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REPRESSION/1365: Mamoun Darkazanli im Netz kafkaesker Staatswillkür (SB)



Die Empörung über die Mordpläne, die der US-Auslandsgeheimdienst CIA in Kollaboration mit der Söldnerfirma Blackwater laut einem Bericht des US-Magazins Vanity Fair gegen den in Hamburg lebenden Deutschsyrer Mamoun Darkazanli ausgeheckt haben soll, hat etwas durchweg Bigottes. Schließlich soll die gezielte Hinrichtung afghanischer Taliban seit letztem Jahr zum Aufgabenfeld der Bundeswehr gehören, und die von den USA in Pakistan wie Afghanistan durchgeführte Ermordung angeblicher Taliban durch ferngesteuerte Drohnen ist Bestandteil der Kriegführung der NATO. Gegen die Praxis Israels, palästinensische Widerstandskämpfer mit Raketen zu töten, die von Kampfhubschraubern abgefeuert werden und häufig umstehende Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen, hat keine Bundesregierung je Protest eingelegt, geschweige denn zur juristischen Verfolgung der Täter aufgerufen.

Das kaltblütige Liquidieren sogenannter Terrorverdächtiger ist übliche Praxis in den unerklärten Kriegen der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten, so daß es kaum erstaunen kann, daß die Bundesrepublik selbst zum Feld derartiger Praktiken werden sollte. Der Hamburger Kaufmann Darkazanli kann ein Lied davon singen, was es heißt, als Terrorverdächtiger eingestuft zu werden und dadurch Repressalien ausgesetzt zu sein, mit denen die Grundrechte nicht nur angeblicher Terroristen ausgehebelt werden.

So war Darkazanli einer der ersten Europäer, der mit dem Mittel des Europäischen Haftbefehls verfolgt wurde. Um seine Auslieferung an die spanischen Justiz, die ihn als Mitglied einer Al-Qaida-Zelle verdächtigte, abzuwehren, mußte der Hamburger eigens Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Rahmenbeschluß über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten wurde 2002 ohne Beteiligung des EU-Parlaments vom Rat der Justiz- und Innenminister beschlossen. Wie der Staatsrechtler Matthias Herdegen als Prozeßvertreter Darkazanlis vor dem Bundesverfassungsgericht geltend macht, erfolgte dies ohne demokratische Legitimation, da der Ministerrat dazu keine Ermächtigung durch die EU-Verträge besessen habe. Die Mitgliedstaaten wurden zur Umsetzung in nationales Recht angehalten, ohne daß sie eine angemessene Möglichkeiten zur parlamentarischen Überprüfung gehabt hätten. Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bestätigte am 13. April 2005 im Deutschlandfunk auf die Frage des Moderatoren, ob der Bundestag das Gesetz hätte ablehnen dürfen, kategorisch: "Er hätte es nicht mehr ablehnen dürfen, nachdem der Rahmenbeschluß gefaßt war. Der Rahmenbeschluß ist europäisches Recht und umzusetzen."

Als der absolute Auslieferungsschutz für deutsche Staatsbürger nach Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes - "Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden" - im Mai 2000 mit dem Zusatz aufgehoben wurde "Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind", da stand die Debatte ganz im Zeichen der internationalen Strafverfolgung. Es ging um die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), einem Lieblingsprojekt der rot-grünen Bundesregierung, das den Abgeordneten durch die am Den Haager Jugoslawientribunal erprobte Siegerjustiz schmackhaft gemacht wurde.

Die Einführung des Europäischen Haftbefehls hingegen zeigte, daß man sich als Bürger nie auf die Behauptung verlassen sollte, die Schwächung der Grundrechte betreffe nur ganz bestimmte, besonders verwerfliche Straftäter. Der seitdem mögliche Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bei Auslieferungsersuchen unterstellt von vorneherein, daß Gesetze und Gerichtsentscheidungen anderer EU-Staaten rechtsstaatlich unbedenklich sind. Wie auch anhand anderer Gesetzgebungsverfahren zu belegen strebt die sogenannte Harmonisierung der europäischen Rechtssysteme eine Nivellierung auf dem größten gemeinsamen Nenner, sprich der niedrigsten Schwelle bürgerrechtlicher Schutzgarantien bei schärfsten Strafnormen, an.

