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HEGEMONIE/1819: Kriegsgeflüster - ein Mittel zum Zweck ... (SB)



In einer Regierungserklärung verurteilte Bundeskanzlerin Merkel die Kriegführung der syrischen Regierung im Osten der Hauptstadt Damaskus als "Massaker" und "Krieg gegen die eigene Bevölkerung". Mit diesen drastischen Worten plädierte sie für ein stärkeres Eingreifen der EU in Syrien. Der Wunsch, endlich die Bundeswehr im Irak, in Syrien und anderswo im Kampfeinsatz zu sehen, wird seit längerem von ihr gehegt, wie ihr Angebot 2015 an die Adresse Präsident Hollandes belegt, Frankreich bei Angriffen auf Syrien mit militärischen Mitteln zu unterstützen.

Ein anderer NATO-Partner, die Türkei, führt derweil einen seit mehr als einen Monat währenden Angriffskrieg im nordsyrischen Afrin. Was die türkischen Streitkräfte dort mit Hilfe deutscher Leopard-Panzer und anderer Militärtechnik aus der Bundesrepublik vollziehen, erfüllt alle Kriterien eines völkerrechtswidrigen Aggressionskrieges. So weit, auch an dieser Stelle ein Eingreifen der EU zu verlangen, geht die Bundeskanzlerin nicht. Das nötigte sie zu erklären, was die Türkei zu diesem Überfall berechtigt und auf welcher Seite die Bundeswehr in diesem Krieg überhaupt stehen sollte. Also schweigt Merkel, während sie sich einmal mehr des als Prügelknaben bewährten syrischen Präsidenten Al-Assad bedient, um ihre militaristische Agenda voranzutreiben. Nicht, daß dessen Kriegführung nicht brutal wäre. Aber auch der Krieg gegen die eigene Bevölkerung, den Präsident Erdogan vor zwei Jahren in den mehrheitlich kurdischen Provinzen Südostanatoliens führte, hätte eine entsprechende Verurteilung verdient, die die Bundesregierung dem NATO-Staat freundlicherweise ersparte.

Die Türkei wird durch die in Afrin aktiven kurdischen Selbstverteidigungskräfte nicht ernsthaft bedroht, denn das setzte einen vollumfänglichen Übergriff der YPG auf türkisches Territorium voraus. Zwar kam es zum Abfeuern einiger Raketen, die auf türkischer Seite einschlugen, allerdings erst in Reaktion auf den Grenzübertritt des türkischen Militärs. Verteidigt haben sich im Zweifelsfall die kurdischen Kräfte, unter anderem gegen islamistische Milizen, die die Vorhut des Angriffs bildeten und ganz offen mit den türkischen Truppen zusammenarbeiten. Die Standardbegründung der türkischen Regierung für diesen Krieg, bei der kurdischen Miliz YPG handle es sich um einen Teil der von ihr als terroristisch gebrandmarkten PKK, gegen die man sich zu verteidigen habe, ließe sich postwendend zurückgeben. Die verschiedenen mit der Türkei verbündeten islamistischen Milizen erfüllen dieses Kriterium, wenn es denn zur Legitimation einer kriegerischen Aggression taugte, nicht minder.

Die Regierung in Ankara hat auch nicht den UN-Sicherheitsrat angerufen, um sich ein Mandat für diesen Übergriff zu verschaffen, und von einem Handlungsnotstand kann nicht ausgegangen werden, wenn man nur das Kräfteverhältnis der Kriegsparteien untersucht. Die Bundesregierung unterstützt in Nordsyrien mithin durch Waffenlieferungen und Bündnispolitik eine Aggression, der Frauen und Kinder zum Opfer fallen wie unter den Aufständischen, die die Regierung in Damaskus mit militärischen Mitteln bekämpft. Es ist das alte Lied imperialistischer Feindbildproduktion - wenn bei der Einnahme von Mosul und Rakka Zivilisten sterben, weil die Städte mit Bomben und Granaten dem Erdboden gleichgemacht werden, heiligt das Ziel der Befreiung von islamistischen Mörderbanden fast jedes Mittel. Wenn in Aleppo oder Damaskus Vergleichbares geschieht, sind syrische und russische Verbrecher am Werk.

Ein Staat wie Rußland wird von der Bundesregierung mit Handelssanktionen traktiert, weil er auf der Krim eine völkerrechtswidrige Annexion vollzogen haben soll. Einem informellen Bündnispartner wie Saudi-Arabien wird im Jemen freie Hand gelassen, seine strategischen Ziele zum Preis verhungernder und umgebrachter Menschen zu erlangen. Israel kann sich Bombenangriffe auf syrisches Territorium erlauben, ohne daß die Bundesrepublik ein Wort der Kritik am Eskalationskurs seiner Regierung verlöre. Die USA richten ohne Einwilligung der syrischen Regierung Militärstützpunkte im Land ein, auch das findet die uneingeschränkte Unterstützung der Bundesregierung. Schließlich möchte sie selber einen Stiefel in die Tür geostrategischer Gewinnoptionen setzen, da kann man nicht die Mittel beweinen, die andere NATO-Staaten einsetzen.

