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HERRSCHAFT/1589: Hamburger Wahltriumph eines sozialdemokratischen Technokraten (SB)



Mit Olaf Scholz hat ein Politiker die Hamburger SPD zu einem triumphalen Sieg bei der Bürgerschaftswahl geführt, der die technokratische Regulation im Kontext sozialdemokratischer Herrschaftssicherung verkörpert wie kaum ein anderer führender Repräsentant seiner Partei. Während seiner Zeit als Generalsekretär der Bundes-SPD nannte man ihn angesichts der unterkühlten Zielstrebigkeit in Verfolgung seiner Ziele "Scholzomat". Womöglich hat diese völlige Abwesenheit von Charisma und Emotionen dazu beigetragen, daß vielen Hamburgern die Erinnerung abhanden gekommen zu sein scheint, wen sie zum allein regierenden Ersten Bürgermeister gewählt haben.

Olaf Scholz gehört mit Peter Hartz und Wolfgang Clement zu den drei berüchtigten Vordenkern von Hartz IV, dem Synonym sozialer Grausamkeit der gegenwärtigen bundesrepublikanischen Gesellschaft. Peter Hartz ist mit der nach ihm benannten Reform des Arbeits- und Sozialhilfegesetzes als prominenter Protagonist einer radikalen Abkehr von sozialstaatlichen Errungenschaften in die jüngere Geschichte eingegangen. Der frühere Arbeitsminister Wolfgang Clement hat die Agenda 2010 maßgeblich implementiert und ideologisch zementiert. Olaf Scholz hat nicht zuletzt im Amt des Arbeitsministers dafür gesorgt, daß das Versprechen der SPD Schall und Rauch blieb, sie werde eine glaubhafte Überprüfung der Hartz-IV-Regelsätze einleiten.

Doch nicht nur in der Bundespolitik hat Scholz eine Vergangenheit, die angesichts der absoluten Mehrheit der von ihm geführten Hamburger SPD beim aktuellen Urnengang an ein an Amnesie grenzendes Phänomen der hanseatischen Wählerschaft denken läßt. Im Juli 2001 führte er während des Bürgerschaftswahlkampfs als Innensenator die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln als reguläre Maßnahme der Strafverfolgung in Hamburg ein. Auch der Tod des 19jährigen Achidi John (Michael Nwabuisi), der an den Folgen dieser Maßnahme im Dezember 2001 starb, bewegte den damaligen Innensenator nicht zum Einlenken. Als Parteichef der Hamburger SPD schrieb Scholz im Oktober 2003 den Brechmitteleinsatz sogar im Sofortprogramm zur Bürgerschaftswahl 2004 fest. Die Hamburger Ärztekammer hatte bereits im Oktober 2001 die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln abgelehnt, da es dabei zu einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung des Betroffenen kommen könne. Sie wiederholte später ihre Kritik an dieser Maßnahme, in der sie Risiken für Gesundheit und Leben wie auch eine Verletzung der Menschenwürde sieht. Im Juli 2006 verurteilte schließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den deutschen Brechmitteleinsatz als menschenrechtswidrig.

Wie ein Blick auf den politischen Werdegang des neuen sozialdemokratischen Hoffnungsträgers zeigt, ist ein ausgeprägter Instinkt für erfolgversprechende Seilschaften, machtbewußte Anpassungsmanöver und Entsorgung dabei hinderlicher Überzeugungen das hervorstechende Wesensmerkmal hinter dem nichtssagenden Profil eines grauen Administrators. Nach seinem Parteieintritt 1975 engagierte er sich zunächst bei den Jusos, deren stellvertretender Bundesvorsitzender er von 1982 bis 1988 war. Während seiner Zeit als Jungsozialist unterstützte er den Stamokap-Flügel der Juso-Hochschulgruppen und soll - wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hämisch schrieb - nach Aussage eines früheren Weggefährten ein Apparatschik gewesen sein, der wie versteinert zuhörte und den Genossen anschließend in langatmigen Reden die wahre Lehre einzutrichtern versuchte. Scholz habe die steilste Karriere gemacht, die in den achtziger Jahren für einen Stamokap möglich war, und könne heute über den "fachlichen und sachlichen Schwachsinn" seiner damaligen Thesen lachen, so die FAS. Als Scholz 1998 direkt in den Bundestag gewählt wurde, habe er ausdrücklich alte Feinde aus Juso-Tagen um parlamentarischen Rat gebeten, die angenehm verblüfft über den gewandelten Olaf gewesen seien.

