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HERRSCHAFT/1814: Nichtregierungsorganisation - justiziabler Hinterhalt ... (SB)



Für externe Politikberatung haben die Regierungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel seit 2006 über 1,2 Milliarden Euro ausgegeben. Matthias Höhn von der Linkspartei wurde diese Zahl als Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung genannt, und er gibt zu bedenken, daß es sich dabei um absolute Mindestangaben handelt, da das Finanzministerium keinen Anspruch auf Vollständigkeit für diese Daten erhebt [1].

Politikberatung ist nicht nur teuer, ihr haftet auch der schlechte Geruch undemokratischer Einflußnahme an. Bei den dafür in Anspruch genommenen ExpertInnen handelt es sich häufig um Angestellte oder Auftragnehmer privatwirtschaftlicher Beratungsfirmen, deren Credo eher die Staatsferne unternehmerischer Eigenverantwortung ist, als daß sie in besonderer Weise um sozialen Ausgleich bemüht wären. Der neoliberalen Gesellschaftsdoktrin gemäß funktioniert der Staat am besten, wenn er nach Prinzipien der corporate governance aufgestellt ist, und bewältigt seine Aufgaben am effizientesten durch die Anwendung marktwirtschaftlicher Regeln auf zentrale Bereiche gesellschaftlicher Gestaltung wie Sozial- und Bildungspolitik. Die Einschränkung des Solidarprinzips durch die Einführung kapitalgedeckter Renten, die menschenfeindliche Logik maximaler Kosteneffizienz in privatisierten Krankenhäusern, die Auslagerung öffentlicher Versorgungsleistungen an Privatunternehmen - dies und vieles mehr sind Ergebnisse neoliberaler Politikberatung, die spätestens mit der rotgrünen Regierung in der ersten Dekade tonangebend für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft geworden ist.

Auch jenseits der häufig als intransparent kritisierten Vergabe teurer Beratungsaufträge an transnationale Unternehmen wird nach Kräften auf die Politik Einfluß genommen, so etwa durch die Erhebungen, Evaluationen und Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung. Die mit einem Kapital von über 600 Millionen Euro ausgestattete Stiftung hält die Mehrheit der Aktien des Bertelsmann-Konzerns, das als Medienunternehmen mit globaler Reichweite seinerseits über einigen Einfluß auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse verfügt. Das den GründerInnen Steuerersparnisse in Millionenhöhe bescherende Stiftungsmodell hat in diesem Fall einen politischen Akteur ersten Ranges hervorgebracht, unter dessen Dach UnternehmerInnen und PolitikerInnen sich die Klinke in die Hand geben und nach dessen verwaltungstechnischen und sozialpolitischen Leitlinien öffentliche Institutionen und Administrationen aller Art strukturiert werden.

Es wäre allerdings auch erstaunlich, wenn in einem Land mit extremer Einkommens- und Vermögenspolarisierung tatsächlich jede Stimme gleiches Gewicht bei der politischen Willensbildung hätte. Verfassungs- und menschenrechtliche Gleichheitsprinzipien mögen den politischen Verkehr erleichtern und die Fensterreden der Repräsentanten politischer Macht verschönern, doch dienen sie in der Eigentumsordnung der kapitalistischen Gesellschaft auch dazu, konkrete Klassenwidersprüche mit hochsymbolischen Mitteln zu befrieden und auszublenden. Dementsprechend wird externe Beratungstätigkeit gerne als technische Expertise verharmlost und als Bearbeitung vermeintlicher Sachzwänge legitimiert, so daß die eminent politische, Klassenantagonismen verschärfenden Wirkung daraus resultierenden Gesetzesinitiativen und Handlungsempfehlungen weitgehend unsichtbar bleibt.

Vor diesem Hintergrund kann die schlußendliche Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Nichtregierungsorganisation Attac durch den Bundesfinanzhof kaum anders denn als Vollzug einer Justiz verstanden werden, der der Erhalt der privatwirtschaftlich organisierten Eigentumsordnung mehr bedeutet als die Herstellung einer sozialen Gerechtigkeit, deren Verwirklichung nicht vor der Überwindung tradierter und etablierter Klassenantagonismen haltmachte. Wenn Attac "Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung" [2] vorgeworfen und damit der gemeinnützige Zweck des Engagements ihrer AktivistInnen negiert wird, dann mag das der formaljuristischen Legitimation der Aberkennung des mit der Gemeinnützigkeit verbundenen Steuerprivilegs Genüge tun. Stellt man diesem Urteil jedoch die politische Macht zahlreicher in Industrie- und Finanzkapital verankerter Stiftungen gegenüber, dann zeigt sich, daß die enge Auslegung der Definition von Gemeinnützigkeit in Paragraph 52 der Abgabenordnung ebensogut zugunsten von Attac hätte verlaufen können.

