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HERRSCHAFT/1470: Internetzensur ... den Bürgern eigenständiges Denken austreiben (SB)



Völlig ungerührt von einer Petition, mit der sich eine Rekordzahl von über 130.000 Bundesbürgern gegen die Einführung einer Internetzensur richteten, von zahlreichen Einwänden ausgemachter Experten hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahme wie der Relevanz der dafür in Anspruch genommenen Gründe wurde das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen am Freitag auch vom Bundesrat bestätigt. Auch und gerade kurz vor der Bundestagswahl verlassen sich die Regierungsparteien ganz auf die Breitenwirkung der Behauptung, man schütze mit der Blockierung von Webseiten, die auszuwählen das mit quasi geheimdienstlichen Kompetenzen versehene Bundeskriminalamt beauftragt wird, und dem möglichen Zugriff der Polizei auf dabei anfallende Nutzerdaten Kinder vor sexuellem Mißbrauch.

Daß Männer ihren perversen Gelüsten im Zweifelsfall auch außerhalb des Internets nachgehen und entsprechende Aufnahmen etwa mit der Post austauschen, liegt auf der Hand. Kindesmißbrauch ist nicht erst mit der elektronischen Datenkommunikation aufgetreten und wird auch nicht dadurch verhindert, daß man eine besonders spektakuläre Form der Distribution unterbindet. Sie wird durch direkte Strafverfolgung bei den Herstellern und Käufern entsprechender Materialien unterbunden. Zu behaupten, dazu fehlten den Behörden die Mittel und die Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit, ist angesichts dessen, was man alles für den Terrorkrieg aufbietet, der blanke Hohn.

Die Offensive der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gegen Haßpropaganda und die sogleich laut gewordenen Forderungen, entsprechende Webseiten mit in die Zensurlisten aufzunehmen, dokumentieren den systematischen Charakter, mit dem die Bresche, die dieses Gesetz schlägt, zur Durchsetzung einer allgemeinen Internetzensur genutzt werden soll. Schon angesichts dessen, daß man die Bekämpfung des Terrorismus als Vorwand für imperialistische Kriege und den drastischen Ausbau des Sicherheitsstaats nimmt, wäre es abwegig, wenn man sich auf die Sperrung islamistischer Webseiten beschränkte. Daß diese auf der Strecke einer nun Gestalt annehmenden politischen Zensur liegen wird, steht dazu nicht Widerspruch, fordern sogenannte Terrorismusexperten doch seit Jahren, daß die "Fernuniversität des Terrors" geschlossen wird.

Hier fügt sich eins zum andern, so lange der Kurs der fortschreitenden Einschränkung bürgerlicher Freiheiten nur fest anliegt. Zypries will die bereits zuvor von ihr beklagte Lücke des möglichen Ausweichens auf ausländische Domain Server schließen, indem sie im Rahmen ihrer Offensive gegen sogenannte Haßpropaganda die Einbindung ausländischer Provider in Zensurmaßnahmen verlangt. Die Schotten gegen mißliebige Inhalte, und dabei geht es keineswegs nur um Kinderpornographie oder rassistische Schmähungen, sollen nicht nur in China und im Iran, sondern auch in der EU dichtgemacht werden. Schon im September 2007 hatte der damalige EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit (Orwells Newspeak läßt grüßen) Franco Frattini verlangt, im Rahmen des Terrorkriegs den Zugang zu bestimmten Webseiten sperren zu lassen. Darüber hinaus verlangte er, "gefährliche Wörter" wie "Bombe", "töten", "Genozid" oder "Terrorismus" auf einen Index zu setzen, so daß sie bei der Eingabe in Suchmaschinen im Internet keine Ergebnisse mehr erbrächten. Diese Forderung schwächte er zwar später ab, indem er erklärte, lediglich Webseiten sperren lassen zu wollen, die illegale Inhalte wie etwa Anleitungen für den Bau von Bomben enthielten, doch zeigt die dementsprechende deutsche Gesetzgebung [siehe dazu HERRSCHAFT/1456 und REPRESSION/1320], daß die Präventionsdoktrin des Terrorkriegs auf die strafrechtliche Verfolgbarkeit bestimmter politischer Gesinnungen abzielt.

Es kann denn auch nicht überraschen, daß Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bereits vor zwei Jahren in Kooperation mit Frattini die Sperrung von Webseiten verlangte, auf denen Haßpropaganda gegen Israel zu lesen wäre. Mit diesem konkreten Anlaß für die Durchführung von Zensurmaßnahmen nahm Schäuble die heute geführte Diskussion vorweg. Seitdem konnte niemand mehr behaupten, nicht gewußt zu haben, daß die vielbeschworene demokratisierende Wirkung des Internets auf das Gegenteil, die Regulation nicht nur der politischen Meinung, sondern auch der Sprache und des Denkens hinausläuft. Der Dienstherr des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und des Bundesamts für Verfassungsschutz ist nicht von ungefähr der Ansicht, daß "eine Arbeitsteilung, nach der eine Seite für die Freiheit des einzelnen zuständig ist, die andere Seite dagegen für die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Ganzen", nicht wirklich weiterbringe und vor allem "einer freien und offenen Gesellschaft nicht angemessen" (BMI-Rede 12.05.2009) wäre.

Mit der Aufhebung des Antagonismus zwischen dem Schutz der bürgerlichen Freiheiten und der Durchsetzungskraft des staatlichen Gewaltmonopols verschwindet allerdings nur die eine Seite, die der Verteidigung der Grund- und Bürgerrechte. Die exekutiven Handlungsvollmachten bleiben nicht nur erhalten, sie werden zu Lasten nämlicher Rechte ausgebaut, so daß die Forderung, auf diese Arbeitsteilung zu verzichten, weil der starke Staat sich ihrer schon auf angemessene Weise annehmen werde, etwas Anmaßendes, ja Unanständiges hat. Es verhält sich ein wenig wie mit den Schutzgeldern, die kleinen Geschäftsleuten von Gangs abgepreßt werden, die absehbar ihre einzige Bedrohung darstellen.

Wenn die schnelle Transformation des öffentlichen Kommunikationsraums zu einem elektronischen Hochsicherheitstrakt nicht so gefährlich für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik und EU wäre, dann böten die dazu aufgebotenen Behauptungen wie ihre Widerlegung Anlaß zur Heiterkeit. Inmitten einer ökonomischen und sozialen Krise, die die Grundfesten dieser Gesellschaft erschüttern, den Ausbau repressiver Maßnahmen zu steigern läßt nur eine Schlußfolgerung zu - die Interessen der herrschenden Verfügungsgewalt sollen widerspruchslos gegen die von sozialen Härten betroffenen Bürger durchgesetzt werden.

Wenn die große Mehrheit der Bevölkerung gegen die Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan eingestellt ist und der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck behauptet, Politiker dürften "den Bürgern nicht nach dem Mund reden", sondern müßten "den Menschen noch besser erklären, warum der Einsatz am Hindukusch so wichtig ist" (Neues Deutschland, 07.07.2009), dann braucht man an das Demokratielamento, wie es etwa bei der geringen Wahlbeteiligung zur EU-Wahl zu vernehmen war, keinen Gedanken zu verschwenden. Eigenständiges Denken wird den Menschen ohnehin ausgetrieben, indem man ihnen nicht mehr die Urteilskraft zubilligt, mit informationellen Inhalten einen souveränen und autonomen Umgang zu pflegen. Worin also sollte die Freiheit des Staatssouveräns bestehen, als die sozialtechnokratische Umsetzung ohnehin feststehender Entwürfe über sich ergehen zu lassen?

11. Juli 2009