Eine Führungsposition bei den Jungsozialisten als Sprungbrett für eine rasante Parteikarriere zu nutzen, ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal des künftigen Hamburger Regierungschefs. Man denke nur an Gerhard Schröder, dem Olaf Scholz vom 20. Oktober 2002 bis 21. März 2004 als Generalsekretär der SPD so eng zur Seite stand, daß er nach dessen Rücktritt als SPD-Vorsitzender ebenfalls sein Amt niederlegte. Auf Grund seiner Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzler und seines Einsatzes für dessen fatale Reformpolitik rechnete man Scholz lange Zeit dem Kreis der "Schröderianer" zu.

Scholz hat auf vielen innerparteilichen Hochzeiten getanzt und diverse Ämter an Schlüsselstellen bekleidet, so daß seine aktuelle Positionierung an der Spitze der Hamburger Bürgerschaft keinesfalls als absteigender Ast seiner Politikerlaufbahn interpretiert werden kann. Er war unter anderem Landesvorsitzender der SPD in Hamburg (2000 bis 2004), gehört seit 2001 dem SPD-Bundesvorstand an, war Generalsekretär der SPD auf Bundesebene (2002 bis 2004), Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion (Oktober 2005 bis November 2007) und Bundesminister für Arbeit und Soziales (21. November 2007 bis 28. Oktober 2009). Am 22. Oktober 2009 wählte ihn die SPD-Bundestagsfraktion zu einem ihrer neun stellvertretenden Vorsitzenden und seit 6. November 2009 ist er Vorsitzender der Hamburger SPD.

Seine Stammwählerschaft besitzt er in der Hansestadt, wo niemand ernsthaft vor seiner Wiederkehr, diesmal im Amt des Ersten Bürgermeisters, mit Blick auf seine Vergangenheit ernsthaft gewarnt hat - bis auf die Linkspartei. Diese ist mit demselben Ergebnis wie vor drei Jahren gewählt worden und hat damit alle Kritiker Lügen gestraft, die ihr in der Kontroverse um die Kommunismusdebatte höhnisch den Untergang prophezeit hatten. Als Die Linke das erste Mal in die Hamburger Bürgerschaft gewählt wurde, geschah dies im Zuge der Westausdehnung der jungen Partei, die damit einen von vielen Erfolgen feierte. Diesmal mußte die Hamburger Linke allen voran im Superwahljahr ihren Platz verteidigen, wobei sie unter dem Druck der Befürchtung in den eigenen Reihen oder Hoffnung in Kreisen ihrer zahlreichen Gegner stand, eine Niederlage könnte das sukzessive Ende einer gesamtdeutschen Linken einleiten.

Wenn nun allenthalben zu hören ist, die Kommunismusdebatte habe der Hamburger Linkspartei nicht geschadet, weil die Wähler vor allem kommunalpolitische Anliegen im Sinn gehabt hätten, ist dies eine Interpretation, die vom Kern der Sache abzulenken versucht. Angesichts wachsender Armut in der Hansestadt, deren Reichtum in ausgeprägtem Maße einer klassenbewußten Elite zugute kommt, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen, daß viele Wähler gute Gründe hatten, dieser Partei gerade wegen ihrer Positionierung im gesellschaftlichen Grundwiderspruch die Stimme zu geben.

21. Februar 2011