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HERRSCHAFT/1837: AfD - rechts rechtsspektral ... (SB)



(Alexander Gaulands) Höcke-kritischer Satz, die AfD sei nicht gegründet worden, um "einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen darf", klingt wie das Eingeständnis, dass die AfD den Extremismus salonfähig gemacht hat. Aber auch das ist nur Taktik, denn Gauland schiebt nach, man müsse sich "auf die Lippen beißen". Mit anderen Worten: Wie Höcke reden, ist Silber, wie Höcke denken, ist Gold. Aus Sicht der AfD mag das in den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ein Erfolgsrezept sein. Es wird aber ein Erfolg der Höcke-AfD sein, der Geister, die man rief.
FAZ-Kommentar "Höcke und die AFD: Keine Wand am rechten Rand" [1]

Gäbe es die von der AfD vorgehaltenen bürgerlichen Ideale in der Partei tatsächlich, hätte eine Distanzierung von Björn Höckes Gedankengut längst durchgesetzt werden müssen, zieht selbst die FAZ in Zweifel, daß sich die "Bürgerlichen" vom rechtsradikalen Gedankengut eines Höcke trennen ließen. Über den Sturz von Bernd Lucke und Frauke Petry habe sich die AfD derart radikalisiert, daß rechts von ihr nur noch die Wand zu sein schien. Könne es sein, daß die "Bürgerlichen" in der Partei erst jetzt entgeistert erkennen, daß da schon lange keine Wand mehr war, weil sie längst eingerissen wurde? Höckes Gedankengut entstamme so offensichtlich den Traditionen einer nationalistischen und rassistischen Erweckungsbewegung, daß der Bezug auf Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie lediglich als Fassade aufrechterhalten werde.

Ohne die drei heiligen Kühe der Staatsräson zu zitieren und daher ungleich präziser, faßt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, ihre Einschätzung der internen Manöver der AfD zusammen. Die Streitigkeiten seien "nichts anderes als eine innerfaschistische Auseinandersetzung um Führungspositionen in der AfD". Auch wenn der sogenannte "Flügel" immer offener Nazipositionen einnehme, dürfe das nicht zur Illusion führen, der Rest der AfD vertrete demokratische Ansichten, sagte sie der jungen Welt. "Eine Partei, deren Führungspersonal Naziverbrechen als 'Vogelschiss' bezeichnet, Gewaltphantasien gegen soziale Minderheiten äußert und Migranten die Menschenwürde abspricht, lässt keinen Zweifel daran, dass sie am ganz rechten Rand steht." Pazderski oder Höcke, das sei eine Wahl zwischen Pest und Cholera. [2]

Daß die rechte Bewegung auf dem Weg zur angestrebten Machtübernahme in Staat und Gesellschaft diverse Windungen und Wendungen, äußere Kontroversen und innere Zerwürfnisse durchläuft, ändert nichts an der Notwendigkeit, sie als Ganzes zu realisieren. Hinzu kommen wachsende Verflechtungen und Andockstellen in Geheimdiensten, Polizeien und Streitkräften, nicht zuletzt auch technokratische Krisenstrategien des Staates wie etwa die neuen Polizeigesetze, die repressive Maßgaben setzen, wie sie sich eine völkische oder identitäre Rechte nur erträumen kann. Wenngleich also eine weitreichende inhaltliche Analyse unverzichtbar ist, um die ideologischen Komponenten und konkreten Schritte des rechten Aufmarsches auszuweisen, darf diese Aufklärung nicht dazu führen, die interne Flügelbildung der Rechten und deren taktische Verfahrensweisen mit grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen diesseits und jenseits einer fiktiven roten Linie zu verwechseln.

