Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HEGEMONIE/1811: Von wegen Erdogan ... Bundesregierung weitet PKK-Verbot aus (SB)



Neuer Rekordstand für deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, Bundeskanzlerin Merkel auf bestem Fuß mit dem Chef des ägyptischen Militärregimes Al Sisi, die reaktionärsten Kräfte Nordafrikas sollen bei der immer grausamer praktizierten Flüchtlingsabwehr zur Hand gehen - die Bundesregierung gibt sich alle Mühe, den von ihr erhobenen Anspruch auf eine wertegestützte Außenpolitik so wirksam zu konterkarieren, daß er eines nicht allzu fernen Tages unwiderbringlich zu Grabe getragen werden kann. Auf dem Weg zu neuer Macht werden keine Gefangenen gemacht, kann man sich keine Sentimentalitäten gönnen, ist wieder deutsche Härte gefragt.

Das gilt auch für die Beziehungen zur Türkei, deren Funktionsfähigkeit nicht gefährdet werden darf, und führt sich ihr Machthaber Erdogan auch wie die Axt im Walde auf. Wer zahlt den Preis dafür, wenn man sich in Berlin, von Ankara des Nazismus bezichtigt, empört ob dieses Vergleichs gibt? Wie immer muß ein Bauer geopfert werden, um die Königin zu schützen und das eigene Eroberungsprojekt voranzubringen. Per Erlaß des Bundesinnenministeriums vom 2. März wird das existierende PKK-Verbot auf praktisch alle Gruppierungen, die mit der kurdischen Befreiungsbewegung assoziiert werden, ausgeweitet [1]. Somit können künftig Aktivistinnen und Aktivisten auch dieser Organisationen nach dem Gesinnungsstrafrecht 129 b verfolgt und auf Demonstrationen festgenommen werden, wenn sie Fahnen und Symbole dieser Gruppierungen zeigen.

Insbesondere die Einbeziehung der Partei der nordsyrischen Kurden PYD und der dort gegen den IS kämpfenden Volksverteidigungseinheiten YPG in das PKK-Verbot zeigt, daß die Bundesregierung keine Probleme damit hat, die demokratischen Kräfte in Syrien aktiv zu schwächen, um dem IS und der Türkei freie Hand im Kampf gegen die syrische Regierung zu geben. Da sie in den kurdischen Autonomiegebieten des Nordiraks eigene geostrategische Interessen verfolgt, ist ihr der Pakt mit der autokratischen Regionalregierung unter Barzani wichtiger als die Unterstützung einer der wenigen fortschrittlichen Entwicklungen in der Region. Nicht einmal die US-Regierung ist den von allen Seiten bedrängten Kurdinnen und Kurden im nordsyrischen Rojava so schnell in den Rücken gefallen wie der deutsche Imperialismus, der seinem US-amerikanischen Konterpart in Sachen strategischer Kontingenz offensichtlich den Rang ablaufen will.

Vor diesem Hintergrund wirkt die hohe Wogen vermeintlich gerechter Empörung schlagende Debatte um die Auftritte türkischer Regierungspolitiker in der Bundesrepublik wie bloße Schaumschlägerei. Während bürgerliche Politiker und Journalisten Krokodilstränen über die Unterdrückung der politischen Opposition durch die AKP-Regierung vergießen, werden weder die polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit deutscher Staatsorgane mit dem türkischen Repressionsapparat noch die Strafurteile der politischen Justiz kritisiert, aufgrund derer kurdische und türkische Linke in der Bundesrepublik immer wieder mehrjährige Haftstrafen verbüßen müssen.

Mit der Ausweitung des PKK-Verbots, für dessen Abschaffung es viele gute Gründe gibt, macht sich die Bundesregierung Erdogans Gleichsetzung einer um ihre demokratischen Rechte kämpfenden ethnisch-kulturellen Minderheit mit den Kopfabschneidern des IS zu eigen. Der türkischen Regierung dient diese Politik vor allem zur Rechtfertigung ihrer zeitweiligen Allianz mit dem IS und der massiven Unterdrückung der kurdischen Linken. Das weiß man in Berlin ganz genau, haben sich in der Vergangenheit doch sogar Politiker der Regierungsparteien für die Überprüfung des PKK-Verbotes ausgesprochen.

Wo derartige Hilfestellungen an ein Regime, das die eigene Bevölkerung massiv bedroht und auch bekriegt, den deutschen Imperialismus handlungsfähiger machen sollen, wird das Anwachsen der Repression in der Bundesrepublik nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern systematisch vorangetrieben. Die Absicherung einer aggressiven Außenpolitik nach innen trifft keinesfalls nur Migrantinnen und Migranten, sondern setzt der gesamten politischen Kultur eines Landes, dessen Führung sich gerade noch im Vergleich mit der Türkei als besonders liberal abgefeiert hat, zusehends enger werdende Grenzen. Schon jetzt könnte die Veröffentlichung inkriminierter Symbole der kurdischen Befreiungsbewegung strafrechtliche Folgen haben, und wird die neue EU-Richtlinie für Antiterrorismus in Kraft gesetzt, läuft auch das geschriebene und gesprochene Wort Gefahr, den Staatschutz auf den Plan zu rufen. Wer immer noch meint, einfach die Haustür zumachen zu können, wenn die Welt in Flammen steht, sollte nicht vergessen, auch den Kopf in der Garderobe abzulegen.


Fußnoten:

[1] http://civaka-azad.org/deutsche-bundesregierung-kommt-der-tuerkei-entgegen-und-weitet-pkk-verbot-in-deutschland-aus/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1558.html

11. März 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang