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HEGEMONIE/1774: Korruption in der Ukraine - Chiffre EU-europäischer Ermächtigung (SB)




Wurde die Unterstützung der ukrainischen Opposition durch EU-Regierungen anfangs damit begründet, daß es den Menschen auf dem Maidan um Freiheit und Demokratie gehe, so werden die nun erhobenen Forderungen nach Sanktionen vor allem mit der Korruption im Land unterfüttert. Wenn es den Oligarchen und Politikern der Ukraine nicht mehr möglich wäre, an ihre ins westliche Ausland transferierten Vermögen heranzukommen, dann träfe man ihr Bereicherungsstreben ins Mark. Diejenigen auf diese Weise zu bekämpfen, "die sich ganz offensichtlich durch Korruption in schamloser Weise bereichert haben", so Marieluise Beck von den Grünen [1], suggeriert, daß eine solche Intervention der EU aus sozialfreundlichen Gründen erfolgte. "Es ist ja absurd, dass diejenigen, die jetzt das Volk unterdrücken und den Weg in Richtung EU unterbinden wollen, aber ihr eigenes persönliches Fortkommen, ihre Geschäftstätigkeit und ihren Reichtum im Westen sichern, weil sie darauf vertrauen können, dass dort Rechtsstaatlichkeit und Schutz von Eigentum herrscht", argumentiert Beck, als ob bei der Zusammenarbeit der EU mit den großen Kapitaleignern in aller Welt peinlichst darauf geachtet würde, daß deren Reichtümer auf legale Weise erwirtschaftet wurden.

Zu behaupten, die herrschende Klasse in den sogenannten Transformationsstaaten Osteuropas wäre ganz anders zu ihrem Reichtum gelangt als die großen Kapitaleigner in Nordamerika und Westeuropa, stimmt zumindest insofern nicht, als es sich in beiden Fällen um kapitalistische Eigentumsordnungen handelt. Die nach dem Ende der Sowjetunion losgebrochenen Raubzüge ehemaliger Parteikader und Regierungsbürokraten waren das durchaus beabsichtigte Ergebnis der schnellen ökonomischen Liberalisierung der GUS-Staaten zugunsten der Investitionen und Geschäfte europäischer Konzerne und Banken. Die Verwandlung des Kollektiveigentums realsozialistischer Staaten in privatwirtschaftliches Eigentum war die Voraussetzung für die Ostexpansion EU-europäischer und US-amerikanischer Kapitale. Ohne die mit Hilfe westlicher Regierungen und Berater durchgesetzten neoliberalen Radikalreformen hätte die Gefahr bestanden, daß andere Formen der gesellschaftlichen Reproduktion etabliert worden wären. Die staatskapitalistische Verfügungsgewalt in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wie auch die Selbstverwaltungsstrukturen Jugoslawiens mußten nach 1992 zerschlagen werden, um neue Anlagemöglichkeiten für das westliche Finanz- und Industriekapital zu erschließen und dessen virulente Krise weiter aufzuschieben.

Die Anprangerung der weitverbreiteten Korruption in der Ukraine hat denn auch alles andere als eine sozial gerechtere Eigentums- oder auch nur Verteilungsordnung zum Ziel. Sie dient der Durchsetzung des liberalen Kapitalismus, ohne die autoritäre Praxis zu verwerfen, die im Schatten seiner Expansion blüht. Ausbeutung und Unterdrückung in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion schwächen die Legitimation des über sie gekommenen liberalen Kapitalismus, der Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte predigt, gegen frühkapitalistische Formen der Akkumulation aber nichts einzuwenden hat. Indem sich bürgerliche Herrschaft freiheitlich und demokratisch gibt, indem sie Partizipation per Leistungsgerechtigkeit und Eigenverantwortung anbietet, suggeriert sie soziale Durchlässigkeit und dementiert sie zugleich durch eherne materielle Schranken. Gelingt es nicht, einem Land wie der Ukraine die neoliberale Geschäftsordnung aufzuoktroyieren, dann tritt die wohlmeinende und menschenfreundliche Wertegemeinschaft noch schneller als sozialdarwinistisches Mangelregulativ in Erscheinung, als sie es in der Konsequenz ihrer aggressiven Durchsetzung ohnehin täte.

Während die massenhafte soziale Verelendung zur Mobilisierung gegen Präsident Janukowitsch und seine Regierung beiträgt, zeugen die Abwesenheit antikapitalistischer Parolen und sozialer Forderungen wie die nicht erfolgten Bemühungen, die Machtprobe über einen Generalstreik zu entscheiden, davon, daß ein sozialer Aufstand nicht auf der Agenda der Opposition steht. Wäre es anders, dann widerspräche dies dem als "proeuropäisch" ausgewiesenen Charakter des "Euromaidan". Warum sollte eine stark verarmte Bevölkerung ausgerechnet in einer EU der Spardiktate ihr Heil suchen? Das unter ökonomischer Zwangsverwaltung stehende Griechenland, in dem ein Gutteil der Bevölkerung medizinische Unterstützung nur noch im äußersten Notfall erhält und Hunderttausende Familien ohne jegliches Einkommen überleben müssen, widerlegt die Hoffnungen auf eine sozial gerechtere Zukunft in der EU auf so frappante Weise, daß der Schluß, zumindest der militanten Speerspitze des Maidan andere Ziele als soziale Verbesserungen zu unterstellen, nicht ganz falsch sein kann.

