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REPRESSION/1311: Nach Effizienz der Folter zu fragen heißt sie einzuplanen (SB)



Seit der Veröffentlichung weiterer Rechtsgutachten des US-Justizministeriums der Ära Bush zu angeblichen Legalität der Folter wird in den USA eine Debatte um das Thema geführt, die sich immer weiter vom prinzipiellen Folterverbot des internationalen Rechts entfernt. Dies durchzusetzen verlangte der Regierung Obama die Einleitung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die Regierungsbeamten, CIA-Agenten und Kontraktoren ab, die in die Folterungen nicht nur in Guantanamo, sondern auch im afghanischen Bagram und anderen Gefangenenlagern der US-Streitkräfte und -Geheimdienste verstrickt waren und womöglich sind.

Dies wird nicht nur, wie wohlmeinende Kommentatoren dem US-Präsidenten zugute halten, vermieden, weil er sich nicht mit den konservativen Kräften in Washington, der eigenen Regierung und der eigenen Partei anlegen und eine Spaltung in der US-Bevölkerung erzeugen will. Auch für diese Washingtoner Administration ist das Interesse an der Handlungsfähigkeit einer durch die Sondervollmachten des Terrorkriegs zusätzlich ermächtigten und mit Hilfe eines gigantischen Geheimdienstapparats weitgehend außerhalb der Möglichkeiten demokratischer Kontrolle operierenden Exekutive weit wichtiger als die Einlösung eines Anspruchs an Rechtsstaatlichkeit, der auch in den USA durch massive Einschnitte in die bürgerlichen Grundrechte bis an die Grenze diktatorischer Praktiken ausgehöhlt wurde. Die durch die Wirtschaftskrise in Frage gestellte Integrität eines administrativen Systems, das traditionell Kapitalinteressen vertritt, soll unter keinen Umständen auf eine Weise geschwächt werden, die seinen Führungsanspruch auf grundlegende Weise in Frage stellen könnte.

Dies ist auch an der lebhaft geführten Debatte um die Frage zu erkennen, ob Folter überhaupt die gewünschten Ergebnisse erzeugt. Daran beteiligen sich auch viele Kritiker der Folterpraktiken der Bush-Regierung, obgleich sie wissen müßten, daß sie damit den prinzipiellen Charakter des ohne Wenn und Aber durchzusetzenden internationalen Folterverbots schwächen. Hier zeitigt der Glaube an die Change-Rhetorik Obamas das absehbare Ergebnis einer reaktionären Wende, besteht doch nach wie vor die starke Neigung, den US-Präsidenten mit dem Argument der pragmatischen Schadensbegrenzung zu entschuldigen, anstatt ihn kompromißlos zur Aufarbeitung der Regierungspraktiken seines Vorgängers zu drängen.

Mit der Frage nach der Wirksamkeit der Folter erkennen sogenannte Menschenrechtler implizit an, daß Aussageerpressung im Falle eines Handlungsnotstands nicht unter allen Umständen illegitim sei. Sie reproduzieren das berühmte Tickende-Bombe-Szenario, das seit jeher als Einfallstor für die Anwendung der Folter fungiert. Wer in diesem Rahmen behauptet, Folter sei "kontraproduktiv", verkennt den im herrschaftstechnischen Sinne produktiven Charakter der Demonstration praktisch unbeschränkter Gewaltanwendung. Gerade wenn eine Exekutive die ihr zugestandenen Kompetenzen so sehr ausweitet, daß ihre Kritiker befürchten müssen, diesen Maßnahmen zum Opfer zu fallen, hat sie den Beweis erbracht, daß es mehr Gründe und Zwecke als den der Informationsbeschaffung gibt, um Menschen zu quälen.

Das gilt auch für die Mutmaßung, daß es den Verhörexperten gar nicht um das Erbringen zuverlässiger Informationen ging, sondern sie mit erpreßten Schuldeingeständnissen von Ungereimtheiten um die Anschläge des 11. September 2001 ablenken wollten. Selbstverständlich wird auf der Oberfläche der politischen Repräsentanz mit allen Mitteln der Täuschung und Irreführung manipuliert, das gehört zum machiavellistischen Einmaleins auch der Regierungen demokratisch verfaßter Staaten. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß die Lebenschancen in Ländern wie den USA so ungleich verteilt sind, daß soziale Indikatoren wie die der Lebensqualität und Lebensdauer einer afrikanischen Elendsregion und einer westlichen Metropolengesellschaft in ein und derselben Stadt anzutreffen sind? Wo laut der Doktrin des Liberalismus jeder seines eigenen Glückes Schmied sein soll, scheint man immer weniger in der Lage zu sein, die materiellen Bedingungen der kapitalistischen Vergesellschaftung überhaupt als solche zu begreifen. Wo der Begriff der Gesellschaft als Determinante herrschender Verhältnisse fast als Schimpfwort gilt, sorgen opportunistische Wissenschaften für die Dämonisierung jeder kritischen Reflexion, die beansprucht, sich durch den positivistischen Imperativ des Sachzwangs und die verkürzte Sicht bloßer Empirie nicht daran hindern zu lassen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Historische Errungenschaften wie das Folterverbot wurden nicht erstritten, weil feudale Eliten sich dadurch bedroht fühlten, sondern weil ihnen ein Machtmittel genommen werden sollte, das jegliche Opposition gegen herrschende Kräfte in ein tödliches Unterfangen verwandelte. Demokratie, verstanden als Anspruch auf wirksame und nicht nur symbolische Einflußnahme auf die Geschicke eines Staates, wird durch staatliche Gewaltorgane, die sich der Sondervollmachten des Ausnahmezustands bedienen, ad hoc negiert. Die Durchsetzung des Folterverbots ist mithin nicht nur ein Anliegen menschenrechtlichen Fortschritts, sie ist vor allem Bestandteil jeder Herrschaftskritik, die nicht aufgrund diktatorischer Verhältnisse von vornherein auf deren revolutionären Sturz abzielt.

Indem in den USA - und damit in verstärktem Maße auch in der Bundesrepublik - über die Effizienz der Folter debattiert wird, wird der Ausbildung derartiger Verhältnisse zugearbeitet. Vertreter einer radikaldemokratischen Argumentation können keinen Jota von erreichten Fortschritten wie der Etablierung des internationalen Folterverbots oder des Gewaltverbots der UN-Charta zurückweichen, wenn sie nicht zu Prozessoren ihrer eigenen Ohnmacht werden wollen. Mit der von den Sachwaltern des Terrorkriegs bei der Wahl staatlicher Gewaltmittel propagierten Ratio einer bedrohungsbezogenen Abwägung wurde das Feld der demokratischen Willensbildung bereits verlassen. Diesen Nachteil können davon betroffene Bürger dadurch wettmachen, daß sie nicht nur mit Rechtsprinzipien argumentieren, die, wie die Foltermemos renommierter US-Juristen gezeigt haben, durch beflissene Winkeladvokaten fast nach Belieben ausgelegt und in ihr Gegenteil verkehrt werden, sondern daß sie eine profunde materialistische Analyse und Kritik herrschender Verhältnisse leisten.

4. Mai 2009