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HERRSCHAFT/1865: CDU - nach rechts zwo, drei ... (SB)



Welches politische Reizwort wird von UnionspolitikerInnen, die die extremismusideologische Gleichsetzung von Linkspartei und AfD wie ein Mantra rezitieren, mit anwachsender Häufigkeit ins Feld geführt? Es ist der Begriff der "Enteignung". Er legt die Axt an die Wurzeln der privatwirtschaftlichen Marktgesellschaft und verströmt den Brandgeruch der Revolution wie früher einmal das Wort vom "Kommunismus". Scheint dieser, zumindest bei den meisten der ihn heute noch in ihrem Namen führenden Parteien, von realpolitischer Substanzlosigkeit ausgezehrt und somit sang- und klanglos aus der ideologischen Arena verschwunden zu sein, so ist das politische Ziel der Enteignung großer KapitaleignerInnen spätestens mit dem Kampf gegen Immobilienspekulation und hohe Mieten in Berlin im Rahmen der Kampagne "Deutsche Wohnen & Co enteignen" [1] aus dem Schatten des Unaussprechlichen herausgetreten.

Die mit der Ankündigung des Rücktrittes Annegret Kramp-Karrenbauers vom Amt der CDU-Parteivorsitzenden spektakulär eskalierte Krise um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen legt nun vollends das destruktive Potential der Strategie der AfD frei, das Abstimmungsverhalten ihrer Abgeordneten dem Ziel nachzuordnen, größtmöglichen Schaden unter allen anderen im Landtag vertretenen Parteien anzurichten. Dieser tritt auf den ersten Blick als maximale Desorientierung aller am parlamentarischen Normalbetrieb interessierten Akteure hervor. Indem die AfD auf zwar regelkonforme, aber unorthodoxe Weise mit dem bislang unausgesprochen hochgehaltenen Konsens, daß aus dem Zustandekommen eines allgemein akzeptablen Regierungshandelns alle Beteiligten ihren Vorteil ziehen können, gebrochen hat, steht die politische Konkurrenz vor dem Scherbenhaufen der von ihr favorisierten zweckopportunen Arrangements.

Das daraus resultierende Krisenmanagement treibt der AfD im Zweifelsfall noch mehr WählerInnen zu. Es könnte fast als Morgengabe möglicher künftiger PartnerInnen verstanden werden, der AfD die Steilvorlage zu liefern, Interventionen und Verdikte aus den Parteizentralen und dem Kanzleramt als antidemokratische Eingriffe in das souveräne Handeln des Thüringer Landtages zu brandmarken. Die Forderung, Faschisten keinen Fußbreit Bodens zu gewähren, ausgerechnet mit Mitteln einzulösen, die das eigene Bekenntnis zu demokratischer Gesinnung unterminieren, wird dadurch, daß die AfD nichts anderes als die Durchsetzung staatsautoritärer und antidemokratischer Herrschaftspraktiken vorhat, nicht besser. Derartige Inkonsistenzen sind Wasser auf die Mühlen einer Partei, deren Gesellschaftsentwurf den Parlamentarismus lediglich als notwendigen Übergang zur Ausschaltung des politischen Gegners betrachtet.

Mit der Ankündigung des Rücktrittes vom Parteivorsitz der CDU hat Kramp-Karrenbauer praktisch die zweite Stufe des von der AfD initiierten Zerstörungswerkes gezündet. Bislang konnten weder Merkel noch sie die Verhältnisse im thüringischen Landesverband der CDU so erfolgreich beeinflussen, daß weitere Glaubwürdigkeitsverluste von der Union hätten abgewendet werden können. Mit einer Form der Schadensbegrenzung, über die innerhalb der Partei selbst kontrovers gestritten wird, bietet die CDU ein Bild der Schwäche, das geradezu danach schreit, endlich von den angeblichen Verirrungen der Merkel-Ära befreit zu werden. Das innerparteiliche Kampfbündnis Friedrich Merz und Werteunion steht längst bereit, den von der AfD unter mehr oder minder großer Beteiligung aus Kreisen der CDU entstandenen Scherbenhaufen zusammenzufegen und aus der Asche der ehemaligen Volkspartei wie ein zu neuer exekutiver Durchgriffsgewalt gelangter Phoenix wiederaufzuerstehen.

