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HERRSCHAFT/1660: Occupy Frankfurt ... von der Austreibung störenden Protestes (SB)




Die Exekution bürgerlichen Rechts duldet keinen Widerstand. So erfolgte die Räumung des Frankfurter Occupy-Camps, noch bevor die dort lebenden Menschen etwas von der Entscheidung des Frankfurter Verwaltungsgerichts erfahren hatten. Das quittierte den Eilantrag der Aktivistinnen und Aktivisten gegen ein Verbot ihres Lagers mit einer die Machtverhältnisse in der Stadt einmal mehr adäquat reflektierenden Auslegung des Versammlungsrechts. Eine dauerhafte Besetzung der Grünanlage sei durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unter anderem deshalb nicht gedeckt, weil die Bewohner des Zeltlagers kein gemeinsames Ziel erkennen ließen. Weil sich dort auch "Ausländer, Obdachlose, Drogenabhängige" [1] aufhielten, sei der gemeinsame Zweck einer Versammlung nicht mehr gegeben, meinten die Richter und schlossen sich damit einer Kampagne der Frankfurter Lokalpresse an, die seit Wochen Stimmung gegen das Camp machte. Hygienisch unhaltbare Zustände, Ratten und Rumänen - so in etwa die Zusammenfassung dessen, was den Ärger der Bürger zwecks Beseitigung seines Anlasses schüren sollte.

So siegte der Ruf nach Recht und Ordnung über einen Protest, der als kleiner, aber sichtbarer Kontrapunkt in unmittelbarer Nähe der EZB-Zentrale symbolisierte, was die herrschenden Verhältnisse so kritikwürdig macht. "Das Gericht folgte der städtischen Argumentation, dass Zelte nicht zur Meinungsäußerung beitragen, und dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht bedeute, fremdes Grundeigentum nach Gusto in Anspruch zu nehmen" [2], berichtet die in ihrer Eigenschaft als Zentralorgan deutscher Finanzwirtschaft und bundesweit gelesene Tageszeitung aus der Mainmetropole auf doppelte Weise von der Existenz des Occupy-Lagers betroffene FAZ. Wie es sich für eine liberale Stimme gehört, neigt Kommentator Peter Lückemeier keinesfalls zu platter Apologie derjenigen Interessen, die seine berufliche Existenz letztinstanzlich garantieren. Er macht sich vielmehr Sorgen darüber, daß der durchaus zugestandenen Triftigkeit der Occupy-Kritik durch ein unansehnliches Lager mehr geschadet als genützt würde:

"Das Häufchen aus Zelten und Dreck hatte schon lange seine innere Begründung, seine inhaltliche Legitimation verloren. Als die Zelte gestern geräumt wurden, waren gefühlte zehn bis zwanzig Leute von Occupy identifizierbar, die anderen waren Sinti und Roma, Obdachlose und Punks, deren inhaltliche Beschäftigung mit den Zielen der Bewegung nicht übermäßig intensiv ausgefallen sein dürfte. Nein, was da zwischen Oper, EZB und dem Euro-Zeichen hauste, hat Occupy zuletzt keine Sympathien mehr eingetragen, sondern der Sache nur geschadet." [2]

Dem Urteil des Gerichts entsprechend, daß es der Mehrzahl der Campbewohner nur mehr "um die Befriedigung individueller Bedürfnisse wie Finden einer Schlafstatt und Versorgung mit Nahrungsmitteln" [1] ginge, wird voneinander separiert, was nicht zusammengedacht werden darf. Die gesellschaftliche Wirklichkeit von Migrantinnen und Migranten, von Wohnungslosen und durch den Rost erwerbsabhängiger Reproduktion gefallener Jugendlicher wird als soziale Delinquenz gebrandmarkt, die im Karree blankpolierter Glas-, Stahl- und Betonfassaden, als die die Unberührbarkeit der Eigentumsordnung architektonisch Gestalt annimmt, nicht deplazierter sein könnte.

Die Unterstellung, daß zwischen der Befriedigung existentieller Primärbedürfnisse und der Artikulation sozialen Widerstands Welten lägen, ist einem Kodex politischer Repräsentanz geschuldet, der die Sprach- und Gesichtslosen nicht nur ausgrenzt, sondern in ihrer Unsichtbarkeit produziert. Nicht stattfinden soll die Politisierung dort, wo sie am meisten erforderlich ist, am unteren Ende der gesellschaftlichen Hackordnung, wo die Menschen ihrer alltäglichen Ohnmacht schon deshalb nicht entkommen, weil sich ihre materielle Armut auch als kulturelle Benachteiligung auswirkt. Kein Mensch ist dafür verantwortlich, in welche sozialen Verhältnisse er geboren wird, aber jeder hat alles Recht der Welt darauf, sich denjenigen gegenüber zu emanzipieren, die ihn aufgrund seiner Herkunft zu einem Leben in Armut und Unmündigkeit verurteilen wollen.

