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HERRSCHAFT/1740: Regierungsfähig heißt kriegsfähig - Linkspartei putzt sich heraus (SB)



Regierungsbeteiligung ist nur um den Preis der Regierungsfähigkeit zu haben, die das politische Establishment der Bundesrepublik mit diversen Lackmustests versehen hat. Ausschlußkriterien auf zentralen Feldern wie Arbeitsregime, Innere Sicherheit und insbesondere Kriegführung sollen den Fortbestand der Klassengesellschaft ebenso sicherstellen wie den ungehinderten Ausbau deutschen Vormachtstrebens als Ultima ratio elitärer Überlebenssicherung in einer von ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Krisen erschütterten Welt. Die rot-rot-grünen Ambitionen der Linkspartei auch auf Bundesebene laufen allen Haltelinien zum Trotz zwangsläufig darauf hinaus, die Preisgabe vordem für unverzichtbar erklärter Positionen zum kleineren Übel gegenüber dem andernfalls versäumten Sprung auf die Regierungsbank zu erklären. Von der Sozialdemokratie lernen, heißt umfallen lernen, wozu sich als Begleitmusik demonstratives Zähneknirschen oder beklagenswerte Bauchschmerzen empfehlen. Ob es sich dann um eine Kröte handelt, die man schluckt, oder eher um Karrieren, Pfründe und einen Platz am Katzentisch der Eliten, mit denen man liebäugelt, sei dahingestellt, bleibt es doch unter dem Strich des Verzichts ein und dieselbe Bankrotterklärung.

Macht sich Die Linke damit überflüssig, wie ihr linker Flügel warnt, weil niemand eine zweite Sozialdemokratie braucht? Der tendenzielle Erfolg der Grünen läßt sich nur bedingt als Gegenargument ins Feld führen, weil diese in einer bestimmten historischen Konstellation im Schulterschluß mit der SPD zwei maßgebliche Durchbrüche herbeigeführt haben, welche die Konservativen allenfalls vorbahnen, aber keinesfalls ohne gravierende politische und soziale Reibungsverluste durchsetzen konnten. Den ersten Angriffskrieg unter offener deutscher Beteiligung seit 1945 und die Agenda 2010 samt Hartz IV als von Kapitalseite weithin bewunderten Geniestreich in Sachen Ausbeutung und Befriedung, der die deutsche Vorherrschaft in Europa und darüber hinaus auf den Weg brachte, können sich die Grünen ans Revers heften. Nicht, daß man ihnen die Kollaboration danken würde, sollten sie überflüssig werden, doch wissen sie letzteres mit ihrem Entwurf eines grünen Kapitalismus zur vorgeblichen Rettung des Kapitalverhältnisses als solchem zu verhindern.

Was hätte die Linkspartei zu bieten, das sich mit diesem historischen Beitrag der Grünen zur innovativen Fortschreibung der Herrschaftsverhältnisse vergleichen ließe? Die Preisgabe des Kommunismus, des demokratischen Sozialismus, einer Fundamentalopposition und der unverbrüchliche Verankerung in sozialen Bewegungen an der gesellschaftlichen Basis hilft ihr diesbezüglich nicht weiter, sind das doch Verzichtserklärungen, die ihr abgenötigt wurden, als solle sie sich erst einmal ordentlich die Hände waschen, bis man vielleicht darüber reden könne, ob sie tatsächlich zum Essen eingeladen wird. Die Rechnung, man dürfe das Wahlvolk nicht mit radikalen Forderungen verprellen, kann zumindest befristet auf- oder schiefgehen. Klopft man jedoch ans Tor zur Regierungsbeteiligung, kennt die Einlaßkontrolle kein wetterwendisches Pardon.

Nun schickt Die Linke in einem begrüßenswerten Zug den renommierten Armutsforscher und Agenda-Kritiker Christoph Butterwegge ins Rennen um das höchste Staatsamt. Wenngleich der 65jährige Kölner Politologe nicht den Hauch einer Chance gegen Frank-Walter Steinmeier hat, kann er doch dem Konsenskandidaten der großen Koalition auf bestmögliche Weise ein politisches Signal entgegensetzen. Die vielbeachtete Wahl des Bundespräsidenten am 12. Februar bietet Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß Steinmeier als Architekt von Gerhard Schröders Agenda 2010 für die Zerschlagung des Sozialstaats steht und als SPD-Außenminister Interventionskriege befürwortet.

