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HERRSCHAFT/1698: Links der Linken - Alternativen für ein sozialistisches Europa (SB)




Die ehemalige Parteivorsitzende der PDS und heutige Spitzenkandidatin der Partei Die Linke für die Wahl zum Europaparlament 2014, Gabi Zimmer, repräsentiert in vielerlei Hinsicht die Misere einer parlamentarischen Linken, die sich dem Sog herrschaftskonformer Konsensbildung immer weniger entziehen will. Zimmer war schon in ihrer Zeit als Bundesvorsitzende der PDS zwischen 2000 und 2003 stets darauf bedacht, die Optionen in Richtung SPD offenzuhalten. So kritisierte sie zwar die kriegerische Reaktion der US-Regierung auf die Anschläge des 11. September 2001, sprach sich aber auch für Kommandoeinsätze zur Ergreifung der Täter aus. Die PDS solle sich von vermeintlichen Klischees antiamerikanischer Art verabschieden und realitätstaugliche Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln, lautete Zimmers Antwort schon vor 13 Jahren auf die vielen Fragen, die diese in ihrer blutigen Bilanz allein durch die Kriegführung im Irak zigfach übertroffenen terroristischen Akte aufwarfen.

Innerparteilichen Zusammenschlüssen wie der Kommunistischen Plattform und dem Marxistischen Forum hielt sie vor, mit der Verweigerung der Sozialdemokratisierung der Partei hinter der neuen Konzilianz zurückzubleiben, die für andere kommunistische Parteien in der europäischen Linken längst zur Normalität geworden sei. Aussagen zur Geschichte der DDR, die in ihrer symbolischen Bußfertigkeit deutlich über die notwendige konstruktive Kritik am Realsozialismus hinausgingen, sollten ebenso als Steigbügel für bürgerliche Koalitions- und Salonfähigkeit dienen wie die Parteinahme für antikommunistische Akteure in Lateinamerika. Die Wahl Gabi Zimmers zur Spitzenkandidatin auf dem Parteitag in Hamburg im Februar, wo man sich zudem nicht mehr darauf festlegen wollte, daß die EU "zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht" geworden sei, wie es zuvor noch geheißen hatte, war ein deutliches Signal dafür, daß die von der Parteispitze immer wieder demonstrierte Bereitschaft für eine rot-rot-grüne Koalitionsregierung auch weiterhin von vordringlicher Wichtigkeit ist.

Die Linke zu stärken, indem man sie zugunsten der Kandidatinnen und Kandidaten mit glaubwürdigen sozialistischen Positionen wählt, fällt desto schwerer, je größer das Gewicht zur Wahl aufgestellter Politikerinnen und Politiker ist, die in ihrer sozialdemokratischen Programmatik kaum noch von der Regierungspartei SPD zu unterscheiden sind. Gewählt wird immer die Partei als Ganzes, daher könnte auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, der Linken Druck von links zu machen. Dies gilt gerade für die Wahl zum Europaparlament, sorgt doch die Aufhebung der Sperrklausel dafür, daß Die Linke selbst in dem unwahrscheinlichen Fall eines besonders schlechten Ergebnisses ins EU-Parlament einzöge.

Das Argument, eine Stimme für eine der kleinen linken Parteien sei aufgrund der Tatsache, daß in der Bundesrepublik je nach Wahlbeteiligung mehrere hunderttausend Wähler auf einen Sitz im EU-Parlament entfallen, entwertet, zählt desto weniger, als die Wählerin und der Wähler überhaupt erst auf gesellschaftsverändernde Weise in Erscheinung treten, wenn sie sich auf antagonistische Weise positionieren. Wo die politische Programmatik von vornherein als Verhandlungsmasse in einen Prozeß parlamentarischer Moderation und Nivellierung eingebracht wird, trifft man sich auf dem größten gemeinsamen Nenner des vermeintlich kleineren Übels. Dem Kapitalismus gegenüber unverträglich zu sein, um das Ziel seiner Überwindung nicht aus den Augen zu verlieren, verlangt hingegen nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den Strategien und Mechanismen seiner hochentwickelten Fähigkeit, sozialen Widerstand und oppositionelle Bewegungen durch Beteiligung zu integrieren oder durch Repression mundtot zu machen.

Um sich nicht für Zwecke vereinnahmen zu lassen, gegen die anzutreten das eigentliche Anliegen war, ist die Kritik des Parlamentarismus als eines Mittels zur Befriedung drängender Widersprüche unerläßlich. Konsequente Parteinahme gegen Ausbeutung und Unterdrückung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn Angebote politischer Beteiligung, materieller Vergünstigung und sozialer Anerkennung locken, verlangt mehr als symbolpolitischen Aktionismus und wohlklingende Lippenbekenntnisse. Daß die parlamentarische Einbindung einst linker und sozialistischer Parteien ein höchst wirksames Mittel ist, die Kampfkraft der sie tragenden Basis in sozialen und Arbeiterbewegungen zu zerschlagen, ist wohl eine der am häufigsten wiederholten und dennoch ohne größeren Lerneffekt bleibenden Lektionen revolutionärer Geschichte.