Für die AfD als Gesamtpartei geht es darum, ihren Einfluß vor allem in den östlichen Bundesländern auszubauen, wenn möglich stärkste Kraft zu werden und schließlich an die Regierung zu kommen. Zu diesem Zweck jongliert sie mit unterschiedlichen Signalen an die potentielle Wählerschaft, um einerseits moderatere Segmente nicht zu verprellen und andererseits die Vorherrschaft auf der Straße zu erringen. Zugleich ist ihre Führung darauf bedacht, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz einzuhegen, der in der Ära nach Maaßen entschiedeneres Vorgehen simuliert. Aus dieser Doppelstrategie resultiert eine Gemengelage vorgeblich widerstreitender Positionen, die angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen im Herbst, die einen Durchbruch in Aussicht stellen, ihre Tonart verschärfen. Wenngleich es sich also durchaus um einen innerparteilichen Machtkampf handelt, ändert dieser doch nichts an der nach rechts offenen Stoßrichtung des gesamten Schubs reaktionärer Umwälzung.

Dies wird deutlich an der Reaktion auf den Vorstoß des "Flügels" um Björn Höcke und dessen kongenialen Verbündeten Andreas Kalbitz in Brandenburg. So wird jegliche inhaltliche Kritik an deren Positionen ausgespart und von maßgeblicher Seite darauf gedrängt, daß es sich um eine innere Angelegenheit der Partei handle, die nur dort auszuhandeln sei. Die Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen und Alexander Gauland äußerten sich zurückhaltend. Gauland erklärte, er halte Höckes Rede beim Kyffhäusertreffen für ebenso unangebracht wie den Appell gegen den Thüringer Landeschef "in Wahlkampfzeiten". Meuthen zeigte Verständnis für den Aufruf, da der Unmut und die massive Kritik über das Auftreten und manche Äußerungen Höckes in der Partei sehr vernehmlich seien, doch unterzeichnete er ihn ebensowenig wie Gauland und Alice Weidel. [3] Die Bundestagsfraktionschefin betonte vielmehr, die Partei solle Konflikte intern und nicht per öffentlicher Schlammschlacht lösen. [4]

Beim jährlichen Kyffhäuser-Treffen der völkisch-nationalen Gruppierung im thüringischen Leinefelde, das diesmal unter dem bezeichnenden Motto "Der Osten steht auf" stand, rief Brandenburgs AfD-Landeschef Andreas Kalbitz zum "Widerstand" gegen die etablierten Parteien und die Politik der Großen Koalition auf. "Widerstand tut not in diesem Land, sonst werden wir dieses Land verlieren", forderte er einen "Paradigmenwechsel". Höcke sprach der Generation der "Gastarbeiter" jeglichen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik ab und behauptete, die "seit Jahrzehnten praktizierte Politik der offenen Grenzen" habe "uns finanziell bluten lassen, als hätten wir einen weiteren Krieg verloren". Dann feuerte er eine Breitseite gegen den Bundesvorstand der Partei und deren bayerisches Landesschiedsgericht ab, das dem "Flügel" bescheinigt hatte, er stehe in einem "Konkurrenzverhältnis" zur AfD. Höcke wetterte gegen die "Spalter" und rief seinen glühenden Anhängern zu: "Ich kann Euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird." [5]

Gauland, der es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen ließ, auf dem Kyffhäuser-Treffen eine Rede zu halten, gab sich betont weniger agitatorisch als Kalbitz und Höcke. Er mahnte mit der eingangs zitierten Aussage zu verbaler Zurückhaltung und versicherte: "Wir planen keinen Umbau der Gesellschaft." Ziel der AfD sei vielmehr eine Rückkehr zu Konzepten, die funktionieren. So demonstrierte der Parteivorsitzende einmal mehr den Schulterschluß mit dem "Flügel", während er zugleich dessen erklärte Ziele für die Partei in Abrede stellte. Dies unterstreicht, in welchem Maße taktische Erwägungen die jeweiligen Äußerungen bestimmen, wobei die verschiedenen Akteure einander ungeachtet aller tatsächlichen Kontroversen über die Vorgehensweise wie insbesondere den Zeitpunkt, aus der Deckung und in den Frontalangriff zu gehen, vorerst die Bälle zuspielen.