Die objektiven Gründe dafür, daß die seit langem aufgeworfene Frage, an welcher Stelle die Unionsparteien ihren Abgrenzungskurs zur AfD aufgeben und versuchen werden, die extreme Rechte in die eigene Agenda einzubinden, liegen auf der Hand. Die klassengesellschaftlichen Widersprüche der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft betreffen einen immer größeren Teil der Bevölkerung, die im Niedriglohnsektor und bei prekärer Arbeit nur notdürftig über die Runden kommt, wenn sie nicht ohnehin schon in soziale Verelendung gefallen ist. Die Rechnung, die BewohnerInnen der Hütten gegeneinander längs der Identitätskämpfe um nationale Zugehörigkeit, ethnische Herkunft und geschlechtliche Orientierung gegeneinander aufzubringen, kann auf die Dauer nicht aufgehen. Um der sozialen Opposition den Zahn emanzipatorischer und sozialrevolutionärer Ziele zu ziehen, bedarf es der gebündelten Kräften der bürgerlichen, nationalkonservativen und radikalen Rechten, die sich inhaltlich längst formiert hat und nur noch der allgemeinen Rechtsdrift folgen muß, um sich auch ganz offiziell zu formieren.

Den Funken kollektiven Widerstandes in sozialpolitischen Initiativen, linksradikalen Gruppen, Gewerkschaften, der Bewegung für Frauenstreik und Klimagerechtigkeit zu ersticken, bevor er sich zum Flächenbrand ausweitet, ist der Kern des abstrusen gegen die Linkspartei gerichteten Vorwurfes, nach wie vor die SED beerben und Verhältnisse wie in der DDR schaffen zu wollen. Gleiches gilt für den gegen MigrantInnen gerichteten Rassismus, sind doch gerade aus ihren Kreisen in der alten Bundesrepublik besonders kampfbereite und engagierte GenossInnen hervorgegangen. Heute vertreten viele Menschen, die nicht dem selbsterklärten herkunftsdeutschen Kollektiv zugerechnet werden und sich ihm auch nicht zugehörig fühlen, hierzulande die antikolonialen und antirassistischen Interessen des Globalen Südens, was ein Grund mehr dafür ist, von der Neuen Rechten und nationalchauvinistischen BürgerInnen angefeindet zu werden.

Für Frauen und LGBTIQ-Menschen eintretende Bewegungen sind ein bevorzugtes Feindbild männerbündischer Konstellationen in der AfD und mit ihr assoziierter Gruppen im klerikalfundamentalistischen Lager. Die auch unter Linken aufgestellte Behauptung, bei der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit und der Befreiung von heteronormativen Zwängen handle es sich um bloße Luxusprobleme identitärer Art, unterschlägt, daß die Geschichte geschlechtlicher Unterdrückung sehr viel älter als die kapitalistischer Ausbeutung ist. Die zerstörerische Bewirtschaftung gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist nicht minder Ausdruck patriarchaler Dominanz von Anbeginn des religiös fundierten Gebotes an, sich die Natur untertan zu machen. Nicht von ungefähr findet es unter wertkonservativen ChristInnen viel Zuspruch, so daß das "C" im Parteinamen keinesfalls im Widerspruch zur imperialen Lebensweise steht.

