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HERRSCHAFT/1566: Am Beispiel WikiLeaks ... mediale Kapitalmacht reklamiert Deutungshoheit (SB)



Man muß nicht gleich so weit gehen, den Kopf des WikiLeaks-Gründers Julian Assange zu fordern, wie es einige US-Politiker tun. Auch wenn die Mentalität des Targeted Killings sich unaufhaltsam in zivilgesellschaftliche Bereiche vorarbeitet, verlegt sich das Gros der politischen und publizistischen Funktionseliten bislang auf die Devise, daß über die Bestrafung noch debattiert werden muß. In jedem Fall handle WikiLeaks unverantwortlich, wenn es der weltweiten Öffentlichkeit unautorisiert Regierungsdokumente in großer Zahl zugänglich macht, lautet die vorherrschende Meinung in den Talkshows und Diskussionsrunden. Bei einzelnen Fällen von Korruption oder Machtmißbrauch sei dieser irreguläre Weg durchaus in Ordnung, geben liberale Journalisten zu verstehen. Dies in großem Stil mit zumindest teilweise unter Geheimschutz stehenden Dokumenten zu tun könne jedoch unkalkulierbare, ja sogar lebensbedrohliche Folgen haben, so der häufig zu vernehmende Einwand, mit dem schlicht ignoriert wird, daß wirklich sicherheitsrelevante Regierungsinformationen auch in Washington nicht von niedrigen Chargen massenhaft auf einen USB-Stick gezogen werden können.

Das Insistieren beruflich mit der Analyse, Bewertung und Verbreitung politischer Informationen befaßter Personen auf den regulären Verbreitungsweg ist der beanspruchten Sorge bestenfalls zum Teil geschuldet. Viel bedeutsamer scheint der Anspruch auf alleinige Zuständigkeit für die Formierung der öffentlichen Meinung zu sein. Mit dem aus der Debatte um das Verhältnis zwischen professionellen Medienarbeitern und sich aus eigenem Interesse heraus ins politische Zeitgeschehen einmischenden Bloggern und Online-Kommentatoren vertrauten Argument, der informierte Bürger bedürfe der sach- und fachkundigen Expertise des ausgebildeten Journalisten, um sich in der immer komplexer werdenden Welt zurechtzufinden, wird zuersteinmal ein Monopolanspruch artikuliert.

Das ist in Anbetracht der schwieriger gewordenen Verwertungsmöglichkeiten kommerzieller Medienprodukte verständlich. In Anbetracht des machtopportunen Charakters der in Anspruch genommenen Deutungshoheit gelingt es aber kaum, über die engen Grenzen eines Journalismus hinwegzutäuschen, dessen Akteure ihre Produktivität in enger Kollaboration mit Interessen entfalten, die einer aufklärerischen und emanzipatorischen Gesellschaftskritik im Wege stehen. Als Angestellte von Verlagskonzernen mit zum Teil expliziten redaktionellen Leitlinien, die die Mitarbeiter auf bestimmte außen- und gesellschaftspolitische Ziele verpflichten, oder impliziten Forderungen, kritikwürdige Anzeigenkunden nicht zu verärgern, die Zielgruppe nicht vor den Kopf zu stoßen oder wertvolle Quellen in Politik und Wirtschaft nicht zu beschädigen, sind sie Zwängen ausgesetzt, die sich in einer paßförmigen Relativierung notwendiger Kritik oder gar ihrer antagonistischen Elimination niederschlagen.

In einem vom akademischen Prekariat überlaufenen Erwerbsleben ist eine feste Stelle bei einem großen Pressorgan oder Sender Gold wert. Im Ernstfall riskiert man den Job nicht aus Gewissensgründen, sondern paßt sich den Umständen an und dissoziiert das ideelle Anliegen von der beruflichen Praxis. Man kann es sich auch leichter machen und von vornherein die erfolgversprechende Weltanschauung adaptieren. Wer herrschaftskritische, antikapitalistische und antimilitaristische Auffassungen vertritt, braucht bei den meisten Redaktionen gar nicht erst anzutreten. In Anbetracht des großen Überangebots von Journalisten, die eine feste Stelle suchen, ist die politische Einstellung der persönlichen Karriereplanung zu unterwerfen. Der von diversen bekannten Pressevertretern, die einst in der radikalen Linken zuhause waren, vollzogene Wandel ihrer politischen Position ins glatte Gegenteil legt beredtes Zeugnis von dieser Praxis ab.

In einer Gesellschaft, in der die sozialrassistischen Botschaften eines Thilo Sarrazin Rekordauflagen generieren, in der die Verachtung der Verlierer ein vorzeigbares bourgeoises Distinktionsmerkmal ist und man sich einig darüber ist, daß Deutschland endlich wieder in Landserstiefeln durch alle Welt marschieren soll, kann es nicht erstaunen, daß neofeudaler Standesdünkel den Ton im Feuilleton angibt und zivilisatorische Suprematie aus vielen Kommentaren schallt. Wer sich ein Bild davon machen möchte, mit welcher Unverblümtheit heute in den Zentralen großer Verlagskonzerne zum Halali auf alles geblasen wird, was nicht dem neokonservativen Freiheitspathos huldigt, und das sind keineswegs nur Islamisten, dem ist der Meinungsbeitrag des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, unter dem Titel "Der Westen und das höhnische Lachen der Islamisten" [1] zur Lektüre zu empfehlen. Hier wird der feindselige Ungeist, der nicht nur die Redaktionen dieses Presseimperiums durchweht, exemplarisch ausformuliert und demagogisch auf den Punkt seiner Unversöhnlichkeit gebracht.

