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HERRSCHAFT/1496: Feindbild Lafontaine ... wird Die Linke ihrem Anspruch gerecht? (SB)



Die Empfehlung der Saarländer Grünen, eine Koalitionsregierung mit CDU und FDP zu bilden, wird von der Führungsspitze der Partei angestrengt als den speziellen Verhältnissen in diesem Bundesland geschuldeter Vorgang dargestellt. Keinesfalls soll die sogenannte Jamaika-Option Vorbildcharakter für die Bundespolitik haben, dementieren führende Grünenpolitiker den naheliegenden Verdacht, an der Saar sei eine Richtungsentscheidung getroffen und ein Paradigmenwechsel eingeleitet worden.

Daß dies dennoch der Fall ist, legt die vorherrschende Begründung für die Entscheidung des saarländischen Grünenvorstands nahe. Indem der Landesvorsitzende Hubert Ulrich mangelndes Vertrauen gegenüber der Linken im allgemeinen und Oskar Lafontaine im besonderen als maßgeblichen Grund für die Orientierung seiner Landespartei an CDU und FDP angibt, erklärt er die vom westdeutschen Flügel der Linken erhobenen politischen Forderungen für inakzeptabel. Bekanntlich gibt es innerhalb der Linkspartei ein breites Spektrum politischer Anschauungen, die von antikapitalistischen und antimilitaristischen Positionen über reformerische Rezepturen zur Rettung des Kapitalismus bis hin zu schicker postmoderner Beliebigkeit reichen. Während große Teile der ehemaligen PDS auf systemisch anerkannte Regierungsfähigkeit abstellen, macht sich die West-Linke noch mit sogenannter Fundamentalopposition auf der Basis unverhandelbarer linker Positionen unbeliebt.

Der überragende Wahlsieg der Saarlinken war, wie der generelle Aufschwung der Linken in Westdeutschland, zu einem Gutteil auf den Einsatz des ehemaligen SPD-Chefs Lafontaine zurückzuführen. In seiner Person fokussiert sich die Enttäuschung einer Sozialdemokratie, die ihren Orientierungspunkt immer noch in der Person Willy Brandts besitzt, über die neoliberale Politik, die die SPD mit der rot-grünen Bundesregierung zu ihrem Erfolgsrezept erklärt hat. Hätte die SPD nicht versucht, ihre im Arrangement des Klassenkompromisses angesiedelte Existenzberechtigung durch Anschluß an den neoliberalen Strukturwandel zu erhalten, dann hätte es auf dem Gebiet der alten BRD keine Linke gegeben, die überhaupt die parlamentarische Sperrklausel überwunden hätte.

Indem Lafontaine die Konsequenz aus der Beteiligung der Bundesrepublik am Jugoslawienkrieg und der Vereitelung seines Versuchs, dem Finanzkapital diejenigen Zügel anzulegen, die seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in den Augen vieler Experten als unabdinglich gelten, durch andere EU-Regierungen wie durch den eigenen Kanzler zog und den Rücktritt einreichte, bot er das in der realpolitischen Welt seltene Beispiel des Festhaltens an politischen Zielen auch gegen den Wandel der hegemonialen Systemapologie. Indem er mit seinem Einsatz für die Gründung einer einheitlichen Linkspartei für die ganze Bundesrepublik dazu beitrug, das parlamentarische Kräfteverhältnis grundlegend zu verändern, hat er gezeigt, daß diese Konsequenz nicht in der persönlichen Bedeutungslosigkeit enden muß, sondern daß sie in politisch produktive Bahnen geführt werden kann.

Die unversöhnlichen Feindschaften, die sich Lafontaine damit eingehandelt hat, lassen sich anhand zahlreicher Schmähungen dokumentieren. Lafontaine hat nicht nur eine Linke gestärkt, die sich in einigen Bereichen erlaubt, deutlich vom machtpolitischen Konsens abzuweichen, er hat auch ein Beispiel für persönliche Integrität gegeben, die ihm von seinen Feinden als Gegenteil, als Verrat an der SPD ausgelegt werden. Tatsächlich läßt sich auf seinen Fall die alte Parole "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten" anwenden, war es doch die SPD, die ihre erklärten politischen Ideale dem Karrierestreben ihres Personals und dem nationalchauvinistischen Streben nach deutscher Größe geopfert hat.

Die nun im Saarland und in Thüringen erfolgten Entscheidungen zugunsten einer Machtoption, die die Linke ausschließt, greifen der Formierung einer neofeudalen Gesellschaft, in der die Forderungen der Unterprivilegierten mit allen Mitteln abgewehrt werden sollen, vor. Die von Teilen der Grünen und SPD geltend gemachte Unvereinbarkeit mit wesentlichen politischen Positionen der Linken ist Ausdruck des Strebens, zu den Gewinnern im gesellschaftlichen Konflikt um die knapper werdenden Überlebensressourcen zu gehören. Man mag Lafontaine für einen Populisten halten, der links blinkt, um rechts zu handeln, man mag die von ihm propagierte Legalisierung des politischen Streiks und anderer nach heutigem Verständnis fast schon radikal zu nennender Forderungen für oppportunistisch und unglaubwürdig halten, er verkörpert im Spektrum einflußreicher deutscher Politiker dennoch eine Programmatik, auf die die Sachwalter herrschender Interessen allergisch reagieren.

Indem Lafontaine von den Saarländer Grünen als entscheidender Stolperstein für eine Koalition mit SPD und Linkspartei ausgewiesen wird, wird diese Programmatik als landes- wie bundespolitisch inakzeptabel markiert. Dies ist in Anbetracht der anstehenden Verteilungskämpfe, der anwachsenden Repression gegenüber oppositionellen Bewegungen, der weiteren Ausgrenzung des Subproleriats und der kriegerischen Machtentfaltung der Bundesrepublik wie EU mehr als eine vorübergehende Antipathie oder das Erhöhen des Einsatzes im Vorfeld eventueller Bündnisse. Im Kern geht es um die Frage der Zugehörigkeit zu den Gewinnern, um die dem eigenen Platz in der Hackordnung dienliche Marginalisierung der Verlierer, um die Isolierung aller politischen Kräfte, die sich für die herrschenden Interessen nicht einspannen lassen wollen.

In dieser Sache haben die Grünen schon vor langer Zeit grundsätzliche Richtungsentscheidungen getroffen, die durch Bündnisse mit der Linken nicht rückgängig gemacht werden sollen. Ob die Linke selbst in der Lage sein wird, in der verschärften gesellschaftlichen und politischen Polarisierung nicht den Weg der Grünen und der SPD zu gehen, wird sich daran entscheiden, ob sie sich der parlamentarischen Ratio mehrheitsorientierter Wandlungsprozesse hingibt oder ob sie an der Verpflichtung festhält, die sich aus ihren bislang in Anspruch genommenen Zielen ergibt. Die gegen Oskar Lafontaine gerichteten Anwürfe verraten genug über den Willen der Herrschenden, jeden Angriff auf die hierarchische Struktur dieser Gesellschaft entschieden abzuwehren, so daß die Linke wider Erwarten am gesellschaftlichen Antagonismus wachsen kann und nicht gegenüber der Aufforderung, sich endlich an die Geschäftsregeln zu halten und der Konsensproduktion zu frönen, kapitulieren muß.

12. Oktober 2009