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HEGEMONIE/1786: Altes Lied, neue Not - Krieg im Nahen und Mittleren Osten (SB)




Zwar haben die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten niemals richtig aufgehört, doch wird mit dem Luftkrieg der US-geführten Koalition im Irak und in Syrien die Tür zu einem langwierigen, alle Kriterien eines vollständig entbrannten Krieges erfüllenden Konflikts geöffnet. Der offizielle Anlaß der Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) wirkt in Anbetracht der Offensive der islamistischen Kämpfer zwar plausibel, doch die zentrale Konfliktkonstellation ist davon unbeeinträchtigt. Sie besteht im Hegemonialanspruch der führenden NATO-Staaten über die Region, der mit der Eroberung des Iraks, dem bislang nicht gelungenen Regimewechsel in Syrien, der Isolation des Iran und des Bündnisses mit den arabischen Staaten durchgesetzt werden sollte und soll.

Darüber können auch die angeblichen Annäherungen zwischen dem Iran und den USA im Krieg gegen IS nicht hinwegtäuschen. Das von den NATO-Staaten verfolgte Ziel, die seit den 1990er Jahren erklärte Absicht Washingtons, die Region einer fundamentalen Neuordnung zugunsten eigener Hegemonialinteressen zu unterziehen, endlich zu verwirklichen, erhält zusätzliche Brisanz dadurch, daß es sich gegen den letzten Verbündeten Rußlands in der arabischen Welt richtet. Da Moskau auch mit Teheran eine zwar brüchige, aber im Verhältnis zu den gemeinsamen Gegnern noch funktionierende Allianz unterhält, wird es bestenfalls zu einer befristeten operativen Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Iran kommen. Schließlich weiß man auch in der Islamischen Republik, womit man es beim IS zu tun hat.

Der IS konnte überhaupt nur durch die systematische Destabilisierung des Iraks und Syriens zu einer nennenswerten militärischen Kraft heranwachsen. Als Geschöpf US-amerikanischer Kriegspolitik weist er eine ähnliche Entwicklungslogik auf wie Al Qaida, deren Wurzeln in der von der CIA betriebenen Aufrüstung der in Afghanistan gegen die Sowjetunion kämpfenden Mujahedin liegen. Die Frage, ob die Lesart, daß man die Geister, die zum Sturz des syrischen Präsidenten Bashir al Assads beschworen wurden, nun nicht mehr los wird, überhaupt zutrifft, oder ob die Offensive des IS nicht beste Voraussetzungen für eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Osten im Sinne der NATO-Staaten und auch Israels schafft, wird der weitere Verlauf des Krieges zweifellos beantworten. Der IS wurde zumindest mittelbar durch die Unterstützung islamistischer Fraktionen der syrischen Opposition durch die USA und Britannien gefördert. Da US-Geheimdienste schon im August 2013 vor einer absehbaren Offensive des IS warnten [1], ist diese Gefahr keineswegs aus dem Nichts entstanden [2]. Je mehr sie sich verselbständigt, desto mehr droht dieser Krieg zu entufern, wie die Androhung von Anschlägen in den NATO-Staaten belegt.

Den IS nun mit großer Zustimmung der europäischen und nordamerikanischen Bevölkerungen aus der Luft zu bekämpfen, hat mehrere strategische Vorteile. Zum ersten schaffen die islamistischen Milizen aufgrund der Monstrosität ihrer Grausamkeit akuten Handlungsbedarf, was die Bedenken gegen weitere Kriege im Nahen und Mittleren Osten wie auch die Mahnungen, sie zumindest im Rahmen internationalen Rechts zu führen, in den NATO-Staaten vom Tisch fegt. Zum zweiten wird mit der Beschränkung auf den Luftkrieg der Ruf nach der Mobilisierung einer angeblich moderaten syrischen Opposition laut. Diese nach derzeitiger Zielvorstellung 15.000 Kämpfer sollen dem Projekt des Regimewechsels in Damaskus neuen Schub verleihen. Zum dritten werden Saudi-Arabien und andere arabische Despotenregimes völlig unabhängig davon, daß in Riad zahlreiche Menschen geköpft werden, in den Kerkern des Militärregimes in Kairo mehr als 20.000 politische Gefangene stecken und Katar maßgeblich zur Aufrüstung des IS beigetragen hat, zu militärischen Partnern aufgewertet und auf ihre Vasallenschaft zur NATO eingeschworen.