Grundlage des Europäischen Haftbefehls sind 32 Katalogstraftaten, bei denen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt. Während in allen andern Fällen nach wie vor gilt, daß ein Staat, der einen Bürger ausliefern soll, dies nur tun kann, wenn dessen im Ausland begangene Tat auch nach eigenem Recht strafbar ist, so ist der ersuchende Staat bei einer Katalogstraftat berechtigt, Bürger anderer EU-Staaten vor seine Gerichte zu zitieren, wenn sie irgendwo in der EU gegen Rechtsbestimmungen verstoßen haben, die nach seinen Gesetzen strafbar sind. Zu den Katalogstraftaten gehören Delikte wie Cyberkriminalität, Sabotage, Kraftfahrzeugkriminalität, Menschenhandel, Geldwäsche, Umweltvergehen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Begriffsdefinitionen sind so schwammig, daß sie großzügig ausgelegt werden können und sich nach einigen Präzedenzfällen in einem Richterrecht niederschlagen könnten, das die EU immer mehr zu einem Raum der Sicherheit und immer weniger zu einem der Freiheit machte.

Was mit dem Rückenwind der Terrorismusabwehr von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet durchgesetzt wurde, geht über die Benachteiligung des einzelnen Bürgers gegenüber den Vollmachten der nationalen Exekutive und Judikative deutlich hinaus. Die Dominanz des "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" über die Souveränität der Einzelstaaten wird durch abstrakte, weithin auslegbare Rechtsnormen gestärkt, die Kapitalinteressen bevorteilen und Möglichkeiten willkürlicher Verfolgung eröffnen. Wenn deutsche Justizbehörden einen deutschen Bürger an einen Staat wie Spanien ausliefern wollen, obwohl dessen Sicherheitsbehörden Gefangene foltern, dann ist man auch als Bundesbürger nicht mehr vor Guantanamo sicher.

Theoretisch denkbar wäre, eine des Terrorismus verdächtigte Person nach den für die Ankläger günstigsten strafrechtlichen Bedingungen, die in einem beliebigen Mitgliedstaat der EU herrschen, zu verurteilen. Auf diese Möglichkeit verwies der Fall Darkazanli, bei dem die spanischen und deutschen Strafverfolger offensichtlich zuungunsten des Beklagten zusammengearbeitet haben. Nachdem man in der Bundesrepublik spätestens seit dem 11. September 2001 gegen den Deutschsyrer ermittelte, ohne ihm eine strafbare Handlung nachweisen zu können und ein entsprechendes Strafverfahren eingestellt worden war, traten die spanischen Justizbehörden in Aktion und bezichtigten ihn im Zusammenhang mit den Madrider Zuganschlägen der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Dies stellte zum Tatzeitpunkt in Spanien im Unterschied zu Deutschland eine Straftat dar. Der Rechtsanwalt Michael Rosenthal, der Darkazanli in Karlsruhe vertrat, erklärte damals, daß die Bundesrepublik

"bei Darkazanli auch die Möglichkeit gehabt hätte, ihn hierzubehalten, weil er Deutscher ist. Das haben sie mit einem Satz abgelehnt: 'Von dieser Möglichkeit wird kein Gebrauch gemacht.' Das meine ich mit Missbrauch: Man kann missliebige Deutsche loswerden, ohne dass - nach aktueller Gesetzeslage - ein Hahn danach krähen könnte."
(Telepolis, 11.04.2005)

Als das Bundesverfassungsgericht das vom Bundestag verabschiedete Gesetz über den Europäischen Haftbefehl (EuHbG) am 18. Juli 2005 als verfassungswidrig verwarf, mußte Darkazanli aus der Auslieferungshaft, in der er seit zehn Monaten saß, entlassen werden. Haftentschädigung erhielt er nicht, weil er aufgrund eines spanischen Haftbefehls verhaftet wurde, während die deutschen Behörden nur Amtshilfe leisteten. Nach dem Urteil stellten die spanischen Behörden einen weiteren Haftbefehl gegen Darkazanli aus, so daß dieser beim Verlassen der Bundesrepublik stets Gefahr liefe, seine Freiheit zu verlieren.