Was auf alle Fälle verhindert werden soll - und das ist der Zweck des sozialrassistischen Tenors, mit dem keineswegs nur die Bild-Zeitung aufwartet -, ist eine Politisierung von unten ohne diejenige Kontrolle, die in der vertikal geordneten Welt durch Instanzen ausgeübt wird, die einschließen, was sich unterwerfen und integrieren läßt, oder ausgrenzen, was sich als unbestechlich erweist. Die Occupy-Bewegung hat sich nicht umsonst jeder Hierarchisierung ihrer Strukturen verweigert, wohlwissend, daß die Etablierung von Bewegungsmanagern und die Ausbildung institutionalisierter Strukturen ihrem Widerstand nimmt, was seine Authentizität und Streitbarkeit ausmacht.

Man möchte in den sozialstrategisch hochorganisierten Metropolengesellschaften Westeuropas und Nordamerikas nicht damit konfrontiert werden, daß sich eine Bewegung Bahn bricht, die dem monolithischen Charakter der Herrschaftsicherung in der Einseitigkeit und Parteilichkeit des dagegen gerichteten Widerstands adäquat Paroli bietet. Der schwärende Konflikt inmitten prallen Wohllebens soll allemal soziologisch untersucht und kulturindustriell verarbeitet werden, das erhöht den Genuß derjenigen, die ihm nicht auf der Seite des Mangels und der Repression ausgesetzt sind. Mit der ungestalten und unansehnlichen, von Elend und Not zerrissenen Subjektivität der Outer-Class direkt zu tun zu bekommen, indem man ihre selbstorganisierte Präsenz im öffentlichen Raum nicht verhindert, ihre zum Chor vereinte Stimme nicht der Zensur des Ordnungsrechts unterwirft und ihre improvisierte Gemütlichkeit und Geselligkeit nicht dem bourgeoisen Ekel aussetzt, dem Müll und Ratten Vorwände zur Dehumanisierung wirksamen Protests sind, hieße, sich an die Front dieses Konflikts ohne Schutz und Vermittlung durch die Agenturen sozialer Atomisierung zu wagen.

Kurz gesagt, der verächtliche Tenor in der Berichterstattung über das Frankfurter Occupy-Camp ist Inhalt bürgerlicher Klassenherrschaft und nicht dem Unbehagen ob angeblicher Mißstände geschuldet, die bei gutem Willen, so sie in der beschriebenen Form tatsächlich vorhanden waren, ohne Räumung des Camps hätten beseitigt werden können. Vertrieben werden sollten die Menschen, die es bewohnten, die durch ihre solidarische und kommunikative Offenheit [3] wie durch ihre desolate Lebenspraxis die Dringlichkeit ihres politischen Anliegens verkörperten. Indem die FAZ den Occupy-Aktivistinnen und -Aktivisten anhand sozialchauvinistischer Kriterien die Legitmität ihres Protestes abspricht und das Lager als bloßes Rudiment eines einst hoffnungsvollen Aufbruchs darstellt, verkehrt sie das Occupy-Motto von den 99 Prozent zum Anspruch einer schweigenden Mehrheit auf Friedhofsruhe und Staatsräson. Mit der Logik statistischer Mehrheiten wird eine Unveränderlichkeit herrschender Verhältnisse geltend gemacht, der gegenüber die Überwindung der Ohnmacht bloße Utopie sei. Nicht mehr über den eigenen Tellerrand zu schauen, den andern ungerührt vor die Hunde gehen zu lassen und den Streit ums Ganze dem Kalkül des kleineren Übels zu opfern - Bescheidenheit ist nicht nur eine Zier, sondern erste Bürgerpflicht im Schatten der Türme, in denen über Wohl und Wehe ganzer Bevölkerungen befunden wird.

Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/entscheidung-occupy-frankfurt-muss-das-zeltlager-aufgeben/v_detail_tab_print/6967834.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kommentar-zur-raeumung-gut-so-auch-fuer-occupy-11846452.html

[3] http://www.taz.de/Gerichtsbeschluss-zu-Occupy-Frankfurt/Kommentare/!c98994/

8. August 2012