Diese Politik ist nur an der Oberfläche der Produktion handlungsleitender Motive widersprüchlich. In der Logik des Anspruches, als Staat und Staatenbündnis im Nahen und Mittleren Osten eine größere Rolle zu spielen, macht sie allemal Sinn. Früher als "doppelte Standards" kritisiert, aber auch als notwendiges Mittel zum Zweck des Erreichens bestimmter Ziele politisch vertreten, läßt sich heute eher von PR-strategischer Flexibilität sprechen. Auf der sogenannten Sicherheitskonferenz in München am letzten Wochenende wurden Außenminister Gabriel und Verteidigungsministerin von der Leyen nicht müde, mit dem Säbel zu rasseln und mehr deutschen Einsatz an den Fronten künftiger Kriege zu verlangen. Sie zogen die Konsequenz aus der Mahnung des ehemaligen Bundespräsidenten Gauck, der an gleicher Stelle vor vier Jahren gefordert hatte, die Bundesrepublik müsse auch und gerade mit militärischen Mitteln mehr Verantwortung in internationalen Konflikten übernehmen. Unter Regie des damaligen Außenministers und heutigen Bundespräsidenten Steinmeier waren wenige Monate zuvor in dem Konzept "Neue Macht - Neue Verantwortung" die Leitlinien einer imperialistischen Politik ausformuliert worden, die sich nur mit militärischer Gewalt verwirklichen läßt.

Während in Syrien alle Konflikte des Nahen und Mittleren Ostens wie von einem schwarzen Loch absorbiert werden und bislang ungeahnte Konfliktkonstellationen hervorbringen, erzeugen deutsche Regierungspolitiker, zumal in kommissarischer Funktion, ohne offenkundige Not militärische Handlungsvorwände. Deren wichtigstes Kriterium ist ihre Unumkehrbarkeit. Nicht etwa Gabriel und von der Leyen reden sich um Kopf und Kragen, wenn sie ein ums andere Mal mehr Haushaltsmittel für die Bundeswehr und mehr Bereitschaft für eine Kriegführung anmahnen, die im grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr keine Grundlage mehr hat, es sei denn, man verdrehte ihn so sehr, daß damit die Verteidigung nationaler Besitzstände in aller Welt gemeint sei. Die Konsequenz ihrer Worte erleiden diejenigen, die in künftigen Kriegen verletzt werden und sterben, die in eine ungewisse Zukunft fliehen müssen, wenn sie nicht vergewaltigt und umgebracht werden oder verhungern wollen.

Diese Entwicklung begann nicht erst 2014 mit dem epochalen Auftritt Gaucks auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Spätestens mit der Beteiligung der Bundeswehr am Überfall der NATO auf Jugoslawien 1999 wurden Tatsachen eines deutschen Imperialismus geschaffen, an denen niemand mehr vorbeikam. Heute, da Großbritannien den Aufbau der EU zum geostrategischen Konkurrenten der USA nicht mehr bremsen kann, wähnt sich das Tandem Paris-Berlin in der Lage, in der krisenbedingt verschärften Staatenkonkurrenz mit überzeugenderen Machtmitteln als zuvor mehr Anspruch auf ein großes Stück von der zu verteilenden Beute erheben zu können.

Zwar wird die Absicht, in Damaskus einen Regimewechsel herbeizuführen, schon seit Beginn des Konflikts mit dem Mittel eines Stellvertreterkrieges verfolgt. Die den Schaden für äußere Akteure begrenzende Wirkung dieser verdeckten Form von Intervention ist allerdings ausgereizt worden. Die immer offener ausgetragene Konfrontation zwischen den in Syrien aktiven Staaten der NATO wie der Region ist an einen Punkt gelangt, an dem ein kleiner Funke genügen kann, den Krieg auf die Ebene eines zwischenstaatlichen Waffenganges zu heben. Aufgrund der Vielzahl der involvierten Akteure und der höchst komplexen Gemengelage, in der nicht einmal die NATO als kohärent vorgehendes Bündnis auftritt, ist die Explosionsgefahr groß. Allein die langjährige Feindschaft zwischen Israel und dem Iran könnte jederzeit einen Flächenbrand auslösen. Doch die Konfliktkonstellationen sind inzwischen so verwickelt, daß sie auch zu einem global ausgetragenen Krieg zwischen den USA und Rußland eskalieren könnten.

Einen geeigneteren Zeitpunkt, mit der Bundeswehr und ihren EU-europäischen Bündnisstrukturen nach den Meriten kriegerischen Erfolges zu greifen, könnte es wohl kaum geben. Die Bevölkerung der Bundesrepublik scheint keinen Einwand dagegen zu erheben, daß ihre Administration den politischen Zielen eines Despoten zuarbeitet, der mit der Verschmelzung von türkischem Nationalismus, islamistischer Restauration und neoosmanischer Expansion eine hochaggressives Gebräu anrührt, das noch viele Menschen in die Knäste und auf die Friedhöfe befördern wird. Verhält sich diese Form unausgesprochener Zustimmung analog zu den nationalistischen Ambitionen in Deutschland, dann besteht die nicht geringe Gefahr, daß die Absicherung autoritärer Herrschaft im Innern durch imperialistische Aggression nach außen auch hierzulande türkische Verhältnisse etabliert.

23. Februar 2018


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