die Presse in seltener Einmütigkeit, weil die Verdächtigung abwegig und das Resultat negativ war. Zwar kam es zu keinem offiziellen Ermittlungsverfahren, wohl aber zu Ermittlungen "zum Zwecke der Gefahrenabwehr", wie ein Polizeisprecher den Umstand verklausulierte, daß man auf eine anonyme Nachricht hin den damaligen Elftkläßler der Integrierten Gesamtschule Garbsen acht Wochen lang unter Beobachtung stellte. [1]

Im Frühjahr 2008 hatte Yasin C. in einer Klausur zum Thema "Das Weltethos" sinngemäß geschrieben, dieses sei "zu spät" bei den Menschen angekommen. Den Christen sei nicht beizubringen, islamische Werte anzuerkennen. Die Ethik-Lehrerin fragte den Schüler zwar, wie er das meine, doch wandte sie sich mit ihrem Verdacht schnurstracks an die Polizei, ohne Yasin, dessen Eltern, Kollegen oder die Schulleitung zu informieren. Nach Recherchen im Umfeld des Schülers kamen Polizei und Staatsschutz jedoch zu dem Schluß, daß nichts dran an dem anonym eingegangenen Hinweis sei.

Da die Ermittlungen nicht unbemerkt blieben, wurde der Verdacht an der Schule bekannt, worauf Mitschüler Yasin C. auf dem Hof als "Terroristen" beschimpften. Im Dezember 2008 brach er schließlich die Schule ab und schlägt sich seither mit Gelegenheitsarbeiten durch. Seine Anzeige gegen die Lehrerin, die nach wie vor an der Schule unterrichtet, stellte die Staatsanwaltschaft mangels Tatverdacht ein. Die ebenfalls eingeschaltete Landesschulbehörde leitete im Sommer 2009 ein Disziplinarverfahren ein, das bis heute kein Ergebnis gezeitigt hat.

Durch einen Zufall erfuhren die Grünen von dieser Geschichte und brachten sie schließlich bis in den niedersächsischen Landtag. Ihre migrationspolitische Sprecherin Filiz Polat sagt: "Die Stigmatisierung muslimischer Bürger als potenzielle Terroristen ist wohl auch bei Lehrkräften angekommen." Derzeit formulieren die Grünen eine Anfrage an die Landesregierung und das Kultusministerium. "Innenminister Schünemanns Denunziations- und Bespitzelungskampagne gegen junge Muslime zeigt offensichtlich Wirkung", erklärt Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der Linken. [2]

Die Handlungsweise der Lehrerin sei entschieden zu weit gegangen, befand die Presse in seltener Einmütigkeit, weil die Verdächtigung abwegig und das Resultat negativ war. In hundert anderen Fällen wird man nicht minder unisono der Auffassung sein, daß Wachsamkeit lobenswert und erste Bürgerpflicht sei, wenn es gilt, den Feind in der Mitte "unserer Gesellschaft" zu entlarven.

Anmerkungen:

[1] Niedersachsen. Lehrerin schwärzt Schüler als Extremisten an (15.01.11)
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,739495,00.html

[2] Muslimischer Schüler als Terrorist hingestellt. Yasins zu wachsame Lehrerin (14.01.11)
http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/moslem-ist-nicht-gleich-terrorist/

15. Januar 2011