Den Koordinaten neurechter Ideologie im Programm der CDU Geltung zu verschaffen ist längst kein Vorhaben als extremistisch zu disqualifizierender Randgruppen innerhalb der Partei mehr. Wie ein Thilo Sarrazin jahrelang als SPD-Mitglied sozialdarwinistische Feindbilder propagieren konnte, die auch innerhalb der Partei Anklang fanden oder die Übertritte mancher GenossIn in die AfD beschleunigten, so repräsentieren Mitglieder der Werteunion wie der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, nationalkonservative Strömungen in der CDU, denen die AfD eine natürliche Bündnispartnerin im Kampf um deutschnationale Restauration ist. Sie suchen Anschluß an den weltweiten Aufstieg rechtskonsvervativer und faschistischer Parteien und PolitikerInnen, die in der Stärke der Nation, der Abwehr eines angeblichen Kulturmarxismus und der ungehinderten Fortsetzung fossilistischer Produktivität ihr gemeinsames Credo finden. Es ist schon von unheilvoller Symbolwirkung, wenn die Kanzlerin ihrer Parteifreundin Kramp-Karrenbauer auf einer Pressekonferenz mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der politisch in einer Reihe mit Donald Trump und Jair Bolsonaro steht, für ihre Arbeit an der Parteispitze dankt.

Der erst seit anderthalb Jahren im gesellschaftlichen Mainstream geführte Disput um die Notwendigkeit umfassenden Klimaschutzes ist für die Analyse neurechten Hegemoniestrebens besonders bedeutsam. Je mehr den Menschen klar wird, daß es sich dabei nicht nur um Fragen ökologischer Nachhaltigkeit und technologischer Innovation handelt, sondern die zu ergreifenden Maßnahmen aufs engste mit den Problemen sozialökonomischer Teilhaberschaft und industriellen Wachstums verknüpft sind, desto mehr rückt die Frage ins Blickfeld, wer von der Bilanz fossilistischer Produktion und der Externalisierung von Umweltkosten profitiert und wer von ihr belastet wird. Nicht nur für Friedrich Merz steht die Klimaschutzbewegung für Ziele ein, die früher mit der radikalen Linken identifiziert wurden. Sie richte sich "gegen unsere freiheitliche Lebensweise" und betriebe "die Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung" [2], behauptete der Hoffnungsträger des rechten Flügels der Union vor einigen Monaten instinktsicher und mit strategischem Weitblick.

Anläßlich der Ereignisse in Erfurt bemühte Superlative wie "Dammbruch" oder "Zeitenwende" suggerieren fälschlicherweise, daß es sich bei der Krise der CDU um einen plötzlich auftretenden Bruch und nicht ein konsistentes Geschehen handelt. Die von der AfD geschickt instrumentalisierten Widersprüche zwischen kapitalistischer Arbeitsgesellschaft und repräsentativer Demokratie sind in Sachwalterschaft der sogenannten Volksparteien jahrzehntelang durch den Ausbau staatsautoritärer Ermächtigung und sozialrassistischer Spaltung gegen alle Versuche verteidigt worden, klassengesellschaftliche Gräben durch die Überwindung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung einzuebnen. Nun sollen alte Rechnungen beglichen und Nägel mit Köpfen gemacht werden, nichts anderes besagen einschlägige, mit Gewaltandrohung und Bürgerkriegsrhetorik aufgeladene Absichtserklärungen aus den Reihen der Neuen Rechten.

Auf die weltweit synchron verlaufende Verwertungskrise des Kapitals und die sich zur unumkehrbaren Katastrophe auswachsende Aneignung und Ausbeutung natürlichen Lebens haben faschistische Demagogen nur eine Antwort - überleben zu Lasten anderer Menschen und Lebewesen. Mit ihrem Griff nach Hegemonie im parlamentarischen und administrativen Betrieb sollen Deutschland und die EU auf die Übertragung dieses sozialdarwinistischen Prinzips auf die Ebene von Staat und Nation vorbereitet werden. Die dabei entbrennenden Kämpfe und Kriege erfolgreich zu bestehen und die sozialen Verhältnisse herrschaftskonform zu sichern sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Entwicklung nicht nur im Diskurs parteipolitischer Konkurrenz und geostrategischer Konflikte zu beobachten, sondern der Akzeptanz herrschaftlicher Sichtweisen überall und direkt entgegenzutreten könnte zum wirksamen Kampf gegen faschistische Willkür beitragen.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0356.html

[2] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-ordnung-die-sie-meinen

10. Februar 2020


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