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REPRESSION/1314: Biometrisch vermessen wird der Mensch zur Datei (SB)



An vorderster Front sicherheitsstaatlicher Repression marschiert in der EU Britannien. Wer sich für die Zukunft bürgerlicher Freiheiten interessiert, braucht nur britische Pressepublikationen zu studieren, um zu erkennen, daß die Gegenwart die Zukunft längst überholt hat. So berichtet die Onlineausgabe der Tageszeitung The Guardian (11.05.2009) über den Plan der britischen Regierung, sogenannte Gehirnscans auch bei Kontrollen im öffentlichen Raum einzusetzen, und zwar nach Möglichkeit auf eine Weise, bei der die in ihren neurophysiologischen Aktivitäten observierte Person nicht einmal merkt, was mit ihr angestellt wird.

Möglich wird dies durch nichtinvasive neurodiagnostische Untersuchungstechniken, anhand derer im Rahmen eines von der EU geförderten Pilotprojekts namens Humabio (Human Monitoring and Authentication using Biodynamic Indicators and Behaviourial Analysis) eine Technologie zur biometrischen Identitätsüberprüfung entwickelt wurde. Mit Hilfe im Vorwege individuell festgestellter physiologischer Normwerte, die von einem am Probanden vorhandenen RFID-Chip ausgelesen werden können, sollen laut dem Guardian diskrete Überprüfungen an Grenzen, Flughäfen oder anderen sicherheitsempfindlichen Orten durchgeführt werden.

Während es sich dabei lediglich um eine der vielen Blüten aus dem bunten Strauß biometrischer Methoden, bei denen es sich im Kern um hochentwickelte Techniken der Mustererkennung handelt, mit denen individuelle Daten physischer und physiologischer Art abgeglichen werden, geht die neuromedizinische Forschung mit dem Versuch, aus Vergleichswerten dieser Art verhaltenspsychologische Prognosen zu generieren, die im Extremfall darauf hinweisen, daß der Proband mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Straftat begehen wird, einen großen Schritt weiter.

Dem probabilistischen Vorgriff auf künftige Ereignisse entspricht ein zutiefst reaktionäres Menschenbild. Wo die biologische Determination verabsolutiert wird, erweist sich der Mensch als bloße Summe fremder Kräfte und Wirkungen, die in ihrer Systemlogik zu erschließen schlicht ein Problem komplexer Datenverarbeitung ist. Der sicherheitsstaatlichen Präventionslogik gemäß reicht es nicht aus, momentane Gefahren durch die neuromedizinische Evaluation gehirnphysiologischer Aktivitäten, durch die Auswertung motorischer oder mimischer Auffälligkeiten, durch Stimmanalysen oder die Messung physiologischer Indikatoren wie die Feuchtigkeit der Haut oder den Geruch des Schweißes zu identifizieren. Sie greift konsequenterweise auf die biologischen Grundlagen der Existenz zurück und sucht im Erbgut nach Anzeichen für eine kriminelle Entwicklung.

Die weiteren Folgen des Versuchs, das dem vulgärmaterialistischen Credo des Biologismus entsprechend hermetisch gegen seine erkenntnistheoretische Aufhebung verschlossene Böse in den Geweben, Sekreten und Impulsen des Körpers dingfest zu machen, liegen auf der Hand. Die gesellschaftliche Verträglichkeit des einzelnen Menschen wird am besten schon im Vorwege seiner Zeugung und Geburt mit Hilfe humangenetischer Analysen und reproduktionsmedizinischer Techniken selektiert. Sollte er diese Hürde überwinden, wird ihm wird anhand der Übermacht biologischer Determinanten das Recht abgesprochen, ein Leben nach seinem freiem Willen, über den er nicht verfügen soll, zu führen. So bar jeder Bereitschaft, über den Tellerrand kausal determinierter Zwangslogik zu blicken, die Sachwalter der biometrischen Aufrüstung sind, so utilitaristisch legitimieren sie Tun. Der Blick hinter die Fassade gewaltbereiter Repression fördert denn auch nichts anderes zutage als die erschreckende Einsicht, daß das Böse im Auge des anonymen Beobachters längst jede Grenze noch einzuhegender ideologischer Totalität überschritten hat.

13. Mai 2009