Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1300: Bestrafung vor der Bestrafung - 32 Jahre in der Todeszelle (SB)



Verfassungsrichter Clarence Thomas ist empört. Das einzige schwarze Mitglied des Supreme Court in Washington, einst als Ersatz für den ebenfalls schwarzen Thurgood Marshall von US-Präsident George H.W. Bush nominiert, um dessen besonders liberale Haltung zu kontern, hält es für einen Skandal, daß der Todeskandidat William Lee Thompson Verfassungsklage eingereicht hat. Er ist seit 32 Jahren zum Tode verurteilt und hält die währenddessen in der Todeszelle verbrachte Haft für eine laut US-Verfassung unzulässig grausame Form der Bestrafung.

"Das macht unser Justizwesen zu einer Farce, (...) wenn ein verurteilter Mörder, der aufgrund seiner eigenen endlosen Verzögerungsversuche (...) dafür gesorgt hat, daß die Vollstreckung seines Urteils beinahe unendlich verschoben wurde, dann behauptet, daß diese beinahe unendliche Verschiebung sein Urteil verfassungswidrig macht. Es ist miteinander unvereinbar, Schwerverbrecher mit einem Arsenal 'konstitutioneller' Ansprüche zu versehen, mit denen sie ihre Hinrichtung verzögern können, und ihnen gleichzeitig zu ermöglichen, sich zu beschweren, wenn die Ausführung der Exekution unvermeidlicherweise verzögert wird".
(csmonitor.com, 12.03.2009)

Der Ordnungssinn dieses Richters und der ihn unterstützenden Kollegen führte dazu, daß die Verfassungsklage des in Florida einsitzenden Todeskandidaten nicht angenommen wurde. Obwohl für eine Hinrichtung vorgesehene Straftäter in den USA unter verschärften Haftbedingungen leiden müssen und mit der verhängnisvollen Aussicht konfrontiert sind, jederzeit exekutiert werden zu können, will man über die Grausamkeit dieser Bestrafung vor der Bestrafung nicht nachdenken. Erst recht nicht soll die Frage aufgeworfen werden, ob Straftäter, die 20 oder 30 Jahre im Todestrakt gesessen haben, überhaupt noch diejenigen Menschen sind, als die sie einst verurteilt wurden.

Auch wenn Thompson wegen eines 1976 begangenen Verbrechens von besonderer Grausamkeit verurteilt wurde, so zeugt die von Richter Thomas vertretene Ansicht, die Grausamkeit der Tat und nicht der Bestrafung stehe weiterhin zur Debatte, nur davon, daß er dem Staat letztlich das Recht zu jeder Form von Bestrafung zubilligt. Thompson hingegen, in dessen Berufungsverfahren offengelassen wurde, ob er lebenslänglich eingesperrt oder aber hingerichtet wird, soll, wenn er schon das Recht in Anspruch nimmt, seinen Fall immer wieder überprüfen zu lassen, dies im Zweifelsfall ad ultimo tun, daraus aber keinesfalls die Hinfälligkeit seiner Bestrafung ableiten können. Entweder bereitwillig den Kopf in die Schlinge stecken oder dies unter allen Umständen verzögern, um am Ende dennoch hingerichtet oder aber in der Todeszelle eines natürlichen Todes zu sterben, mehr soll diesem Sünder nicht zugestanden werden.

Debatten wie diese haben bereits Bestrebungen initiiert, die Beschleunigung des Vollzugs der Todesstrafe durch die Verminderung der den Verurteilten zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu bewirken. Gleichzeitig hat die Überprüfung der Fälle diverser Todeskandidaten, deren Unschuld sich durch das Aufkommen neuer Beweise, die insbesondere durch DNA-Forensik erbracht wurde, deutlich gemacht, daß schneller vollzogene Exekutionen auch die Chance auf den Tod von Justizopfern vergrößern. Indem der Oberste Gerichtshof in Washington darauf verzichtet, Thompsons Verfassungsklage anzunehmen, leistet er all denjenigen Vorschub, die eine Abschaffung der Todesstrafe, wie gerade im Parlament des US-Gliedstaats New Mexico debattiert, unter allen Umständen verhindern wollen.

Die von Verfassungsrichter Thomas exemplifizierte Ansicht, laut der Straftäter dafür zu sorgen hat, daß die Rechtsprechung kohärent ist und nicht umgekehrt, ist nur eine der kafkaesken Seiten zum Thema der Todesstrafe in den USA. Die Nachricht, dort würde zusehends aus Kostengründen über die Abschaffung dieser Bestrafungsform nachgedacht, ist nur auf den ersten Blick erfreulich. Auch in diesem Fall geht es vor allem um die Kosten, die aus den vielen Berufungsverfahren entstehen, die dazu führen, daß viele Verurteilte 20 Jahre und länger im Todestrakt verbringen, bevor die Strafe vollzogen wird. Sollte es nicht zur grundsätzlichen Umwandlung der Todesurteile in lebenslängliche Haft kommen, dann ist mit einer starken Einschränkung der Berufungsrechte zu rechnen. Da das Urteil "life without parole", zu deutsch "lebenslänglich ohne Bewährungsmöglichkeit", im Wortsinne bedeutet, daß die Verurteilten den Rest ihres Lebens im Knast verbringen müssen, kann auch bei einer Abschaffung der Exekutionspraxis kaum von einer Humanisierung des Strafvollzugs in den USA gesprochen werden.

16. März 2009