Zum vierten erhält die Regierung in Ankara freie Hand bei der Bekämpfung der Kurden im Norden Syriens, die in der Enklave Rojava einen neuen Weg der politischen Selbstverwaltung und Autonomie beschritten haben. Indem die türkische Regierung den IS, den sie in der Vergangenheit unterstützt hat, dort gewähren läßt, könnte dieser den Boden für das Eingreifen türkischer Streitkräfte bereiten. So hat Präsident Erdogan bereits angekündigt, auf syrischem Territorium einen Sicherheitspuffer und eine Flugverbotszone zu etablieren, wodurch Rojava unter Kontrolle Ankaras gebracht würde. Gleichzeitig würden mit dem offiziellen Kriegseintritt der Türkei am Boden Syriens die Voraussetzungen für die Erklärung des Bündnisfalls der NATO geschaffen, wodurch alle Mitgliedstaaten der Militärallianz in diesen Krieg gezogen werden könnten. Für die naheliegende Behauptung, in der NATO werde Kritik an der IS-freundlichen Politik der Türkei geübt, gibt es jedenfalls weit weniger Belege als daß es Indizien für ein Spiel mit verteilten Rollen gibt, bei dem sich Ankara in perfekter Übereinstimmung mit den strategischen Zielen der verbündeten Kriegsparteien befindet.

All das findet vor dem Hintergrund des keineswegs aufgegebenen Vorhabens statt, das Bündnis zwischen dem Iran, Syrien und der libanesischen Hisbollah zugunsten der westlichen Klientelstaaten der arabischen Welt nach Möglichkeit zu zerschlagen. Da die drei genannten Akteure längst im Krieg mit dem IS stehen, könnte dessen Bekämpfung auch ohne Einmischung der USA, Frankreichs und Britanniens erfolgen. Dabei könnte sich jedoch zeigen, daß niemand in der Region auf die militärische Hilfe der NATO-Staaten angewiesen ist, sondern diese ausschließlich deren eigenen Interessen in diesem geostrategisch und ressourcentechnisch wichtigen Teil der Welt dient. Dabei hat sich längst erwiesen, daß die Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens in immer größere Schwierigkeiten geraten, wenn sie die angeblich gutgemeinten und menschenfreundlichen Vorhaben der westlichen Kulturkrieger in ihrer Region nicht auf das entschiedenste zurückweisen.

Auch dieses Mal wird das Vormachtstreben der USA und anderen NATO-Staaten im Nahen und Mittleren Osten Elend, Not und Blutvergießen ohne Ende zeitigen. Es fügt sich damit nahtlos in das dystopische Szenario eines Krisenmanagements ein, das längst jede Chance eingebüßt hat, im beanspruchten Sinne der Minderung von Zerstörung und Gewalt etwas für die Mehrheit der Menschen zu erreichen. Daß die Bundesregierung entschlossen zu sein scheint, den unumkehrbaren Weg in die aktive Kriegsbeteiligung zu beschreiten, sollte die Bevölkerung hierzulande eigentlich beunruhigen. Daß fast nichts dergleichen geschieht, sondern die Ignoranz gegenüber der Not Rojavas, Gazas, des Iraks und Syriens kaum größer sein könnte, ist ein veritabler Erfolg der sozialdarwinistischen Zurichtung der Menschen auf den Horizont privaten Wohlbefindens.


Fußnoten:

[1] http://www.counterpunch.org/2014/09/26/how-the-pentagon-exploits-isis-to-kill-surveillance-reform-and-re-occupy-iraq/

[2] http://www.counterpunch.org/2014/09/26/syria-the-latest-crusade/

28. September 2014