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HERRSCHAFT/1442: Jay Bybee - Technokrat der Macht, Jurist für Folter (SB)



Die am 1. August 2002 vom damaligen Leiter des Office of Legal Counsel (OLC) im US-Justizministerium, Jay Bybee, verfaßte Antwort auf eine Anfrage des damaligen Rechtsberaters der CIA, John Rizzo, ist ein Dokument von besonderer Bedeutung für die Anwendung der Folter in Staaten, die angeblich nicht foltern. Rizzo hatte das OLC, das US-Regierungsbehörden bei spezifischen Rechtsproblemen berät und dabei Gutachten mit Rechtskraft verfaßt, um eine Bewertung gefragt, inwiefern die von der CIA bei der Vernehmung des angeblichen Al Qaida-Mitglieds Abu Zubaydah angewendeten Methoden gegen das Folterverbot verstoßen. Laut Rizzo habe sich der Häftling "an ein bestimmtes Niveau der Behandlung gewöhnt", zudem sei er eigens dafür ausgebildet, verschärften Verhörmethoden zu widerstehen, des weiteren verfüge er durch seinen Glauben über ein "zuverlässiges und belastbares Unterstützungssystem". Da er alle Aussagen verweigere, sollten die Verhöre nun in eine "Phase verstärkten Drucks" treten.

Zu diesem Zweck setzte die CIA zehn spezifische Foltertechniken ein, die in dem auf jahrelanges Betreiben von Bürgerrechtlern freigegebenen, als "Top Secret" eingestuften Rechtsgutachten detailliert beschrieben werden. Sie erfüllen nach Ansicht Bybees nicht den Tatbestand der Folter, weil das eingesetzte Personal nicht "ausdrücklich beabsichtige, schweren Schmerz oder Leiden zu erzeugen". Um diese Absicht zu verifizieren, genügt es laut Bybee, daß die Verhörexperten "ernsthaft glauben", ihrem Opfer nichts derartiges zuzufügen. Die objektive Quälerei wird unter dem Vorzeichen subjektiver Ignoranz durchgeführt, was in etwa der Zwecklogik eines Tierquälers entspricht, der seinem Opfer jedes Schmerzempfinden abspricht, weil es kein Bewußtsein habe.

Bybee versichert sich in seinem Gutachten, daß stets mit Folter vertraute Ärzte anwesend sein werden, um die Anwendung der Techniken zwecks "Vorbeugung schwerer geistiger oder körperlicher Schäden" zu stoppen. Auch stellt er klar, daß die Verletzung, die Zubaydah angeblich bei seiner Verhaftung erlitten hatte, nicht für die Folter ausgenutzt werden darf und daß der Gefangene "angemessene medizinische Behandlung erhält, um sicherzustellen, daß sie vollständig abheilt". Bybee erweckt den Eindruck, sich auf fürsorgliche Weise um die Gesundheit des Delinquenten zu kümmern, was die legitimatorische Strategie, die Foltertechniken als ausschließliches Mittel zum Zweck zu objektivieren und von jedem unmittelbaren Interesse am Quälen zu bereinigen, unterstreicht.

Um den Spagat zwischen dem Folterverbot, das in dem Gutachten ausführlich dokumentiert wird, und der angeblich legalen Anwendung der Folter zu vollziehen, schreckt Bybee vor keiner noch so aberwitzigen Behauptung zurück. Alle zehn Verhörmethoden werden einzeln vorgestellt und dann daraufhin überprüft, ob sie den Tatbestand der Folter erfüllen. Dabei schwingt sich der cum laude-Jurist zu Urteilen auf, wie sie nur Schreibtischtäter fällen können, denen andere Menschen bloße Objekte der eigenen Verfügungsgewalt sind. So gibt er zur Definition "schweren körperlichen Schmerzes oder Leidens" das Beispiel "heftigen Schlagens mit Waffen wie Knüppeln und das Zufügen von Brandverletzungen" vor, um unterhalb dieser Schwelle zu Streßpositionen gutzuheißen, bei denen der Delinquent für lange Zeit härtesten Beanspruchungen durch systematische körperliche Überstreckungen oder Bewegungseinschränkungen ausgesetzt wird.

