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REPRESSION/1369: Legalisierung der Folter - Beteiligung nimmt offiziöse Züge an (SB)



Die Legalisierung der Folter holt die Kumpanei der beteiligten Berufsstände aus den Kellerverliesen ans Tageslicht der öffentlichen Debatte und adelt sie mit dem Prädikat unanfechtbarer Professionalität. Dieser innovative Schritt beendet die Tabuisierung der Tortur und erhebt sie in den Rang einer legitimen Strategie zur Gefahrenabwehr, womit die Handlungsmöglichkeiten repressiver Herrschaftssicherung beträchtlich gesteigert werden. Während vordem die Geheimhaltung ein wesentliches Element der Folteranwendung war, stellt man sie nun auf die breiten Füße allgemeiner Mitwisserschaft. Auf diese Weise entfaltet die entuferte Beteiligung irreversible Bindekräfte, die eine Umkehr in die Sphäre der Unmöglichkeit verbannen sollen.

Mächte, die sich der Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit rühmen, holen die grausame Drangsalierung aus den verborgenen Orten absoluter Verfügung über Leib und Leben hervor und überführen sie offiziell in ihr militärisches, polizeiliches und strafrechtliches Arsenal. Das in der Verfassung festgeschriebene Folterverbot auszuhebeln, dient dem Zweck, die globale Kriegsführung um die Waffe uneingeschränkter Zugriffsgewalt zu ergänzen. So wird das Vernichtungspotential der Militärmaschinerie in ihrer Reichweite und Durchdringungskraft noch übertroffen von der Drohung, man sei an keinem Ort der Welt davor geschützt, ergriffen und grausamsten Qualen ausgesetzt zu werden.

Das Folterregime emanzipiert sich von vorgeschobenen Zwecken wie Geständnissen, Informationen oder strafrechtlicher Aufarbeitung und unterläuft jede vermeintliche Schutzfunktion von Vernunft, Humanität oder Moral. Unter Ausübung exzessiver Gewalt wird aller Welt auf fundamentale Weise klargemacht, daß Flucht unmöglich, Widerstand zwecklos und Unterwerfung unvermeidlich ist.

Die Bewertung des US-Justizministeriums, das nach fünfjähriger Untersuchung zu dem Schluß gekommen ist, daß sich die führenden Türöffner der Folter in Juristenkreisen keines professionellen Fehlverhaltens schuldig gemacht haben, kann man in diesem Zusammenhang als wegweisend klassifizieren. Bekanntlich ließ sich die Bush-Regierung die juristische Unbedenklichkeit von Waterboarding und anderen Foltertechniken bescheinigen, die in Bagram, Abu Ghraib, Guantánamo und zahlreichen weiteren bekannten und unbekannten Schreckensstätten des "Antiterrorkriegs" praktiziert werden.

Dabei trat das Bewußtsein der Regierung, daß es Recht zu brechen galt, schon im Vorfeld offen zutage. Davon zeugen nicht nur die brachialen Hammerschläge eines Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz, sondern ebenso die perfiden Feinarbeiten der Rechtsverdreher John Yoo, Jay Bybee, Alberto Gonzales oder David Addington. In enger Kumpanei fabrizierten Regierungsberater und Justizministerium jene berüchtigten Foltermemoranden, die Regierungskriminalität unter dem Deckmantel selbst hergestellter Rechtsförmigkeit den Weg ebnete.

Daß damit ein Standard geschaffen wurde, hinter den auch die Administration Barack Obamas nicht mehr zurückfallen will, unterstreicht der Befund des Justizministeriums, wonach den Rechtsberatern der Vorgängerregierung allenfalls eine Fehleinschätzung, doch keinesfalls ein ehrenrühriges Verhalten anzulasten sei. Die Rechtfertigung von Foltermethoden durch Yoo, Bybee und Konsorten stellt diese Schreibtischtäter so unmittelbar in einen Zusammenhang mit der Bush-Regierung und den Folterknechten vor Ort, daß diese Riege insgesamt von jedem strafbaren Fehlverhalten freigesprochen werden muß, um die Errungenschaften der Verfügung zu konsolidieren.

Natürlich sind es nicht nur Juristen, die der Folter den Weg ebnen. So ist es kein Geheimnis, daß Ärzte und Psychologen seit jeher von CIA und Pentagon in die Verhöre von Gefangenen einbezogen werden. Sie entwickeln Methoden zur Qualifizierung dieser grausamen Qual und wohnen derselben bei, um ihre Anwendung zu überwachen. Besteht ihre Aufgabe im primitivsten Sinn darin, das Opfer solange am Leben zu halten, wie dies geboten erscheint, so ist ihre Expertise auch in einem umfassenderen Kontext gefragt, wo neue Foltermethoden entwickelt werden. Isolation, sensorische Deprivation, Schlafentzug, Reizüberflutung, Streßpositionen oder Waterboarding sind auf dem Mist ärztlicher und psychologischer Beteiligung gewachsen, wobei der Übergang zwischen Auftragsarbeit und vorgeblich neutraler wissenschaftlicher Tätigkeit so fließend ist, daß man zwangsläufig mit der Frage konfrontiert wird, ob diese unterstellte Grenze überhaupt existiert.

Die Drangsalierung der Gefangenen in Guantánamo wurde in erheblichem Umfang von Ärzten und Psychologen entwickelt, beobachtet, beeinflußt und qualifiziert. Das schloß zwangsläufig unmittelbare Beteiligung an Foltermethoden ein, um deren Wirkung zu steigern. Schlafentzug bis zu 180 Stunden, Einschluß auf engstem, finsterstem Raum für 18 Stunden am Tag, eisige Luft oder kaltes Wasser bis in die Nähe der Hypothomie, erzwungener Stand durch Aufhängen an der Decke oder Waterboarding in begrenztem Umfang wurden vom ärztlichen Dienst gebilligt und für unschädlich erklärt. (New York Times 01.03.10)

Natürlich existieren keine Forschungsarbeiten, auf die sich diese Auffassung allen Ernstes berufen könnte. Doch selbst wenn das der Fall wäre, bestünde kein Anlaß, einer derart absurden Behauptung zu folgen. Sollte sich tatsächlich die Frage stellen, ob es sich um Folter handelt, bräuchte man nur die Opfer zu fragen. Statt dessen spielen Ärzte, Psychologen, Wächter, Juristen, Politiker und andere beteiligte Berufsstände einander die Bälle zu, um sich gegenseitig zu bestätigen, daß "verschärfte Befragung" keine schweren Schmerzen oder Qualen hervorruft und somit keine Folter sei.

Die Professionalität besteht demzufolge ausschließlich darin, den Konsens im Sinne des gewünschten Zwecks zu unterfüttern. Gemessen an der vielzitierten Maxime ärztlichen oder psychologischen Handelns, niemandem Schaden zuzufügen, dürften diese Berufsstände unter keinen Umständen auch nur in die Nähe von Forschungsarbeiten oder Praktiken geraten, die den Gedanken an Folter aufkommen lassen. Dennoch ist keine einzige staatliche Institution oder Standesorganisation auf den Gedanken gekommen, die Folterknechte im weißen Kittel zur Rechenschaft zu ziehen.

Wo Folter nicht mehr Folter genannt, sondern legalisiert wird, nimmt die Beteiligung an diesem Regime geradezu offiziöse Züge an. Das ist aus deutscher Sicht besonders bemerkenswert, hat hierzulande doch eine ganze Generation vehement zu ihrer Rechtfertigung angeführt, sie habe damals von nichts gewußt.

2. März 2010