Mit früheren Verlegenheitskandidaturen der Linkspartei ist Butterwegges Nominierung nicht vergleichbar. Uta Ranke-Heinemann (1999), Peter Sodann (2009), Luc Jochimsen (2010) und insbesondere Beate Klarsfeld (2012) waren Bewerberinnen und Bewerber, die man zumindest in Teilen als gelinde gesagt umstritten bezeichnen muß. Butterwegge war schon 2012 im Gespräch, wollte sich damals aber nicht mit Klarsfeld um die Kandidatur rangeln. Jetzt sei er grundsätzlich bereit, so der im Juli emeritierte Professor, der als Parteiloser antritt. Er wurde 1975 unter dem Vorwurf parteischädigender Kritik aus der SPD ausgeschlossen, weil er dem frisch gewählten Kanzler Helmut Schmidt eine Politik gegen die Interessen der Arbeitnehmer vorwarf. 1987 auf Betreiben seines Juso-Freundes Schröder wieder aufgenommen, kehrte er der SPD 2005 aus Enttäuschung über die große Koalition und die Agenda endgültig den Rücken.

Bei sozialen Themen liegt er mit der Linkspartei auf einer Wellenlänge: Durch die Hartz-Reformen sei die Armut im Land größer geworden, Leistungskürzungen mit dem Ziel sinkender Lohnnebenkosten träfen vor allem die Schwächsten. Hinter der Devise "Sozial ist, was Arbeit schafft" stecke das "Menschenbild einer Sklavenhaltergesellschaft". Diese neoliberale Politik führe zu einem "Paternostereffekt". Die einen fahren nach oben, die andern gleichzeitig nach unten. Seine Gegenvorschläge: höhere Einkommenssteuer, Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Maschinensteuer, "soziale Grundsicherung". [1]

Hingegen zeichnen sich unerfreuliche Tendenzen in der Linkspartei ab, was die Befürwortung einer Militarisierung und Kriegsbeteiligung betrifft. Den Vorreiter spielt wie so oft Stefan Liebich, der als Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuß Trumps Wahlsieg mit den Worten kommentierte, Deutschland und Europa müßten "künftig außenpolitisch stärker, eigenständiger, selbstbewußter auftreten". Es sei "jetzt Schluss mit der Leisetreterei" gegenüber Washington. Wenige Tage später sagte Liebich in der Talkshow "Friedman" zur US-Wahl: "Ich bin für eine europäische Armee - anstelle der nationalen Armee. ... Solange wir noch Armeen brauchen, macht es keinen Sinn, dass wir mehrere Armeen haben. Als Ziel, die nationalstaatlichen Armeen zu überwinden, finde ich das nicht schlimm." [2]

Vor der letzten Bundestagswahl hatte Liebich an dem Papier "Neue Macht, neue Verantwortung" der Stiftung Politik und Wissenschaft (SWP) mitgearbeitet, das die Blaupause für eine deutsche Großmachtpolitik bereitstellt. Als der Bundestag 2014 den Militäreinsatz im Mittelmeer zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen beschloß, stimmte Liebich mit einer Gruppe von fünf Linken-Abgeordneten dafür. In den vergangenen Wochen gaben er und andere führende Linken-Politiker zu verstehen, daß sie in einer rot-rot-grünen Bundesregierung auch andere Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstützen würden.

Sahra Wagenknecht, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, erklärte jüngst in einem Interview der taz: "Zentral für die deutsche Außenpolitik muss jetzt sein, eine eigenständige Politik zu machen, sich aus der Unterwürfigkeit gegenüber den USA zu lösen. Europa darf nicht jede Pirouette, die Herr Trump vielleicht dreht, mitmachen, sondern muss seine eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen." Und der finanzpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Axel Troost, veröffentlichte auf der Website der Linken eine Stellungnahme, die darauf hinausläuft, den Staat zu stärken und den Zustrom der Flüchtlinge zu kontrollieren.

Wenn die Linkspartei ein Regierungsbündnis mit den Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne propagiert und dies mit einem Politikwechsel zu sozialeren und demokratischeren Verhältnissen begründet, ist das schon für sich genommen fragwürdig. Legt man die zitierten Äußerungen prominenter Parteimitglieder nach der Wahl in den USA zugrunde, zeichnet sich eine wachsende Bereitschaft ab, Sozialdemokraten und Grüne bei dem Vorhaben zu unterstützen, dem Anspruch deutscher Hegemonie in allen Belangen zur Durchsetzung zu verhelfen. Fraktionschef Dietmar Bartsch brachte dies folgendermaßen auf den Punkt: Die Linke sei jetzt gefordert und müsse "ausstrahlen, dass ihr politisches Abenteurertum fremd ist".


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/kandidat-fuer-bundespraesidentenamt-linke-will-mit-christoph-butterwegge-ein-zeichen-setzen/14864072.html

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2016/11/19/link-n19.html

19. November 2016


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