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HERRSCHAFT/1579: Brisanz der Palestine Papers im Kontext der aktuellen Revolte (SB)



Die Veröffentlichung der Palestine Papers steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sturz des Regimes in Tunesien und den Aufständen in Ägypten, Algerien und anderen Ländern der arabischen Welt. Damit sehen sich die einheimischen Eliten ebenso in ihrer Herrschaft bedroht wie die Regierungen der westlichen Staaten, die ihre Zugriffssicherung unter Indienstnahme kollaborierender Führungsschichten betreiben. Schlagen die ausbrechenden Sozialkämpfe einer unterdrückten und verelendeten Bevölkerung in eine antikapitalistische und antiimperialistische Stoßrichtung um, wäre dies ein Szenario, das den gesamten Nahen Osten, der bislang ein Spielball der USA und ihrer europäischen Verbündeten war, deren Dominanz entreißen könnte. Wanken und stürzen die Machthaber in Tunis, Kairo und anderen Hauptstädten der Region, müssen sich die westlichen Mächte notgedrungen auf die Strategie verlegen, die Revolte auszubremsen, indem sie aus ihrer Sicht akzeptable und kontrollierbare Kräfte unterstützen und in prominente Positionen manövrieren.

Die aktuellen Enthüllungen über die Teilhaberschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit dem israelischen Besatzungsregime sind daher von außerordentlicher Brisanz, setzen sie doch die Zusammenarbeit arabischer Führungsschichten mit Israel, den USA und den Europäern auf die Tagesordnung. Wenngleich diese Statthalterschaft nationaler Eliten in Erfüllung imperialistischer Interessen und ihre Partizipation an der Unterjochung und Ausplünderung der Bevölkerungsmehrheit kein Geheimnis sind, könnte sich die Konfrontation mit den finsteren Details doch zu einem Zündfunken auswachsen, der das Gefüge der Repression mit für die Machthaber und die sie unterstützenden Kräfte sprengt.

Die unter den Palästinensern lange Zeit fest verankerte PLO setzte zu Zeiten des kalten Krieges auf die internationale Konfrontation der Systeme und die Unterstützung durch die Sowjetunion. Sie zahlte dafür den hohen Preis strikter Neutralität hinsichtlich der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den arabischen Staaten, der in die Abkehr von einer antikapitalistischen Zielsetzung mündete. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem proklamierten Sieg der westlichen Wirtschaftsordnung drängten sich zahlreiche Regimes der arabischen Welt eng um die westlichen Mächte und hielten den Kampf der Palästinenser nur noch als Feigenblatt vor.

In den Palästinensergebieten richtete sich die Rebellion der ersten Intifada nicht nur gegen die israelische Besatzung, sondern auch die Führung der PLO, die das Projekt einer Staatsgründung zur Konsolidierung ihres Machterhalts gefährdet sah. Der zunehmend reaktionäre Kurs der PLO wurde vorerst von Yassir Arafat gebremst, der schließlich in Ramallah nur noch ein Gefangener war und im November 2004 unter ungeklärten Umständen starb. Damit war der Weg frei für Mahmoud Abbas, der die Kollaboration der palästinensischen Führung derart forcierte, daß die US-Regierung auf ihn als einzig akzeptablen Gesprächspartner bestand. [1]

Im Laufe der Jahre wuchs die heimliche Zusammenarbeit der Palästinensischen Autonomiebehörde mit der Armee und den Geheimdiensten Israels wie auch den entsprechenden Diensten der westlichen Mächte immer enger zusammen. Im Jahr 2009 teilte die PA dem US-Sonderbeauftragten George Mitchell mit, wie entschlossen sie im Westjordanland gegen die Hamas und andere militante Organisationen vorgegangen war: Man habe 3.700 "Mitglieder bewaffneter Gruppen" verhaftet, 4.700 Personen "vorgeladen und verhört" und mehr als 1.100 Waffen sichergestellt. Und im September 2009 versicherte Chefunterhändler Saeb Erekat dem US-Unterhändler David Hale: "Wir mußten Palästinenser töten, um die Autorität, die Waffengewalt und die Herrschaft des Gesetzes in einer einzigen Hand sicherzustellen." [2]

Im März 2008 hatte die israelische Außenministerin Tsipi Livni unterstrichen, wie gut die Kooperation mit den Sicherheitskräften der PA inzwischen funktioniere: "Im Westjordanland ist die Lage besser unter Kontrolle, weil wir da sind ... und zusammenarbeiten." Der Chef der Palästinenserpolizei, Hazem Atallah, stieß ins selbe Horn, als er sich härtester Repression gegen radikale Kräfte rühmte: "Das ist die Art und Weise wie sie lernen, die Autorität der palästinensischen Sicherheitskräfte zu respektieren. Ich verstehe die Menschenrechte, aber dies ist nicht die Schweiz."

Anmerkungen:

[1] The Palestine papers and the dead-end of nationalism (26.01.11)
World Socialist Web Site

[2] Leaked papers reveal close intelligence and security co-operation between two sides in Middle East conflict (26.01.11)
The Guardian

28. Januar 2011