Eine der dabei beschriebenen Posituren nennt sich "wall standing". Dabei wird der Gefangene unter massiver Androhung von Gewalt dazu genötigt, sich mit ausgestreckten Armen und Fingern gegen eine Wand zu lehnen, so daß ein Großteil des Körpergewichts auf den Fingerspitzen lastet. Bybees Unterstellung, daß diese oder ähnliche Stellungen lediglich in "Muskelerschöpfung" resultieren, unterschlägt die leicht zu überprüfende Tatsache, daß ihre erzwungene Aufrechterhaltung in Krämpfen schmerzhaftester Art resultiert. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld höhnte über den Vorwurf, das stundenlang exekutierte Verharren in Streßpositionen erfülle den Tatbestand der Folter, die Gefangenen sollten sich nicht so anstellen, schließlich arbeite er selbst mehrere Stunden am Tag am Stehpult, ohne dabei Schmerzen zu erleiden.

Nicht weniger grausam ist das "cramped confinement", bei dem der Gefangene in einen Behälter gesteckt wird, in dem er sich kaum bewegen kann. Bis zu zwei Stunden in einem dunklen Kasten bei dünner Luft zu verbringen, ohne sich einmal ausstrecken zu können, läßt alle klaustrophoben Schrecken Wirklichkeit werden. Um den Horror zu maximieren, wollte die CIA Zubaydah, der sich offensichtlich vor Insekten fürchtete, zusammen mit einem stechenden Insekt in eine solche Box sperren, was Bybee lediglich zu dem Einwand veranlaßt, daß es sich dabei um ein harmloses Tier handeln sollte.

Auch ein Schlafentzug von bis zu elf Tagen führt laut Bybee lediglich "zu einigem körperlichen Unbehagen", keineswegs jedoch zu schweren körperlichen oder seelischen Qualen. Das "walling", also das Schleudern des Gefangenen gegen eine künstliche Wand, erzeugt ebensowenig wie der "facial slap", der als Schlag ins Gesicht mit gespreizten Fingern beschrieben wird, "Schmerzen, die schwierig zu ertragen sind". Es könne sogar sein, daß das Schleudern gegen die Wand Schmerzen verursache, so Bybee, allerdings ist kein dabei erfahrbarer Schmerz "von der Intensität, die mit ernsthaften körperlichen Verletzungen in Zusammenhang gebracht wird". Das Ziel des Schlags ins Gesicht bestehe ebenfalls nicht darin, "schweren oder andauernden körperlichen Schmerz zu erzeugen", sondern soll lediglich "Schock, Überraschung und/oder Erniedrigung" bewirken.

Auch das berüchtigte Waterboarding, dessen Opfer nicht nur das Gefühl haben, zu ertrinken, sondern die aufgrund des auf Nase und Mund gegossenen Wassers in akute Atemnot geraten und damit tatsächlich ertrinken, erfüllt in Bybees Augen nicht den Tatbestand der Folter. Seine Methode, das Schlimme anhand des Schlimmeren für harmlos zu erklären, läßt sich letztlich ad infinitum steigern, wobei Bybee sich nicht einmal auf den Befehlsnotstand berief. Wie der NS-Verbrecher Adolf Eichmann, der dies in seinem Prozeß zwar tat, sich aber in einem Gespräch als "Idealist" bezeichnete, der mit der Judenvernichtung einen "Feind" bekämpfen wollte, beruft sich der US-amerikanische Jurist auf die objektive Notwendigkeit, mit der Folterung eines Al Qaida-Mitglieds Gefahr von den Vereinigten Staaten abzuwehren.

Dementsprechend manövriert sich der hochgebildete Doktor der Rechtswissenschaften, den Ex-Präsident George W. Bush zur Belohnung für seine Dienste zum Bundesberufungsrichter ernannte, keineswegs mit verbundenen Augen und Ohren durch ein Horrorkabinett, das jedem, der mit der Aussicht konfrontiert wird, selbst diesen Foltertechniken unterzogen zu werden, den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Er weiß genau, was er tut, wenn er mit der umfassenden Relativierung des Folterverbots Verhörmethoden legalisiert, die eigens dazu eingesetzt werden, einen Gefangenen zu malträtieren, der bereits gefoltert wurde und dennoch nicht die erwünschten Aussagen produziert hat.

Indem Bybee die Angaben der CIA über die Widerstandsfähigkeit Zubaydahs in seinem Memo rekapituliert, gesteht er zu, daß der Gefangene, gerade weil er bereits hart angefaßt wurde, noch mehr gequält werden müsse, um endlich zu "kooperieren". Indem er erklärt, daß selbst dann, "wenn man erwägt, all diese Methoden in einem Gesamtverfahren miteinander zu kombinieren, sie dennoch keine schweren körperlichen Schmerzen oder Leiden auslösen würden", stellt er der CIA frei, die einzelnen Foltertechniken zwecks Steigerung ihrer Wirkung parallel zueinander anzuwenden, also etwa den Gefangenen zu schlagen, während er sich in einer Streßposition befindet, und dies auch noch nach einer Woche ohne Schlaf in einer eisigen oder überhitzten Zelle zu tun.