Die vom "Flügel" weit über Thüringen hinaus in diversen Landesverbänden vor sich her getriebene eher bürgerliche Fraktion der Partei machte ihrer Besorgnis mit einem öffentlichen Appell "für eine geeinte und starke AfD" Luft: "Mit seiner Rede beim Kyffhäuser-Treffen hat Björn Höcke die innerparteiliche Solidarität verletzt und ist damit unseren Wahlkämpfern und Mitgliedern in den Rücken gefallen." Der überwiegende Teil der Mitgliedschaft lehne den "exzessiv zur Schau gestellten Personenkult" um Höcke ab, wie er bei dem Treffen des "Flügels" zelebriert worden sei. Die Unterzeichner, zu denen mehrere Dutzend Mandatsträger zählen, halten fest: "Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei". Höcke solle sich auf seine Aufgaben in Thüringen beschränken.

Dieser Aufruf entbehrt jeder inhaltlichen Kritik an den Positionen des "Flügels" und wirft Höcke lediglich vor, er übertreibe es mit seinem Personenkult und verhalte sich im Wahlkampf kontraproduktiv. Obgleich in diesen Vorwürfen durchaus eine gewisse Furcht vor dem wachsenden Einfluß des brachialen rechten Rands anklingt, reicht dies bei weitem nicht zu einer Abgrenzung, geschweige denn der längst ad acta gelegten Forderung eines Parteiausschlusses. Natürlich nicht, will Höcke doch die Wahl in Thüringen gewinnen, während der sächsische Landesverband immer enger auf seinen Kurs einschwenkt und Kalbitz, der sich ungeachtet seines völkischen Werdegangs inzwischen als führender Stratege des "Flügels" etabliert hat, in Brandenburg das Rennen machen möchte.

Die Kritik am "Flügel" wird insbesondere in den westlichen Landesverbänden laut, deren Wahlergebnisse jedoch weit hinter die im Osten zurückfallen. So warnt der zurückgetretene NRW-Landesvorsitzende Seifen nachdrücklich vor dem Flügel, den er für "gefährlich" hält. Höcke locke mit seinem Personenkult viele Menschen an, "die sich irgendwas versprechen von charismatischen, rauschhaften Zuständen". Seifen betonte, ihm sei klar geworden, daß Höcke den Flügel gegründet habe, um sich eine eigene Machtplattform zu schaffen und über die Grenzen der Bundesländer hinweg seinen Einfluß geltend zu machen. Auch die Loyalität des Co-Vorsitzenden in NRW, Röckemann, habe in erster Linie dem Flügel gegolten.

Seifen zeigte sich zugleich überzeugt, daß sich die Flügel-Anhänger nicht durchsetzten. In der AfD seien die bürgerlich-konservativen Kräfte in der Mehrheit, die eine patriotische Einstellung hätten und eine Politik für dieses Land machen wollten. Diese Version bekräftigte auch Meuthen, der als Europapolitiker unentwegt an einem seriösen Erscheinungsbild feilt: "Der Appell bestätigt letztlich meinen sicheren und schon oft geäußerten Eindruck, dass Björn Höcke mit seiner auch aus meiner Sicht unzutreffenden Kritik an der Arbeit des Bundesvorstandes und der Schiedsgerichte über keinerlei Mehrheiten in der Partei verfügt."

Aus alldem zu schließen, die Bundesspitze treibe die Sorge um, die Partei könnte von Rechtsextremen unterwandert werden, gliche dennoch einem Sperrfeuer von Nebelkerzen. Wenngleich der Vormarsch des "Flügels" nicht zu übersehen ist, hält die AfD doch das Profil einer bürgerlich-konservativen Partei vorwiegend aus taktischen Gründen vor. Sie braucht nicht von rechts unterwandert zu werden, weil ihr Fokus längst viel weiter in diese Richtung verschoben ist, als sie einer moderateren Wählerschaft Glauben machen will, die sie im Herbst und weit darüber hinaus auf ihre Seite zu ziehen hofft.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/hoecke-und-die-afd-keine-wand-am-rechten-rand-16278264.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/358453.auseinandersetzungen-in-der-afd-schläge-für-den-flügel.html

[3] www.deutschlandfunk.de/afd-richtungsstreit-widerstand-gegen-hoecke.1939.de.html

[4] taz.de/Innerparteiliche-Kritik-an-Bjoern-Hoecke/!5606324/

[5] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_86071576/afd-prominenz-kritisiert-personenkult-um-bjoern-hoecke.html

11. Juli 2019


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