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REPRESSION/1363: Ungenügende Opposition der EU-Parlamentarier gegen SWIFT-Abkommen (SB)



Die EU-Parlamentarier haben zweifellos gut daran getan, die Verabschiedung des SWIFT-Abkommens mit den USA durch den EU-Ministerrat nur einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zu verurteilen. Wenn die wenigen Vorteile, die der Reformvertrag der demokratischen Entwicklung der EU bietet, durch einen offenkundigen Terminierungstrick negiert werden, dann belegt das den großen Widerwillen der EU-Eliten, die beanspruchten humanistischen Werte zu realisieren. Der Durchsetzung des Vertragswerk gegen das Gros der Europäer, die ihre Einwände nicht mehr geltend machten durften, weil diese eine tatsächlich demokratische und soziale Öffnung der EU hätten bewirken können, spricht eine so deutliche Sprache des administrativen Dezisionismus, daß das Vorgehen der EU-Innenminister im Falle der Weitergabe von Bankdaten an die USA allen Anlaß dazu bietet, sich diesem Eingriff in die bürgerlichen Rechte entgegenzustellen.

Der Unmut der Parlamentarier droht jedoch zum Zwergenaufstand zu verkommen, wenn der von den Ministern in Anspruch genommenen Notwendigkeit der Finanzkontrolle im Grundsatz zugestimmt wird. So verfängt die Behauptung, daß die Überwachung der Geldströme zur Bekämpfung des Terrorismus erforderlich sei, offensichtlich bei einer Mehrheit der EU-Abgeordneten. Zwar handelt es sich bei dem SWIFT-Abkommen, das ohne die zahlreichen Änderungsanträge der Parlamentarier verabschiedet wurde, so daß sie nunmehr dem gesamten Vertragswerk nur noch zustimmen oder es ablehnen können, um eine auf neun Monate terminierte Übergangsregelung. Da es jedoch die freizügige Nutzung des dem einzelnen zur Verfügung stehenden Geldes zur Disposition stellt, Gründe für die im Zusammenhang mit EU-Terrorlisten erwirkte Blockierung von Vermögen und die damit einhergehende Geschäftsunfähigkeit liefert und eine Zustimmung der Parlamentarier das anschließend dauerhaft zu erarbeitende Abkommen mit den USA präjudizierte, geht es hier um eine Frage des Prinzips, das nicht aus opportunistischen Erwägungen unterlaufen werden sollte.

Wenn Bundesinnnenminister Thomas de Maizière kategorisch erklärt, daß die Zusammenarbeit mit den USA in allen Fragen der Terrorbekämpfung "zur Aufrechterhaltung unserer öffentlichen Sicherheit essenziell" (Heise online, 01.12.2009) sei, dann tun sich gleich zwei Probleme auf. Zum ersten ist doch sehr die Frage, ob der in seiner politischen Semantik ohnehin von exekutivemn Dogmatismus bestimmte Begriff der Sicherheit nicht auf gegenteilige Weise ausgelegt werden müßte, wenn es um die Offenlegung individueller Daten gegenüber US-Behörden geht. Die US-Regierung hält auch unter Präsident Barack Obama Antiterrorgesetze aufrecht, die mit den in Deutschland und der EU gültigen Rechtsnormen nicht zu vereinbaren sind. Den USA den freizügigen Zugriff auf Kontodaten zu ermöglichen bedeutet daher auch, in der EU lebende Menschen administrativen Formen der Ermächtigung preiszugeben, die wie im Fall der von den US-Behörden verschleppten, gefolterten und ohne richterliches Urteil auf unbegrenzte Zeit festgehaltenen Menschen eine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben darstellen.

Zum zweiten halten die für die Transparenz des individuellen Finanzgebarens vorgebrachten Gründe nicht, was sie versprechen. Mit der gleichen Logik, mit der der Staat Konteneinsicht nehmen und dafür auch noch Geheimdienste einsetzen will, die praktisch nicht rechenschaftspflichtig sind, angeblich um Terroranschläge zu verhindern, könnte jeder Anspruch auf bürgerliche Freiheit aufgehoben werden. Es findet sich bei bemühter Suche stets ein in persönlichen Nachteilen zu taxierender Preis für die Ausweitung von Sicherheitsgesetzen, die schon mit dem impliziten Schutz der Person vor sich selbst die zugrundeliegende Bezichtigungslogik in Anschlag bringen. Es geht um die generelle Zurichtung des Menschen auf eine Vergesellschaftungspraxis, die den einzelnen für alle Mängel, die er erleidet, selbst verantwortlich macht.

Wichtige Anfänge sind bereits gemacht in Form einer biophysischen Konditionierung, die Abweichungen von der Norm des körperlichen Durchschnitts moralisch bis materiell sanktioniert. Die Verregelung der Lebensführung nach Parametern, mit denen fremde Interessen in den Leib des einzelnen eingeschrieben werden, ist ein Labor für soziale Repression, die im Finanzbereich die äquivalente Form einer immer umfassenderen Transparenz des individuellen Umgangs mit Geld annimmt. Anonyme Zahlungsmittel produzieren einen systemischen Kontrollverlust dar, der mit dem totalen Sicherheitsbegriff des Terrorkriegs nicht zu vereinbaren ist.

Eben hier erweist sich die Kritik der EU-Parlamentarier als zahnlos. Sie scheinen keinen Gedanken daran zu verschwenden, daß es für die Überwachung der Geldströme zahlreiche Gründe gibt, die nichts mit der Abwehr akuter terroristischer Bedrohungen zu tun haben. Die Bankdaten in der EU lebender Menschen den USA auch unter verbesserten Datenschutzbedingungen zu überlassen zeugt von einem ungenügenden Bewußtsein für demokratische Rechte, die in einer kapitalistischen Gesellschaft auch die Verfügungsgewalt über anonyme Zahlungsmittel beinhalten. Die staatliche Finanzüberwachung steht nur scheinbar im Widerspruch zur Marktwirtschaft, ohne deren gesetzliche Regulative keine Mehrwertproduktion und Kapitalakkumulation möglich wäre. So zielt Finanzkontrolle gerade in der Krise des Kapitalismus auf die Sicherung des herrschenden Systems auch unter der Bedingung einer Zwangsverwaltung, die die Einspeisung des einzelnen in Produktion und Reproduktion zur optimalen Ausbeutung von Ressourcen aller Art im Zweifelsfall gegen dessen Interessen durchsetzt.

Von daher müßte im EU-Parlament grundsätzlich über die anwachsende staatliche Finanzkontrolle debattiert werden, um das SWIFT-Abkommen auch gegen den Druck der eigenen Regierungen, Parteien und der US-Administration abzulehnen. Wenn die Parlamentarier damit überfordert sind, dann zeigt dies eine systemische Schwäche der Demokratie, die durch die beschränkten Mitspracherechte des Lissabon-Vertrags nicht überwunden werden kann.

8. Dezember 2009