Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1552: Thilo Sarrazins Rassismus ... Vorlage für den neofeudalen Ständestaat (SB)



Auch wenn der Bundesbanker und SPD-Politiker Thilo Sarrazin noch einmal nachgelegt hat, so hat sich am feindseligen Charakter seiner rassistischen Provokationen im Kern nichts geändert. Was er im Oktober 2009 im Interview mit der Zeitschrift Lettre International zum angeblich erbbiologischen Charakter unproduktiver Existenzen nicht nur türkischer und arabischer, sondern auch deutscher Herkunft zum Besten gab, wird in jüngsten Interviews und Auszügen aus seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" lediglich polemisch zugespitzt. Der sozialrassistische Tenor seiner Propaganda trat schon vor zehn Monaten so unverhohlen ans Licht der Öffentlichkeit, daß der um seine Person entfachte Skandal nicht zu trennen ist von der politisch opportunen Willfährigkeit ihm im Prinzip zustimmender Medienkommentare und einer SPD, deren Mitglieder nicht geschlossen dagegen aufbegehrten, einen ausgemachten fremden- und armenfeindlichen Demagogen in ihren Reihen zu haben.

Draufgesattelt hat Sarrazin nun vor allem mit dem Schüren des antiislamischen Ressentiments. Damit bedient er sich eines populistischen Dispositivs christlich-westlicher Suprematie, das zum Markenzeichen neokonservativer Feindbildproduktion geworden ist. Die pauschale Verunglimpfung von Musliminnen und Muslimen über die negative Stigmatisierung ihrer Religion ist Ausdruck einer Klassenherrschaft, der der Kommunismus als Gegner abhanden gekommen ist und die nun eines neuen Haßobjekts bedarf, um Zustimmung unter Bevölkerungen zu schaffen, deren offene ökonomische Ausplünderung ihr allen Anlaß böte, sich gegen die sie übervorteilende Allianz aus Kapitalmacht und Staatsgewalt zu wenden. Da das Feindbild Islam der Ideologieproduktion westlicher Kriegführung wenn nicht entstammt, dann zumindest hochgradig kompatibel mit ihr ist, eignet es sich bestens als universales Movens der globalisierten, die nationalstaatlich bedingte Trennung in Inneres und Äußeres zugunsten größerer Handlungsfähigkeit aufgebenden Weltordnungspolitik.

Kritisiert wird Sarrazin, der beste Voraussetzungen für eine politische Karriere nach dem Vorbild des niederländischen Antiislamisten Geert Wilders hat, denn auch nach Maßgabe einer Zweckrationalität, die zu nutzen steht, was sie vorgeblich verwirft. Beanstandet wird vor allem, daß er mit seinen Ausfällen dem Ansehen des Wirtschaftsstandorts Deutschlands und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schade. Aus gutem Grund unterschlagen bei der Rüge seiner Ausfälle gegen religiöse und ethnische Minderheiten wird der biologistische Sozialchauvinimus, mit dem er auf den angeblich unzureichenden Fähigkeiten und Motivlagen türkisch- und arabischstämmiger Migranten und Bundesbürger herumreitet. Dieser läßt sich hervorragend auf die als überflüssig stigmatisierten Herkunftsdeutschen anwenden, gegen die sich die bourgeoise Feindseligkeit Sarrazins im Eigentlichen richtet.

Selbst wenn man dem ehemaligen Finanzsenator Berlins schlußendlich mit Hilfe eines Parteiausschlußverfahren die Mitgliedschaft in der SPD aufkündigte, belegt das Taktieren ihrer führenden Politiker in der Causa Sarrazin, wie sehr sie fürchten, durch eine klare Stellungnahme gegen die neokonservativ modernisierte Variante des klassischen Rassenhasses der Wirkmächtigkeit dieser ideologischen Waffe verlustig zu gehen. Auch wenn man sich ihrer nicht mit offenen Visier bedient, profitiert das herrschende Verwertungsinteresse allemal von einem Antiislamismus, dessen Übertrag auf die zugleich polarisierende und integrierende Wirkung sozialdarwinistischer Überlebenskonkurrenz im ausgrenzenden Stigma des Unproduktiven den gemeinsamen Nenner findet. Objektive materielle Widersprüche werden rassistisch überformt, um den verschärften Klassenantagonismus mit einer am Feindbild islamischer Bedrohung erwirtschafteten Unterwerfung gangbar zu machen. Im Ergebnis produziert diese Strategie Demagogen wie Sarrazin, die frei nach der in einem ähnlichen sozialreaktionären Kontext geprägten Devise "Einer muß den Schweinehund machen" aussprechen, was andere nur denken.

Die Verteidigung von Freiheit und Demokratie, mit der Islamfeinde den angeblich fortschrittlich-liberalen Charakter ihrer Gesinnung rechtfertigen, findet denn auch in der Sicherung des eigenen Wohlstands gegen den Ansturm orientalischer Horden inszestuös degenerierter Produkte tribalistischer Rückständigkeit ihre realpolitische Stoßrichtung. Wenn Sarrazin den volkswirtschaftlichen Nutzen des Zugangs von türkischen Arbeitsmigranten, die vornehmlich unter ihresgleichen heirateten und daher "eine lange Tradition von Inzucht und entsprechend vielen Behinderungen" aufwiesen, negativ bilanziert und damit eine große Gruppe in Deutschland lebender Menschen pauschal diffamiert, dann folgt der ihm zustimmende Mehrheitsdeutsche der gleichen nationalistischen Suprematie, mit der vor kurzem zur Rechtfertigung der wirtschaftspolitischen Dominanz Deutschlands der Bevölkerung Griechenlands mediterraneer Schlendrian und levantinische Verschlagenheit angelastet wurde. Die Transformation des europäischen Sozialstaatsmodells zum neofeudalen, anhand individueller Leistungs- und Anpassungsbereitschaft, biologischer Fitness und soziokultureller Distinktion regulierten Ständestaat schreitet so lange voran, als die erwerbsarme und versorgungsbedürftige Bevölkerung nicht erkennt, daß sie mit Scheingefechten davon abgehalten wird, ihr eigenes Interesse streitbar zu vertreten.

26. August 2010

Zum Stand der Sarrazin-Debatte im Herbst 2009:

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub0916.html

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1497.html

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0810.html

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1361.html