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HERRSCHAFT/1469: Soziale Verhältnisse im Iran umwälzen? Nicht mit dieser "Revolution" (SB)



Wenn die Medien und Regierungen kapitalistischer Staaten eine angeblich revolutionäre Erhebung in einem Land feiern, mit dessen Regierung sie selbst im Konflikt liegen und das sie mit Zwangsmaßnahmen traktieren, dann gibt es immer Gründe dafür, die mit dem unterstellten Anliegen der rebellischen Bürger nichts zu tun haben. Auch wenn die Proteste im Iran gegen den angeblichen Wahlbetrug durch Kräfte, die dem obersten Rechtsgelehrten Ali Chamenei und dem bisherigen wie zukünftigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad nahestehen sollen, das legitime Interesse verfolgen, grundlegende Einschränkungen der Demokratie im Lande zu überwinden, laufen sie Gefahr, vom geostrategischen Konflikt zwischen dem Iran und dem Westen kontaminiert zu werden.

Die iranische Theokratie ist aus der Unterdrückung der Bevölkerung des Landes durch ein Regime entstanden, das als Verbündeter der NATO-Staaten von großer Bedeutung für das Containment der Sowjetunion war. Der islamische Charakter dieser Erhebung war für die Alliierten des Irans durchaus akzeptabler, als wenn die sozialistischen und kommunistischen Kräfte des Widerstands die zukünftigen Geschicke des Landes bestimmt hätten. Eine der Sowjetunion zuneigende Regierung in Teheran hätte die Kräfte auf diesem zentralen Feld der Systemkonfrontation so sehr zuungunsten der NATO-Staaten verschoben, daß man die Herrschaft des Revolutionsführers Ruhollah Chomeini als das kleinere Übel betrachtete.

Auch 30 Jahre später wird im Jubel über den säkularen Widerstand im Iran gerne vergessen, daß sich die imperialistische Politik der USA und EU in der Region despotischer, von staatskonformer sunnitischer Ideologie getragener Regimes bedient. Daß diese selbst von Vertretern des politischen Islam wie der ägyptischen Muslimbruderschaft herausgefordert werden, die ihren Anspruch auf politische Partizipation mit dem Ruf nach mehr Demokratie untermauern, geht in der einhelligen Verurteilung der schiitischen Theokratie im Iran ebenso unter wie der Konflikt, in dem Ahmedinejad mit einem Großteil des etablierten Klerus steht.

Die Verhältnisse im Iran sind komplexer, als das abfällige Schwadronieren über die "Mullahs" ahnen läßt, und sie entwickeln sich im Rahmen eines Sozialkampfes zwischen arm und reich, der in der Berichterstattung über die Situation im Lande weitgehend ausgeblendet wird. Wenn sich mitunter nicht vermeiden läßt, darauf zu verweisen, daß die Beliebtheit Ahmedinejads sich auf soziale Zuwendungen an ökonomisch besonders benachteiligte Gruppen der Bevölkerung stützt, dann wird dies nicht von ungefähr zu seinem Nachteil ausgelegt, indem von bloßer Klientelwirtschaft gesprochen oder die aus dem Rohstoffexport geschöpfte Alimentation der Armut gar als Entwicklungshindernis gebrandmarkt wird. Da jedoch das gesamte politische System des Landes maßgeblich von Verteilungskämpfen um die Öl- und Gasrente korrumpiert ist, läßt sich diese Bezichtigung nicht alleine auf den hierzulande gründlich dämonisierten Ahmedinejad laden.

Da die Proteste gegen den amtierenden Präsidenten und den ihn stützenden Nachfolger Chomeinis nicht von Kräften mit einer sozialistischen oder kommunistischen Agenda getragen werden, sondern es sich zu einem großen Teil um Vertreter der urbanen bürgerlichen Mittel- und Oberschicht handelt, spielt das Thema der sozialen Gerechtigkeit trotz des großen Wohlstandsgefälles, von dem die Islamische Republik gezeichnet ist, bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Beansprucht werden säkulare Freiheitsrechte nach westlichem Vorbild, was allemal unterstützenswert ist, so lange dabei nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, sprich der angestrebte Machtwechsel nicht in einer Vertiefung der Klassenherrschaft resultiert.

Daß gerade dies wahrscheinlich ist, belegen die im Westen ebenfalls bejubelten bunten Revolutionen in den sogenannten Transformationsstaaten Osteuropas. Wo immer diese Erfolg hatten, führten sie zu einem bloßen Wechsel der Oligarchien und nicht selten zu einem Abbau verbliebener sozialpolitischer Überlebenssicherungen, die der neoliberalen Marktdoktrin nun vollends zum Opfer fielen. Der revolutionäre Pathos verebbte schnell in einer Restauration bürgerlicher Herrschaft, die sich nun mit den Insignien einer repräsentativen Demokratie schmücken konnte, um die Gesellschaft einem noch drastischeren neoliberalen Strukturwandel zu unterziehen und diesen sicherheitspolitisch durch die geostrategische Anbindung an den Westen zu flankieren. Legislative Verbesserungen etwa im Bereich der Pressefreiheit wurden durch ökonomische Machtverhältnisse kompensiert, mit denen die Hegemonie der neuen Herren ebenso zuverlässig durchgesetzt wurde, wie es ihre Vorgänger mit offener Zensur taten.