Links der Linken zu wählen, indem etwa für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) oder die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) gestimmt wird, heißt eine Alternative zur Linkspartei aufzubauen, die als Maßstab für die Bereitschaft ihrer linken Wählerinnen und Wähler fungiert, den opportunistischen Reformkurs des allmählichen Aufgebens nur scheinbar verbürgter Positionen antikapitalistischer und antimilitaristischer Art weiter mitzutragen. Wenn einflußreiche Kräfte in der PDL eines vielleicht nicht mehr allzufernen Tages zu fast allem bereit sind, um endlich in der Bundesrepublik anzukommen, dann ist es wichtig, daß der Parteibasis Alternativen offenstehen, anhand derer sich das ursprüngliche Anliegen der Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen ungebrochen weiterverfolgen läßt. Inwiefern dies auch für die immer drängendere Notwendigkeit der Beendigung des Raubbaus an der Natur und andere umkämpfte Bereiche der Daseinsvor- und fürsorge zutrifft, läßt sich anhand der Wahlprogramme der DKP und PSG [1] und Publikationen wie der DKP-Wochenzeitung UZ oder der World Socialist Web Site überprüfen.

Links der Linken zu wählen heißt auch, der um sich greifenden Annahme, es spiele keine Rolle mehr, ob jemand rechts oder links sei, wenn er oder sie nur gegen den Krieg demonstriere, durch klare Parteinahme entgegenzutreten. Das Gegenteil ist der Fall - wie die Reden bekannter Sozialchauvinisten auf den neuen Montagskundgebungen überzeugend demonstrieren, öffnet der Verzicht auf antikapitalistische Analyse und Kritik einer oberflächlichen Geschichtsvergessenheit Tür und Tor, so daß sich der deutsche Imperialismus in sein unauffälligstes Kleid, das des angeblichen Opfers der übermächtigen USA, werfen kann. Die von den sogenannten Montagsdemonstrationen ausgehende Ignoranz gegenüber den Interessen des in Deutschland angesiedelten Kapitals wie der sozialrassistischen Ausgrenzungsideologie seiner bürgerlichen Eliten macht diese zu einem idealen Werkzeug der Abwicklung verbliebener Potentiale emanzipatorischer und radikaler Kritikfähigkeit.

Kleinen Parteien, bei denen jede Stimme einfach deshalb doppelt und dreifach zählt, weil sie wenige bekommen, eine Chance zu geben, ihre wertvolle Arbeit bei der Aufklärung und Mobilisierung der Bevölkerung fortzusetzen, ist politisch zumindest nicht unklüger, als eine postmoderne "Mosaik-Linke" in ihrer Ansicht zu bekräftigen, daß der Kampf ums Ganze nicht etwa nur verloren ist, sondern es einen solchen nie gab. So begründet die identitätspolitische und partikuläre Fragmentierung politischer Kämpfe von der jeweiligen Sache her sein mag, so sehr schwächt sie den Aufbau einer gesellschaftlichen Basis, die kommenden Gefahren wie der Verschärfung der Gangart der NATO gegen Rußland, der Entdemokratisierung der Gesellschaft durch deren weitere, derzeit per TTIP forcierte Ökonomisierung und der durch die systematische Vertiefung sozialen Elends bedingten Entsolidarisierung ihrer besonders leidgeprüften Gruppen wirksam entgegentreten kann.

Die Wahlen zum EU-Parlament sind nicht zuletzt eine Gelegenheit, die Debatte um die Zukunft der Europäischen Union nicht Rechtspopulisten und Nationalisten zu überlassen. Die von der EU-spezifischen Variante neoliberaler Globalisierung besonders betroffenen Menschen haben allen Grund dazu, dem Angriff auf ihre Lebensverhältnisse nicht, wie beabsichtigt, durch die Vertiefung der sozialen Konkurrenz untereinander zu entsprechen. Nur wenn ihnen der klassengesellschaftliche Charakter dieses Affronts klar wird, sind sie in der Lage, die ethnisch-kulturalistische Suggestion, der andere Hungerleider sei am eigenen Elend schuld, zu durchschauen. Vor deutlicher Kritik an der EU und der Rolle Deutschlands als ihrem Hegemon zurückzuscheuen, weil dies zu mißliebigen Verwechslungen führen könnte, ist eine Folge des Austauschs überprüfbarer politischer Positionen durch den roten Schein symbolpolitischer Hohlheit. Nur aus oberflächlicher Sicht kann es überhaupt eine Ähnlichkeit zwischen linker und rechter EU-Kritik geben. Wer der Aggressivität dieser Verdächtigung durch defensives Taktieren entspricht, tut alles dafür, dieser Bezichtigung Nahrung zu geben.


Fußnoten:

[1] Programm der DKP für die Wahl zum Europaparlament 2014
http://news.dkp.de/2014/02/programm-der-dkp-fuer-die-wahl-zum-europaparlament-2014/

Europawahlerklärung der PSG
http://www.gleichheit.de/resolutionen/wahlerklaerung2014/


Beiträge zur Debatte um eine linke Kritik an der EU im Schattenblick:

BERICHT/010: Links der Linken - Internationalismus und Antikapitalismus vs. EU und Euro (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0010.html

BERICHT/011: Links der Linken - Euro, Wettbewerb und Armut (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0011.html

BERICHT/012: Links der Linken - EU solidar (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0012.html

BERICHT/013: Links der Linken - Keine Kompromisse (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0013.html

19. Mai 2014