Diese die herrschenden politischen Verhältnissen affirmierende und legitimierende Konsensproduktion gilt es im Sinn zu haben, wenn etwa der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok zum Thema WikiLeaks fordert, man dürfe "diesen unverantwortlichen gesetzeswidrigen Veröffentlichungen nicht nachgeben" und sollte angesichts der neuen Verbreitungsmöglichkeiten elektronischer Medien darüber nachdenken, "wie das in Zukunft vermieden werden kann". Brok, ein als Senior Vice President Media Development der Bertelsmann AG hochrangiger Vertreter medialer Konzernmacht, will den "Gegnern westlicher Politik" keinesfalls autonome Möglichkeiten der politischen Einflußnahme zugestehen und verlangt daher eine restriktive Reglementierung der politischen Berichterstattung [2].

Eine derartige Reglementierung hat im Fall der WikiLeaks-Enthüllungen bereits stattgefunden. Daß deren erste Welle die Konfliktlage im Nahen und Mittleren Osten eher verschärft denn entspannt, ist Ergebnis der willkürlichen Selektion und Interpretation des US-Regierungsmaterials durch die fünf damit betrauten internationalen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine [3]. Diese erfolgte, wie Holger Stark von der Hauptstadtredaktion des Spiegel in einer Diskussion des Deutschlandfunks berichtet, nicht zuletzt auf Betreiben seines Blattes. Im Juni hätten Spiegel-Redakteure bei einem Treffen mit Julian Assange, bei dem es um die Veröffentlichung der Afghanistan betreffenden Dokumente der US-Streitkräfte ging, darauf gedrängt, daß WikiLeaks den Plan, das Material völlig unbearbeitet zu veröffentlichen, aufgibt. Der Spiegel wolle nicht Leib und Leben von Informanten riskieren, die mit den amerikanischen Streitkräften zusammenarbeiteten. Daraufhin habe WikiLeaks einen ausführlichen redaktionellen Bearbeitungsprozeß dieser Dokumente eingeleitet und sicherheitsempfindliche Stellen geschwärzt. Bei der anschließenden WikiLeaks-Aktion, den Irakkrieg betreffenden US-Dokumente zu veröffentlichen, wären dann nicht nur Personennamen, sondern auch Ortsangaben oder GPS-Koordinaten geschwärzt worden, freut sich Stark, der im aktuellen Fall "Cablegate" die Definitionsmacht der fünf Zeitungen bestätigt, die die US-Diplomatenpost vorab zur Auswertung erhielten:

"Bei den diplomatischen Depeschen, über die wir jetzt reden, ist es so, daß WikiLeaks sich richtig einen Schritt zurückgenommen hat und von sich aus gar nichts dokumentiert. Im Moment werden die Kabel veröffentlicht, die (die) Medien Spiegel, Guardian, New York Times, El Pais und Le Monde inhaltlich ausgewertet haben. WikiLeaks hat dieses Material bislang nicht ins Internet gestellt. WikiLeaks hat, wenn man so möchte, vor dieser großen Herkulesaufgabe der Analyse, des Durcharbeitens dieses Materials kapituliert und es in die Hände von Medien gelegt, die, glaube ich, weltweit zu den renommiertesten gehören und die einen sehr verantwortlichen Umgang damit pflegen. Insofern betrachte ich das im Moment auch als eine Sternstunde des Journalismus, weil es eben nicht einfach der Whistleblower ist, der das Material eins zu eins ins Netz stellt, sondern weil es inhaltlich aufbereitet wird von Leuten, die sich damit Tag für Tag professionell beschäftigen." [4]

Der Triumph gutbezahlter Professionalität über das kolportierte Schreckensbild einer unregulierten Verbreitung von Regierungsdokumenten ist dem Sieg der formierten Meinung über die Gefahr geschuldet, daß die kritische Auswertung des Materials durch Menschen, die allen Grund dazu haben, gegen die sie zwingenden und nötigenden Bedingungen vorzugehen, Ergebnisse zeitigen könnte, die dem Hegemonialstreben der USA und ihrer Verbündeten abträglich sind. Es ist schlicht unglaubwürdig, wenn Der Spiegel verantwortungsvollen Journalismus für sich reklamiert, während seine außenpolitisch in großen Zügen neokonservative Publizistik keineswegs von der Sorge um die Menschen getrieben wird, die er ins Visier seiner häufig hämischen bis verächtlichmachenden Berichterstattung und Kommentierung nimmt.

Der nun um die freie Veröffentlichungspraxis im Internet entbrannte Kampf kommt dem Kartell aus medialer Kapitalmacht und politischer Exekutivgewalt allemal gelegen. Das zeigt die Vehemenz, mit der er geführt wird, obwohl die Vereinnahmung der WikiLeaks-Veröffentlichungspraxis durch professionelle Akteure im mindesten Fall zur Schadensbegrenzung beigetragen, den Einbruch in die diplomatische Geheimhaltungspraxis eher sogar in einen Vorteil für die angeblich geschädigte US-Regierung verwandelt hat. Hinter den im Mittelpunkt stehenden internationalen Beziehungen Washingtons geht es um die grundsätzliche Frage, wie weit demokratische Partizipation reichen darf. Daß diese Frage überhaupt als eine des Erlaubens oder Verbietens gestellt und von den Funktionseliten mehrheitlich auf restriktive Weise beantwortet wird, ist der Apologie des Kernwiderspruchs liberaler Demokratie, der für sie konstitutive Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung, geschuldet.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/debatte/article11148187/Der-Westen-und-das-hoehnische-Lachen-der-Islamisten.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1334035/

[3] http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/prop1415.html

[4] 1.12.2010, Deutschlandfunk, Zur Diskussion: "Diplomatie in digitalen Zeiten - WikiLeaks und die Folgen"

3. Dezember 2010