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HEGEMONIE/1782: Staatsräson und Gesinnungsverdacht - Israels Kriegführung sakrosankt (SB)




Rassistische und antisemitische Parolen auf Demonstrationen gegen die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen zu verurteilen, bedürfte nicht eines solchen Skandalisierungsaufwandes, wenn damit nicht mehr bewirkt werden soll als die Klarstellung, daß eine derartige Hetze nicht geduldet werden kann. Rassisten finden sich heute in fast jeder Partei, sie gehören häufig zur bessergestellten bürgerlichen Mitte und erfreuen sich, wie einige Kampagnen der CSU gegen Ausländer im allgemeinen oder Roma im besonderen belegen, der Akzeptabilität systemimmanenter Regulative. Ihre Einbettung in nationalistische Selbstbehauptungsstrategien - man denke an die Hetze gegen "Pleitegriechen" als angeblich illegitime Nutznießer des in Deutschland erwirtschafteten Gesamtprodukts - wurde zum Teil von den gleichen Politikern und Journalisten betrieben, die heute meinen, das Skandalöse am Krieg gegen Gaza seien nicht die Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung, sondern die antisemitischen Ausfälle auf Demonstrationen, wo ansonsten mehrheitlich gegen den Krieg und nicht gegen Juden protestiert wird. Reaktionäre Zwischentöne von Anhängern des türkischen Ministerpräsidenten Erdogans oder neurechten Bundesbürgern wiederum bleiben unkommentiert.

Wenn sich Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu bemüßigt fühlen, diese Vorfälle nicht nur offiziell zu verurteilen, sondern sie zum Anlaß zu nehmen, dem Staat Israel ihre Solidarität zu versichern [1], während sie für das, was im Gazastreifen vorgeht, keine klaren Worte der Verurteilung dieser völlig unangemessenen "Reaktion" der israelischen Regierung auf den von ihr systematisch provozierten Raketenbeschuß der Hamas finden, dann dementieren sie die Werte, aufgrund derer sie Antisemitismus und Rassismus verurteilen, im gleichen Atemzug. Indem die historische Konstellation und das strategische Vorgehen der israelischen Regierung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser nicht aufgeklärt und kritisiert werden, während das Aufkochen regelrechten Hasses unter arabischen Jugendlichen als quasi voraussetzungsloses Phänomen des Antisemitismus bewertet wird, setzen sich die obersten Repräsentanten der Bundesrepublik dem Verdacht aus, die deutsche Unterstützung israelischer Kriegspolitik mit etwas rechtfertigen zu wollen, was den meisten dagegen demonstrierenden Menschen nicht anzulasten ist. Hier erfüllt das Totschlagargument des Antiterrorismus, die kausale Bestimmung gewaltsamer Entwicklungen sei mit ihrer Rechtfertigung gleichzusetzen, ihr unheiliges Werk. Im Ergebnis wird der gesamte Protest gegen die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen als potentiell antisemitisch stigmatisiert. Während diejenigen Menschen, die sich keiner ethnisch-religiös bestimmten Kriegslogik verschrieben haben, dadurch abgeschreckt werden, künftig noch eine solche Demonstration zu besuchen, bleibt das Feld denjenigen überlassen, die sich um so mehr in ihrem Verdacht bestätigt fühlen, es mit einer sinistren Weltverschwörung zu tun zu haben.

Das Überzeichnen dieser Vorfälle mit dem groben Pinsel kollektiver Bezichtigung hat Methode. Nur anhand der vorbehaltlosen Gutheißung der deutschen Staatsräson, deren Sachwalter kein Problem damit haben, zeitgleich zur Anerkennung der angeblichen Selbstverteidigung Israels in Gaza in der Ukraine mit einer von Neofaschisten durchsetzten Regierung, die Krieg gegen die eigene Bevölkerung im Osten des Landes führt, zu paktieren, und der sich daraus folgerichtig ergebenden Negation des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts lassen sich hierzulande die Voraussetzungen für eine Zustimmung zu einer Hegemonialpolitik schaffen, in der Deutschland einem nachholenden Imperialismus frönt, der bereits in zwei katastrophale Kriege mündete.

Jene Stimmen, die heute meinen, judenfeindliche Parolen arabischer Jugendlicher mit der akuten Bedrohung jüdischer Menschen im NS-Staat vergleichen zu müssen, schlagen in die gleiche exkulpatorische Kerbe wie ein Joseph Fischer, der meinte, mit dem völkerrechtswidrigen Überfall der NATO auf Jugoslawien ein zweites Auschwitz zu verhindern. So ignorieren sie, daß die industrielle Massenvernichtung des Holocaust im Rahmen eines imperialistischen Krieges vollzogen wurde, während die arabische Judenfeindschaft Produkt der kolonialistischen Neuaufteilung des Nahen und Mittleren Ostens nach dem Ersten Weltkrieg ist, nicht jedoch eines Islam, der das Judentum weit weniger grausam bekämpfte als die christliche Erlösungsreligion. Nicht wenige aus Israel emigrierte Jüdinnen und Juden machen denn auch den Siedlerkolonialismus der israelischen Regierung dafür verantwortlich, daß dieses Land heute der am wenigsten sichere Ort für jüdische Menschen ist.

In der Verallgemeinerung des Judenhasses einiger migrantischer Jugendlicher oder Nazis, die nicht das mindeste Interesse daran haben, notleidenden Palästinenserinnen und Palästinensern etwa durch das Angebot, sich in der Bundesrepublik niederzulassen, zu helfen, zur ideologischen Kontaminierung jeglicher deutlicher Verurteilung israelischer Kriegspolitik vermengen sich historische Ignoranz und chauvinistische Selbstüberschätzung zu einer brisanten Mischung. Die sich im Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung abbildende Verachtung menschlichen Lebens riefe, wenn sie an Bürgern der EU oder USA vollzogen würde, aus dem schlechten Grund, daß das Existenzrecht der Bevölkerungen in den Ländern des Südens weit unter dem der Bevölkerungen westlicher Metropolengesellschaften rangiert, ungleich schärfere Kritik hervor als im aktuellen Fall. Allein dadurch, daß sie ihrer materiellen Bemittelung wie rechtlichen Ermächtigung durch die kolonialistische Politik Israels weitgehend beraubt wurden, ohne daß die angeblich Menschenrechten verpflichteten Regierungen der EU und USA wirksamen Einspruch erheben, werden Palästinenserinnen und Palästinenser de facto zu Nichtmenschen disqualifiziert. Von daher werden mit der militärischen Durchführung und ideologischen Legitimation dieses Krieges durch Politik und Medien der NATO-Staaten Möglichkeiten staatlicher Repression ausgelotet und vorexerziert, die einen düsteren Vorschein auf die globalen Klassenkämpfe der Zukunft werfen.


Fußnoten:

[1] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEKBN0FS1KN20140723

Zur Analyse und Kritik der politischen Umstände des jüngsten Gaza-Kriegs siehe im Schattenblick auch:

PROPAGANDA/1479: Terrorismusbekämpfung als ideologisches Herrschafts- und exekutives Machtinstrument (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1479.html

KRIEG/1637: Todeszone Gaza - Die Ohnmacht auf die Spitze der Unerträglichkeit treiben ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1637.html

23. Juli 2014