Auch wenn sich die Vertreter der iranischen Opposition gegen den Verdacht verwahren, Sachwalter einer imperialistischen Offensive zu sein, die einen Regimewechsel in Teheran als Erweiterung des eigenen Machtbereichs versteht, läßt sich ihr demokratisches Anliegen nicht von jenen globalpolitischen Interessen trennen, denen der Iran ein zu überwindendes Hindernis des eigenen Vormarsches ist. Gerade weil sich die Proteste am westlichen Entwicklungsmodell liberalkapitalistischer Öffnung orientieren, bleiben ihnen die Folgen einer Einbindung des Irans in die geostrategischen Pläne der USA und EU in der arabischen Welt wie in Zentralasien nicht erspart. So könnte das explizite Fernziel einer säkularen Republik, die nach einer Übergangszeit unter islamischen Realpolitikern vom Schlage des Multimillardärs und ehemaligen Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani wie seines Protegees, des ehemaligen Ministerpräsidenten und Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Moussavi, möglich wäre, dem Iran zu einer regionalen Machtstellung verhelfen, die mit dem NATO-Staat Türkei vergleichbar wäre.

Dies allerdings wäre nur zum Preis einer Modernisierung des Landes zu erreichen, die - wie das Beispiel der Türkei zeigt - nach Maßgabe des nach wie vor herrschenden neoliberalen Entwicklungsmodells mit schmerzhafteren sozialen Einschnitten am ohnehin niedrigen Reproduktionsniveau einherginge. Zu behaupten, der Iran könne inmitten der Weltwirtschaftskrise einer sozial verträglichen und förderlichen ökonomischen Transformation unterzogen werden, die in den osteuropäischen EU-Staaten schon zu Zeiten allgemeinen wirtschaftlichen Wachstums tiefe Spuren der Verelendung hinterlassen hat, entbehrt jeder Grundlage. Auch birgt das Ziel der Demokratisierung in Anbetracht der vorherrschenden gesellschaftlichen Widersprüche keineswegs die Garantie dafür, daß nicht erneut Vertreter des politischen Islam die Regierungsmacht in die Hand bekämen, die sich nicht so bereitwillig der Hegemonie der USA und EU unterordnen, wie es die AKP-Regierung in Ankara tut.

Wenn die bürgerlichen Freiheiten einer repräsentativen Demokratie nach westlichem Vorbild keine Verbesserung der sozialen Lage der Mehrheit der Iraner hervorbringen, was sie absehbar nicht tun werden, dann ist mit dem Ausbau repressiver Formen der Herrschaftsicherung zu rechnen, die der Farbe der Saison gemäß das gleiche in Grün produzierte. Wie für einen großen Teil der Welt sind die Entwicklungsperspektiven auch im Iran so düster, daß eine von antikommunistischen Immunisierungsimperativen und symbolpolitischer Repräsentation getragene Demokratisierung geradewegs in qualifizierte Formen kapitalistischer Herrschaftsicherung führt. Wenn schon mit dem eigenen Herzblut Demokratie auf die grünen Fahnen geschrieben wird, wieso wird dann nicht für basisdemokratische Emanzipation unter dem Vorzeichen sozialistischer Gerechtigkeit und solidarischer Ökonomie gestritten?

Die Antwort liegt auf der Hand - die Überwindung der Theokratie soll die Basis für ein bürgerliches Akkumulationsregime legen, das ohne das bestehende soziale Verwertungsgefälle und in Antagonismus zur imperialistischen Weltordnung nicht lebensfähig wäre. Um wie vieles wünschenswerter als die bestehenden Verhältnisse eine solche Entwicklung für die iranische Bevölkerung wäre, ist allein ihre Sache zu entscheiden. Wenn der Analyse der angeblich revolutionären Situation im Iran lediglich die 140 Zeichen der Twitter-Kurzmitteilungen vorbehalten sind, während die Hilferufe von Menschen, die durch prowestliche Besatzer oder Regimes drangsaliert werden, völlig konträr zum angeblich demokratisierenden Effekt elektronischer Massenkommunikation hierzulande auf keinerlei Resonanz stoßen, dann kann vom demokratische Vorbildcharakter hiesiger Gesellschaften ohnehin abgesehen werden.

7. Juli 2009