So dient auch die Anprangerung der Korruption nicht der Aufhebung des Kapitalismus, sondern seiner Vertiefung. Rechtssicherheit und Investitionsschutz für westliche Investoren sind nicht minder Ausdruck privatwirtschaftlicher Bereicherungsstrategien wie die illegalen Aneignungspraktiken osteuropäischer Kleptokratien. In beiden Fällen setzt eine gesellschaftliche Elite ihre Interessen zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung durch, und in beiden Fällen sichern die Netzwerke ihrer Funktionseliten ihre Privilegien und Vormachtstellung in Staat und Gesellschaft. Der größte Unterschied zwischen diesen Akkumulationsregimen dürfte darin bestehen, daß sich das Hauptgewicht der Aneignung in den westlichen Metropolengesellschaften von der industriellen Mehrwertproduktion zur finanzkapitalistischen Verwertung von Eigentums- und Rechtstiteln verschiebt, um die wegbrechende Wertschöpfung durch materielle Arbeit zu kompensieren. Das macht die Ukraine mit ihrer Schwerindustrie und Agrarproduktion, für deren Betrieb noch ein hoher Anteil an menschlicher Arbeitskraft erforderlich ist, zu einer besonders attraktiven Beute.

Wo die EU mit freiem Kapital-, Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr wirbt, da wird in Gesellschaften, deren Produktivkräfte weniger hoch entwickelt sind, eher auf persönliche Beziehungen, informelles Wirtschaften und finanzielle Landschaftspflege gesetzt. Wenn Bundesregierung und EU damit werben, der größere Wohlstand in Westeuropa verdanke sich einer gerechteren Gesellschaftsordnung, dann verteidigen sie im Kern das Produktivitätsgefälle gegenüber weniger entwickelten Gesellschaften, die diesen Reichtum als verlängerte Werkbänke und kostengünstige Ressourcenlieferanten erzeugen. Nichts könnte westlichen Regierungen ferner liegen, als diesen Abstand auf eine Weise zu verringern, die den Vorteil, das nationale Gesamtprodukt durch Kapital- und Warenexport wie durch den Primat des Freihandels zu steigern, in Frage stellte. Zwar müssen sie dafür sorgen, daß die Abnehmer ihrer Exporte nicht so sehr verelenden, daß ihre zahlungsfähige Nachfrage entfällt. Gleichzeitig jedoch sorgt das soziale Elend in den Peripheriestaaten der EU dafür, daß deren natürliche und humane Ressourcen von der Monopolmacht ihres Zentrums bewirtschaftet werden können.

Dazu bedarf es eines politischen und institutionellen Einflusses, der durch die hegemonialen Ambitionen Rußlands gefährdet ist. Der ukrainischen Bevölkerung soll keinesfalls die Wahl bleiben, weder auf das eine noch auf das andere Pferd zu setzen, sondern einen eigenständigen Entwicklungsweg, der auch sozialistische Elemente umfassen könnte, einzuschlagen. Dies belegt die dominante Rolle neofaschistischer Organisationen in der militanten Durchsetzung des angestrebten Regimewechsels. Ihr auch in Hinsicht auf die sowjetische Geschichte der Ukraine stark ausgeprägter Antikommunismus bietet ganz praktisch die Gewähr, daß linke Kräfte nicht in die Lage versetzt werden, die nationalistisch gefärbte Oppositionsbewegung mit sozialen Forderungen auf einen zur EU antagonistischen Kurs zu bringen.

Die unzuverlässigen Oligarchen in der Ukraine als Räuberbarone darzustellen, ist Ausdruck einer interessengestützten Politik, bei der je nach Marktlage vorteilhafte Bündnisse geschlossen respektive nachteilige Partnerschaften aufgekündigt werden. Dieses durchsichtige Manöver zeigt vor allem, daß im Kampf gegen konkurrierende Kapitalfraktionen alle Mittel recht sind. Dabei ist das Risiko, in einem als Expansionsziel auserkorenen Land den Bürgerkrieg zu provozieren, lediglich eine Stufe auf der Eskalationsleiter, die bis zum zwischenimperialistischen Krieg führen kann. So wird, um jeden Gedanken an einen sozialen Aufstand gegen die eigene Herrschaft zu unterdrücken, im Reigen bunter Revolutionen bisweilen auch die Flagge der sozialen Gerechtigkeit geschwungen.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/lage-in-der-ukraine-beck-ernsthafte-gespraech-mit-moskau.694.de.html?dram:article_id=277876