Zwar wurde das EuHbG nach der Entscheidung des Karlsruher Gerichts etwas entschärft, doch die grundlegende Problematik, deutsche Staatsbürger an Länder auszuliefern, in denen eine ganz andere Rechtskultur herrscht, wurde damit keineswegs aus der Welt geschafft. Die Nachstellungen, denen Darkazanli ausgesetzt war und ist, belegen, daß die fortgesetzte Unterminierung grundrechtlicher Schutzgarantien für alle Bürger konkrete und bedrohliche Auswirkungen hat.

Der Kaufmann stand bereits seit 1998 unter enger Observation mehrerer deutscher Sicherheitsbehörden, während US-Geheimdienste ihn seit mindestens 1999 observierten, nachdem sie vergeblich versucht hatten, ihn anzuwerben. Darkazanli soll mit dem im Herbst 1998 in Bayern festgenommenen und trotz der ihm drohenden Todesstrafe an die USA ausgelieferten Sudanesen Mamdouh Mahmud Salim in Kontakt gestanden haben. Letzterer wurde als Finanzchef Osama bin Ladens gehandelt und sitzt bis heute in den USA in Haft, ohne daß der gegen ihn erhobene Vorwurf des Terrorismus gerichtlich bestätigt wurde.

So stand der Mann, dem enge Kontakte zur sogenannten Hamburger Zelle, die angeblich die Anschläge des 11. September 2001 geplant hat, zur Last gelegt werden, schon zwei Jahre vor 9/11 unter so enger Kontrolle diverser Sicherheitsbehörden, daß ihm kaum möglich war, sich an einer komplexen terroristischen Operation zu beteiligen. Zudem bestätigt seine Observation, daß die als Attentäter gehandelten Mitglieder der Hamburger Zelle ebenfalls vor den Anschlägen überwacht wurden.

In dem im Juli 2003 vorgelegten Bericht des gemeinsamen Geheimdienstausschusses des Senats und Repräsentantenhauses im US-Kongreß wurde unter dem Punkt "Deutschland - Ermittlungen über die Hamburger Zelle" lediglich behauptet, daß Deutschland neben Malaysia und Afghanistan einer der "Ausgangspunkte" der Anschläge sei. Dazu berief man sich auf eine Angabe des FBI, derzufolge

"die operationale Planung für die Angriffe des 11. September an Orten in Übersee, insbesondere in Deutschland, Malaysia und den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfand."

"Operationale Planung" kann im Mindestfalle bedeuten, daß man unmittelbare Reisevorbereitungen trifft, meint jedoch auf keinen Fall die grundlegende Konzeption der Anschläge. Außer als Wohnort einiger der Attentäter und als einer von mehreren Orten der Topographie, die ihre Anreise in die USA beschreibt, wird Hamburg lediglich als derjenige Ort genannt, an dem drei der Flugzeugentführer islamistisch radikalisiert wurden:

"Ein FBI-Agent bekräftigte in einem Joint Inquiry-Interview, daß die drei künftigen Flugzeugentführer keine Radikale waren, als sie nach Deutschland kamen, sondern erst dort dazu wurden. In Hamburg besuchten Atta, al-Shehhi und Jarrah die Al Quds-Moschee, wo sie eine Gruppe radikaler Islamisten trafen, zu denen Mohammed Haydar Zammar, Mamoun Darkazanli, Zakariya Essabar, Ramzi Bin al-Shibh, Said Bahaji und Munir Mottasadeq gehörten. Die Flugzeugentführer beteten, arbeiteten, lebten, verkehrten sozial miteinander und besuchten Seminare an der Universität mit dieser Gruppe, die als die 'Hamburger Zelle' bekannt wurde."