Nur zwei Tage nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesfinanzhofes hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger, die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unter Berufung auf das Attac betreffende Urteil angezweifelt [3]. Seit Monaten steht die Umwelthilfe im Kreuzfeuer der VerfechterInnen eines motorisierten Individualverkehrs, der sich durch Emissionsgrenzwerte so wenig wie möglich einschränken lassen will. Da die DUH zugunsten der Gesundheit der Bevölkerung, die in Deutschland einer aktuellen Untersuchung zur Folge besonders stark durch verkehrsbedingte Emissionen bedroht ist [4], alle Register des Rechtstaates zieht, lastet man ihr eine unzulässige Politisierung an, wenn nicht ohnehin gleich zu Verschwörungstheorien gegriffen wird. So wird die an den Pranger deutscher Herrenfahrer gestellte Organisation mit eben dem Mittel, dessen mißbräuchliche Anwendung ihr angelastet wird, bedroht und angegriffen. Auf diesem Wege wird der Begriff der Politisierung einem herrschaftsförmigen Bedeutungswandel unterzogen, dessen antidemokratischer Charakter desto weniger auffällt, als die Bezichtigung all jener Menschen, die sich dem Primat der kapitalistischen Verwertungsordnung widersetzen, zur staatstragenden, mithin selbstevidenten Notwendigkeit erhoben wird.

Jenes Ungarn, in dem der im Land gebürtige US-Finanzinvestor George Soros mit kaum verhohlenen antisemitischen Stereotypien der unlauteren politischen Einmischung durch seine Stiftungen bezichtigt wird, scheint nur noch einen Steinwurf weit entfernt zu sein. Wo sich Ministerpräsident Viktor Orban und der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu einig darin sind [5], daß einem Soros, der unter anderem für bedrängte Minderheiten wie die Roma und die Palästinenser eintritt, Einhalt zu gebieten sei, liegt der Griff zu den demagogischen Waffen der antisemitischen und sozialrassistischen Propaganda nahe.

Das ist auch in der Bundesrepublik der Fall, wenn man die Polemik Revue passieren läßt, die in den letzten Monaten auf die Deutsche Umwelthilfe abgefeuert wurde [6]. Hier zeichnen sich soziale Auseinandersetzungen von einer Schärfe ab, die mit dem Bleifuß mancher AutofahrerInnen allein nicht mehr zu erklären ist. Das politische Engagement von Attac firmiert zwar unter dem Stichwort "Globalisierungskritik", doch die erfolgreiche Mobilisierung der NGO für eine kapitalismuskritische Position im Streit für Klimagerechtigkeit könnte den Ausschlag dafür gegeben haben, ihre Handlungsfähigkeit einzuschränken. Wenn etwas für die sozialen Kämpfe der näheren Zukunft relevant ist, dann die Konvergenz von sozialer und ökologischer Frage zu einem Entwurf radikaler gesellschaftlicher Veränderung, die dem galoppierenden Klimawandel vielleicht als einziges überhaupt noch Einhalt gebieten könnte.


Fußnoten:

[1] https://www.matthias-hoehn.de/nc/presse/pressemitteilungen/detail/news/ueber-eine-milliarde-fuer-berater/

[2] https://www.attac.de/presse/detailansicht/news/gemeinnuetzigkeit-bundesfinanzhof-verweist-attac-entscheidung-zurueck-nach-kassel/

[3] https://www.deutschlandfunk.de/nach-attac-urteil-union-stellt-erneut-gemeinnuetzigkeit-der.1939.de.html?drn:news_id=981635

[4] https://www.heise.de/tp/features/Tod-durch-Atmen-4322349.html

[5] https://www.nzz.ch/international/ein-heikler-ungarischer-gast-in-israel-ld.1404667

[6] https://www.jungewelt.de/artikel/344742.dieselskandal-am-pranger.html?sstr=deutsche%7Cumwelthilfe

28. Februar 2019


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