Allein im August 2002 wurde Zubaydah 83 Mal dem Waterboarding unterzogen. Wenn ein Mensch 83 mal an den Rand des Todes getrieben wird und die Täter behaupten, es handle sich nicht um Folter, dann geht es bei dieser Bewertung nicht um eine Frage des Rechts. Dann wird ein Exempel der Willkür statuiert, das die Folterschergen darin bestätigt, daß juristische Erörterungen lediglich dazu dienen, sie in den Stand unberührbarer Herren über Menschen zu erheben, die man zu Nichtmenschen erklärt hat. Bybee hat mit seinem Rechtsgutachten die Voraussetzung dafür geschaffen, daß nicht nur dieser Gefangene der US-Regierung, sondern viele weitere Opfer des Terrorkriegs Prozeduren unterzogen werden, wie sie Zubaydah gegenüber Vertretern des Roten Kreuzes schilderte:

"Ich wurde auf etwas gelegt, das wie ein Krankenhausbett aussah, und sehr eng mit Gurten daran gefesselt. Dann wurde ein schwarzes Tuch über mein Gesicht gelegt, und das Verhörpersonal goß Wasser aus einer Flasche darauf, so daß ich nicht mehr atmen konnte. Nach einigen Minuten wurde das Tuch entfernt, und das Bett rotierte in eine aufrechte Position. Der Druck der Gurte auf meinen Wunden erzeugte heftige Schmerzen. Ich übergab mich. Dann wurde das Bett wieder in eine horizontale Position gedreht, und man wiederholte die gleiche Folter mit einem schwarzen Tuch über meinem Gesicht, auf das Wasser aus einer Flasche gegossen wurde. Dieses Mal befand sich mein Kopf in einer weiter nach unten geneigten Position, und das Wasser wurde für eine längere Zeitspanne auf mich gegossen. Ich kämpfte ohne Erfolg um Luft. Ich dachte, ich müsse sterben. Ich verlor die Kontrolle über meinen Harn. Seitdem verliere ich immer noch die Kontrolle über meinen Harn, wenn ich unter Streß gesetzt werde."

Im September 2006 meldete US-Präsident Bush in einer Rede Vollzug. Er behauptete, man habe von Zubaydah wichtige Informationen über einen geplanten terroristischen Anschlag innerhalb der Vereinigten Staaten erhalten, den man daraufhin habe verhindern und so unschuldige Leben retten können. Zudem habe Zubaydah die Behörden auf die Spur mehrerer an den Anschlägen des 11. September 2001 beteiligter Personen gebracht, so daß diese ergriffen werden konnten. Keine der Behauptungen wurde jemals verifiziert, obwohl der Geheimdienstausschuß des US-Senats die Geheimdienste seit 2006 drängte, Belege für die von Bush präsentierten Ergebnisse vorzulegen. Wie man zu diesen gelangte, erklärte der damalige US-Präsident so:

"Und so griff die CIA zu einem alternativen Set von Methoden. Diese Methoden waren so beschaffen, daß sie sicher, in Übereinstimmung mit unseren Gesetzen, mit unserer Verfassung und unseren vertraglichen Verpflichtungen sind. Das Justizministerium überprüfte die angewiesenen Methoden ausführlich und erklärte sie für legal. Ich kann die verwendeten Methoden, wie Sie sicherlich verstehen werden, nicht beschreiben, weil das den Terroristen helfen würde zu lernen, wie man der Befragung widersteht und uns auf diese Weise Informationen vorenthält, die wir brauchen, um Angriffen auf unser Land vorzubeugen. Aber ich kann sagen, daß die Methoden hart waren, daß sie sicher, legal und notwendig waren."

Indem die amtierende US-Regierung keinerlei rechtliche Konsequenzen aus diesen und anderen Folteraffären zieht, breitet sie nicht nur den Mantel des Vergessens über diese Verbrechen, sie behält sich vor, sie zu wiederholen. Die von hochrangigen Regierungsbeamten und Juristen verfaßten Rechtsgutachten, mit denen die Folter legalisiert wurde, bleiben in ihrem das Folterverbot erodierenden Potential unbeschadet, auch wenn sie zur Zeit keine Handlungsgrundlage für US-Staatsorgane bilden. Die von Jay Bybee, John Yoo, David Addington und anderen ehemaligen Regierungsbeamten, die weiterhin honorige Ämter bekleiden, verfaßten Foltermemos sind Dokumente, die die These von der vorrangigen Bedeutung des Ausnahmezustands für die Handlungsfähigkeit moderner Regierungen exemplarisch belegen.

22. April 2009