Außer an dieser Stelle und in der Überschrift dieses Abschnittes wird der Begriff "Hamburger Zelle" kein weiteres Mal auf den 850 Seiten des Berichts erwähnt. Tatsächlich gibt nichts, was diesem Konvolut des US-Kongresses zu entnehmen ist, Anlaß zu der Behauptung, die Anschläge wären wesentlich in Hamburg geplant worden. So verlegt man sich in dem Bericht vor allem darauf, den deutschen Sicherheitsbehörden und der Bundesregierung anzulasten, die islamistische Bedrohung nicht ernst genug genommen und dadurch frühzeitige Ermittlungserfolge verhindert zu haben.

So wurde in den USA heftig kritisiert, daß die Hamburger Ermittler Darkazanli nicht sofort nach 9/11 festgenommen hätten. Eine Gelegenheit, dieses angebliche Versagen wiedergutzumachen, bot sich, als sich Anfang Oktober 2001 ein mit Haftbefehl gesuchter Kosovo-Albaner bei der Hamburger Polizei meldete und ihnen Akten übergab, die er bei einem Einbruch in der Wohnung Darkazanlis erbeutet haben wollte. Es soll sich um Geschäftsunterlagen des Syrers gehandelt haben, mit denen sich nun das Versäumte, die Einleitung von Ermittlungen, nachholen ließ. Die Art und Weise, wie der Hamburger Polizei auf die Sprünge geholfen wurde, führte man allgemein auf eine gezielte Aktion der US-Dienste zurück.

Die kafkaesken Nachstellungen, unter denen Darkazanli zu leiden hat, dauern bis heute an, denn er steht auf der Terrorliste der EU. Wer aus nicht nachvollziehbaren Gründen von einem geheim tagenden Gremium des EU-Ministerrats aufgrund von Geheimdienstinformationen in den Stand eines Terrorverdächtigen erhoben und auf diese schwarze Liste gesetzt wird, dem werden praktisch die Bürgerrechte entzogen, und zwar ohne jedes juristische Prozedere. Der Betroffene hat keine Möglichkeit, Einspruch gegen seine Stigmatisierung als Terrorist einzulegen, weil er gar nicht erst in Kenntnis davon gesetzt wird. Die Betroffenen erfahren von ihrem Schicksal, wenn sie auf ihr plötzlich eingefrorenes Vermögen zugreifen, ein Konto eröffnen oder eine Grenze überschreiten wollen. Wer auf der EU-Terrorliste steht, ist geschäftsunfähig, kann nur sehr bedingt reisen und hat kaum Möglichkeiten, gegen die Repressalien der Sicherheitsbehörden Rechtsmittel einzulegen. Wer ihm hilft, macht sich nicht nur verdächtig, sondern kann im Zweifelsfall bestraft werden.

Die laut Vanity Fair geplante Ermordung Darkazanlis paßt mithin ins Bild einer Maßnahme, die mit staatlichen Mitteln durchgeführt wird, während sie sich außerhalb rechtstaatlicher Normen bewegt. Hier drängt sich der Begriff des "nackten Lebens" auf. Auf diesen hat der italienische Rechtsphilosoph Giorgio Agamben das Schicksal für vogelfrei erklärter Menschen gebracht, die in einem zur Regel gewordenen Ausnahmezustand einer Staatswillkür ausgesetzt sind, die alle Merkmale einer terroristischen, weil irregulären, praktisch aus heiterem Himmel zuschlagenden exekutiven Ermächtigung aufweist. Von ihr profitieren eben nicht nur US-Geheimdienste und -Söldnerfirmen, sondern alle Regierungen und Staatsorgane, denen die Grundrechte ihrer Bürger lediglich ein ärgerliches Hindernis bei der Durchsetzung ihrer Ziele sind.

6. Januar 2010